Uniklinik in München:Chirurg nach Skandal um Organspenden angeklagt

  • Die Staatsanwaltschaft München hat Anklage gegen einen früheren Oberarzt des Klinikums rechts der Isar erhoben.
  • Der Mediziner soll in drei Fällen Werte von Patienten manipuliert haben, damit sie kränker erscheinen, als sie waren, und so schneller eine Spenderleber bekommen.
  • Der Anwalt des Arztes weist die Vorwürfe zurück. Sie seien "sehr theoretisch konstruiert".

Von Christina Berndt und Sebastian Krass

Die Staatsanwaltschaft München hat Anklage gegen einen früheren Oberarzt des Klinikums rechts der Isar erhoben. Der heute 46-jährige Peter B. soll im Dezember 2009 und Januar 2010 die Warteliste für Spenderlebern manipuliert haben, "um drei Patienten eine vorzeitige Lebertransplantation zu ermöglichen", so die Staatsanwaltschaft. Infolge der Manipulationen ließen Blutwerte "jeweils auf einen lebensbedrohlichen Gesundheitszustand" von Patienten schließen, schreibt die Staatsanwaltschaft.

"Auf diese Weise wollte der Angeschuldigte den Patienten einen höheren Listenplatz verschaffen, als ihnen bei Übermittlung der tatsächlichen Blutwerte zugestanden hätte." Dabei habe er "billigend in Kauf genommen, dass schwerstkranke andere Patienten, bei denen eine höhere medizinische Dringlichkeit" bestand, die benötigten Spenderorgane erst später erhalten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Chirurgen B. versuchte gefährliche Körperverletzung vor. Darauf steht eine Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren.

Die drei Manipulationen, die B. vorgeworfen werden, sind nicht die einzigen Verstöße gegen die Richtlinien zur Lebertransplantation, die in den vergangenen Jahren am Klinikum rechts der Isar geschahen. In den Jahren 2008 bis Mitte 2012 habe es am Rechts der Isar 36 solcher Vorfälle gegeben, berichtete eine bei der Bundesärztekammer angesiedelte Prüfungskommission im September 2013.

"Mit erheblicher krimineller Energie"

Allerdings wertete sie die drei Verstöße, die nun Teil der Anklage sind, ebenso wie die Staatsanwaltschaft als besonders schwerwiegend. Hier sei "mit erheblicher krimineller Energie" manipuliert worden, hieß es. Denn in diesen Fällen wurden demnach nicht nur Kreuze an der falschen Stelle gemacht: In zwei dieser Fälle wurden offenbar Ergebnisse von Blutproben verwendet, die gar nicht von den Patienten stammten, für die eine Spenderleber beantragt wurde.

In einem weiteren Fall soll eine Blutprobe sogar mit anderen Substanzen gepanscht worden sein, damit der ihr zugeordnete Patient kränker wirkte, als er tatsächlich war. Für diese drei Fälle ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Peter B. verantwortlich, der inzwischen Chefarzt an einem Klinikum in einer süddeutschen Kleinstadt ist und dort keine Lebern mehr transplantiert.

Für alle drei Patienten bot die Vermittlungsstelle Eurotransplant eine Spenderleber an. In zwei Fällen wurden die Organe dann auch im Rechts der Isar transplantiert. Im dritten allerdings bemerkten andere Ärzte, dass das Organangebot offenbar auf falschen Werten beruhte.

Was der Verteidiger des Angeklagten sagt

Die Motive für die mutmaßlichen Manipulationen sind bisher unklar. Zu der Zeit stand das Rechts der Isar allerdings wegen zu geringer Transplantationszahlen unter Druck. Persönliche Bereicherung steht nicht zur Debatte.

B. hat laut Staatsanwaltschaft zwar in Kauf genommen, dass die durch sein Handeln übergangenen Patienten länger leiden mussten und dass für sie womöglich Lebensgefahr bestand. Doch man billigt B. zu, "dass er in dem Vertrauen handelte, die übergangenen Patienten würden noch rechtzeitig ein weiteres Organangebot erhalten und daher nicht versterben".

Sie wirft B. - anders als dies die Staatsanwaltschaft Braunschweig in einem ähnlich gelagerten Fall eines ehemaligen Chirurgen vom Universitätsklinikum Göttingen tut - keinen Tötungsvorsatz vor. In Göttingen steht der frühere Leiter der Transplantationschirurgie seit August 2013 vor Gericht. Ihm werde in elf Fällen versuchter Totschlag und in drei weiteren Fällen Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Das Urteil soll in wenigen Wochen fallen.

Die Münchner Staatsanwälte gehen auch deshalb nur von versuchter gefährlicher Körperverletzung aus, weil "die Identität der Geschädigten" - also der Patienten, denen die beiden am Rechts der Isar transplantierten Spenderlebern eigentlich zugestanden hätten - nicht zweifelsfrei ermittelt werden könnten.

Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen einen Internisten

Der Angeschuldigte B. hat den Vorwurf, Patientendaten manipuliert zu haben, bisher stets zurückgewiesen. Sein Anwalt Ulrich Ziegert sagte der SZ, dass sich die Anklage auf Zeugenaussagen von drei Internisten stütze. Zwischen Internisten und Chirurgen habe es aber zum Zeitpunkt der Manipulationen heftige Konflikte gegeben. Deshalb seien die Beschuldigungen nicht glaubwürdig. "Die Staatsanwaltschaft hat diese Phalanx nicht hinterfragt", so Ziegert. Der Verteidiger hält auch die juristische Bewertung durch die Staatsanwaltschaft für problematisch: "Man weiß nicht einmal, ob jemand zu Schaden gekommen ist", sagt er. "Die Vorwürfe sind deshalb sehr theoretisch konzipiert."

Die übrigen Manipulationsfälle am Rechts der Isar sind damit nicht zu den Akten gelegt. Dabei geht es unter anderem um Alkoholkranke, die noch nicht die geforderten sechs Monate trocken waren, und um Patienten mit Leberkrebs, die die Kriterien für eine Transplantation nicht erfüllten. Die Staatsanwälte ermitteln noch gegen einen Internisten. "Da geht es um den Vorwurf, dass Patienten auf die Warteliste gesetzt wurden, obwohl die Voraussetzungen dafür womöglich nicht vorgelegen haben sollen", sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Wann in diesem Verfahren über Einstellung oder Anklage entschieden wird, ist noch nicht abzusehen.

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