Süddeutsche Zeitung

Umwelt:Mysteriöses Bachforellensterben in der Isar

Alles freut sich über die naturnah gestaltete Isar, nur die Bachforelle nicht. Neun von zehn Tieren sterben in diesen Tagen. Und niemand weiß warum.

Von Thomas Anlauf

Es geht zu Ende. Reglos steht die Bachforelle im seichten Wasser der Isar, nur das Maul öffnet und schließt sich ungewöhnlich rasch. Zwei Stockenten paddeln direkt über dem sterbenden Fisch, dessen 40 Zentimeter langer Körper in ein merkwürdiges dunkles Grau gefärbt ist.

"Normalerweise sind Bachforellen goldgelb", sagt Sebastian Hanfland und beugt sich nah an die Wasseroberfläche, um die Forelle genauer zu betrachten. Der Geschäftsführer des Landesfischereiverbands steht mit Frank Meißner vom Verein Isarfischer südlich der Wittelsbacherbrücke in München, um ein mysteriöses Bachforellensterben zu dokumentieren, dessen Ursache bislang niemand kennt.

Neun von zehn Bachforellen in der Isar verenden seit Jahren jeden Spätsommer zwischen Ende August und Anfang September. Auch andere Voralpenflüsse sind betroffen, etwa die Iller bei Kempten, die Mangfall bei Bad Aibling und die Ammer bei Peißenberg. Doch derzeit ist das rätselhafte Fischsterben besonders deutlich an der Isar in München zu beobachten. Mit der Renaturierung des Flusses entstanden Flachwasserzonen und Gumpen, Stromschnellen und ruhige Flussbereiche, ideale Orte für Fische.

Gleichzeitig befinden sich genau dort auch die Liegewiesen und Uferbereiche, die die Münchner so lieben gelernt haben. Viele fragen sich derzeit beim Spazierengehen oder Sonnen, warum plötzlich im seichten Wasser regungslose Forellen zu sehen sind oder sogar tot am Ufer liegen. "Es muss irgendwas im Gewässer sein, das den Fisch so stresst, dass er erkrankt", sagt Fischereibiologe Hanfland. Er forscht seit Jahren an der Ursache für das Massensterben, das ausschließlich die Bachforellen betrifft.

Zunächst hatten die Wissenschaftler vermutet, dass die höheren Wassertemperaturen im Spätsommer und niedrigerer Sauerstoffgehalt in den Flüssen in Kombination mit Umweltgiften der Auslöser für die Krankheit sein könnten. Doch davon ist man mittlerweile abgekommen. Die Experten von Landesfischereiverband (LFV), Landesamt für Umwelt (LfU) und TU München sind sich laut Hanfland weitgehend einig, dass das Bachforellensterben von einem bislang unbekannten Virus ausgelöst wird.

Die Fische weisen im Endstadium der Krankheit stets die gleichen Symptome auf: Sie werden apathisch, die Körper mit den charakteristischen roten und dunklen Punkten verfärben sich fast ins Schwarze, schließlich erblinden die Tiere. Da die erkrankten Bachforellen immer mehr an Kraft verlieren, begeben sie sich ins Flachwasser in Ufernähe, wo die Strömung nicht so stark ist, und verenden dort.

Für Frank Meißner, Vorstandsmitglied der Münchner Isarfischer, ist das Phänomen des Forellensterbens eine Tragödie. Würden die Naturschützer nicht jedes Jahr selbst aufgezogene Jungfische im Fluss aussetzen und so den im September völlig dezimierten Bestand wieder erhöhen, "wäre die Bachforelle in der Isar schon ausgestorben".

Dabei ist die Bachforelle im Oberlauf der Isar der sogenannte Leitfisch im Fluss. Auch in München würde er sich grundsätzlich wohlfühlen, wäre da nicht der viele Trubel durch Badende, Feiernde und Hunde, die zur Abkühlung gerne in den Fluss springen. Im Frühjahr, wenn die Fische noch klein sind, halten sie sich laut Meißner in den geschützten Bereichen der Isar auf, im offenen Fluss wären sie leichte Beute von großen Fischen, aber auch von Kormoranen und Gänsesägern.

Doch dann kommen schon die ersten Badegäste an die Isar und scheuchen die Jungfische auf. Die Folge ist Stress für die Tiere. Der könnte nach Ansicht von Hanfland den Ausbruch der mysteriösen Krankheit begünstigen. Untersuchungen an zwei Flüssen in Österreich hätten ergeben, dass Huchen, die größte Forellenart, dort häufiger sterben, wo viele gut besuchte Badestellen sind.

Das ist ein Dilemma für die Fischer. Durch die Renaturierung der Isar wurden einerseits Plätze geschaffen, wo sich selbst selten gewordene Fische wieder aufhalten. So wurden schon bald nach Ende der Flussbauarbeiten im Sommer 2011 Arten entdeckt, die zuvor nicht in der Stadt gesichtet wurden. So sei München "die einzige Großstadt, wo sich Huchen sogar vermehren", sagt Hanfland.

Der bis zu eineinhalb Meter lange und 30 Kilogramm schwere Raubfisch, der auf der Roten Liste gefährdeter Arten steht, kann im April von manchen Brücken aus beim Laichen beobachtet werden. Andererseits ist die Isar durch den Umbau bei den Münchnern so attraktiv geworden, dass die Naturschützer um die Fischbestände bangen. "Der Huchen ist tragischerweise extrem bedroht", sagt Meißner. Für die Forellenart gebe es nur wenige Laichmöglichkeiten und die werden oft versehentlich durch Badende zerstört.

Doch am meisten Kopfzerbrechen bereitet den Naturschützern das mysteriöse Bachforellensterben. Wenn Fischereibiologe Hanfland in diesen Tagen mit Kollegen an der Isar entlanggeht, hat er schon mal einen Kescher und eine große Wanne dabei, um einen todkranken Fisch für eine gründliche Untersuchung einzusammeln. Der wird dann möglichst noch lebend oder frisch verendet und auf Eis gelegt an die zuständige Fachberatung für Fischerei gebracht.

Da aber trotz jahrelanger Forschung noch immer nicht klar ist, woran die Fische erkranken und schließlich sterben, verfolgt der Fischereiverband nun einen weiteren Ansatz, um die Bachforellen vor dem Aussterben zu retten: Bei der Aufzucht untersuchen Wissenschaftler, ob es resistente Stämme unter den bedrohten Fischen gibt. Hanfland hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

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SZ vom 03.09.2016/jey
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