Ungelöste Morde in München:Leichen im Keller

Ungelöste Morde in München: Spurensicherung der Polizei nach dem Mord an einer Barfrau im Nachtlokal "Kapitol" im Bahnhofsviertel.

Spurensicherung der Polizei nach dem Mord an einer Barfrau im Nachtlokal "Kapitol" im Bahnhofsviertel.

(Foto: Robert Haas)

Bei Kapitalverbrechen ist die Aufklärungsquote der Münchner Ermittler hoch, doch nicht immer erwischt die Polizei die Täter. An die 50 ungeklärte Morde haben sich seit den Siebzigerjahren angesammelt. Doch Mord verjährt nicht - auch deshalb werden die geschlossenen Akten unaufgeklärter Fälle immer wieder durchforstet.

Von Susi Wimmer

Loslassen. Das ist für alle Beteiligten die schwierigste Aufgabe. Für die Angehörigen etwa, die ein Familienmitglied auf grausame Weise verloren haben und mit der Gewissheit weiterleben müssen, dass der Mörder frei herumläuft und die Tat nie gesühnt wird. Loslassen müssen aber irgendwann auch die Ermittler, die teilweise jahrelang mit einem Mordfall betraut waren - und die einsehen müssen, dass sie momentan nichts mehr tun können.

An die 50 ungeklärte Morde haben sich seit den Siebzigerjahren bei der Münchner Polizei angesammelt. Doch Mord verjährt nie. Und so werden die Aktendeckel zwar irgendwann geschlossen, aber nie für immer.

"So was wirst du nie los, das kannst du nicht verarbeiten", das ist die Erfahrung von Helmut Eigner. Der Mordermittler gilt als besonders hartnäckig und akribisch, er durchforstet Altfälle, gibt keine Ruhe. Seit Jahren etwa befasst er sich mit dem Tod der Münchnerin Sabine Grüneklee. Sie brach während ihres Nepalurlaubes am 15. Oktober 2005 von Kathmandu aus zu einer Wanderung auf den Tempelberg Jamacho Peak auf - und verschwand. Monate später entdeckte man ihre Leiche.

"Wenn man sie nicht gefunden hätte, wären wir wohl zerbrochen", sagte deren Schwester Jahre später. Helmut Eigner hat die Akten im Fall Grüneklee all die Jahre nicht geschlossen. Sie stehen noch immer in seinem Büro. "Vielleicht ergibt sich irgendwann doch einmal was", meint er.

Arbeitsgruppe Altfälle

Bis ein ungeklärter Mord tatsächlich als Altfall im Keller gelagert wird, vergehen Jahre - und auch dann liegen die Akten nur zwei Jahre lang im Dunkeln. "Die Staatsanwaltschaft ordnet in diesem Turnus die Überprüfung von ungeklärten Morden, ja sogar von Mordversuchen an", erklärt Richard Thiess, stellvertretender Leiter der Münchner Mordkommission. 22 Ermittler sind mit versuchten und vollendeten Tötungsdelikten betraut, aufgeteilt in fünf Mordkommissionen. Zusätzlich zu den aktuellen Verbrechen muss jeder Sachbearbeiter mindestens einen ungeklärten Mord aus früheren Zeiten weiterverfolgen.

Immer wieder werden die Akten hervorgeholt und durchkämmt, in der Hoffnung, doch auf eine Ungereimtheit oder einen entscheidenden Hinweis zu stoßen. Der Ermittler entdeckt eventuell einen Zeugen, der vor 20 Jahren zwar befragt wurde, aber der in Ermangelung der technischen Möglichkeiten damals keine DNA-Probe abgegeben hatte. Parallel wird die Arbeitsgruppe Altfälle bei der Spurensicherung aktiv: Sie entwickelt immer wieder neue Methoden zur DNA-Sicherung und holt die Asservate aus dem Keller, um sie erneut auf Spuren zu untersuchen.

Bis ein Mord als Altfall eingestuft wird, vergehen zuweilen sogar Jahrzehnte. Und die Mordermittler haben bis zu diesem Zeitpunkt alle Register ihres Könnens gezogen. "Der Vorteil beim K11 ist natürlich, dass wir bei Kapitaldelikten aus dem Vollen schöpfen können, was Personal, Spezialisten oder technische Möglichkeiten anbelangt", sagt Thiess.

"Wir suchen nach einem möglichen Motiv"

Anfangs rückt nur eine Mordkommission mit fünf Mann an den Tatort aus. Die Spurensicherung sucht nach DNA-Hinterlassenschaften und Fingerabdrücken, Ermittler befragen Hausbewohner, durchleuchten das Umfeld des Opfers, werten technische Daten wie Funkzellen aus. "Wir suchen nach einem möglichen Motiv, beginnen bei den Angehörigen und arbeiten uns dann in Bereiche wie Hobbys, Vorlieben, Arbeitsplatz vor", erklärt Thiess. Handys, Rechner, Unterlagen, alles wird nach Ungereimtheiten durchforstet.

Wenn es um einen ungeklärten Mord an einem Kind geht, wird eine Sonderkommission eingerichtet. Oder wenn absehbar ist, dass die Ermittlungen umfangreich werden oder die Gefahr besteht, dass der Täter erneut zuschlagen könnte. Beim Isarmord beispielsweise, wo rasch klar war, dass zwischen Täter und Opfer keine Vorbeziehung bestand, wurde die "Soko Cornelius" mit über 30 Ermittlern ausgestattet. Der Täter wurde als gefährlich eingestuft, und es war klar, dass die Ermittlungsarbeit umfangreich werden würde. Die Kripo bat Tausende Männer zum Speicheltest, überprüfte alle Handynummern, die am Tattag in der Funkzelle nahe des Europäischen Patentamtes eingeloggt waren. Bislang ohne Erfolg. Hunderte Spuren verfolgte die Sonderkommission von Mai bis Dezember. Und irgendwann war das Gros der Spuren abgearbeitet, die Hinweise versiegten, die Sonderkommission wurde aufgelöst. Jetzt befasst sich ein kleineres Team mit der Abarbeitung der Spuren.

"Es wird wirklich jede Spur bis zum Ende verfolgt", berichtet Richard Thiess. Wenn tatsächlich kein Ermittlungsansatz mehr übrig geblieben ist, entscheidet die Mordkommission - oder die ganze Dienststelle -, ob der Fall ad acta gelegt wird. "Oft fällt einem anderen Ermittler doch noch ein Ansatz ein oder eine Parallele zu einem anderen Mordfall." Erst wenn die Akte "schweren Herzens" im Keller gelagert wird, sprechen die Ermittler von einem Altfall. Allerdings, sagt Thiess, habe man "in den letzten Jahren keinen Altfall produziert". Das heißt: Alle ungeklärten Morde sind in Bearbeitung. Denn natürlich hat jeder Ermittler den Ehrgeiz, einen Fall aufzuklären. "Und wir sind es den Angehörigen schuldig. Erst wenn der Fall gelöst ist, können sie mit der Trauerarbeit beginnen."

Es kommt aber auch vor, dass sogar die Täter erst nach ihrer Überführung zur Ruhe kommen. Der Fräser Rene L. zum Beispiel war sichtlich erleichtert, als ihn Ermittler der Mordkommission 2004 in Bremerhaven festnahmen. 13 Jahre zuvor hatte der Zeitarbeiter die irische Studentin Sinead O. am Campingplatz in Thalkirchen vergewaltigt und ermordet. Die Bilder und Geräusche in seinem Kopf ließen ihn ein Leben lang nicht los. Bei jeder Polizeisirene zuckte er zusammen. Erst in der Zelle konnte er ohne Angst nachts schlafen.

Jene Täter, die noch frei herumlaufen, müssen weiterhin mit der Angst leben, doch noch erwischt zu werden. Die technischen Möglichkeiten, was Fingerabdrücke und DNA-Analyse anbelangt, werden immer raffinierter. Thiess kann sich außerdem vorstellen, dass DNA-Spuren bald mit einer neuen Technik aufgearbeitet werden können: der Isotopen-Analyse, die Aufschluss darüber gibt, woher der Täter stammt und wo er sich wie lange aufgehalten hat.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: