Ein ungenutztes Dachgeschoss im ehemaligen Werkstättengebäude der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewofag? Da hätten sicher noch acht minderjährige Flüchtlinge Platz, schätzt Sozialreferentin Brigitte Meier - sofern Brandschutz und Heimaufsicht mitmachen. 32 Plätze sind seit August 2014 dort genehmigt und zumeist voll belegt. Am Freitag hat Meier die Jugendhilfeeinrichtung in Ramersdorf besucht. Denn nun weiß sie, dass sie jeglichen Platz für junge Flüchtlinge, die ohne ihre Eltern in München ankommen, noch sehr viel dringender benötigt.
Am Mittwoch hatte sie im Stadtrat noch von 7000 gesprochen, um die sich das Münchner Stadtjugendamt in diesem Jahr kümmern muss, seit Donnerstagabend liegt ihr eine korrigierte Prognose aufgrund der Zugänge im Juni vor. "Da ist mir schlecht geworden", sagt Meier: Das Jugendamt gehe nun von 10 000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus. Das wären viermal so viele Erstaufnahmen wie im vergangenen Jahr.
Tatsächlich seien, wie die Altersfeststellung nach der Erstaufnahme ergebe, davon nur etwa 60 Prozent minderjährig. Das bedeutet, dass das Jugendamt dieses Jahr etwa 6000 minderjährige Flüchtlinge in Obhut nehmen muss, wie es in der Fachsprache heißt: Sie müssen in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht werden.
Die meisten Flüchtlinge kommen im September
Zwar hat das Jugendamt im ersten Halbjahr nur 1400 Inobhutnahmen gezählt, aber aus dem typischen Jahresverlauf bei der Einreise von Flüchtlingen ergibt sich, dass diese Zahl bis zum Jahresende wohl um 4600 steigen wird. Denn in den Sommermonaten sind die Fluchtrouten besser passierbar, der Höhepunkt wird meist im September erreicht.
Das stellt die Stadt vor gewaltige Anforderungen, "wir haben einen enormen zusätzlichen Bedarf an Unterbringungsplätzen, an Betreuungspersonal und Verwaltungspersonal", sagt Meier. Es gibt zwar Hoffnung, dass sich die Situation wieder etwas entspannen könnte, wenn im nächsten Jahr minderjährige Flüchtlingen bundesweit verteilt werden - so wie es bei den Erwachsenen der Fall ist. Eine gesetzliche Neuregelung dazu erarbeitet Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig.
Bis sie in Kraft tritt und Wirkung zeigt, wird wohl noch ein Jahr vergehen, meint die Sozialreferentin. Bis dahin müssten monatlich 400 Jugendliche aus München in Jugendhilfeeinrichtungen im übrigen Bayern verteilt werden. Und selbst unter dieser Voraussetzung müssen in München zu den derzeit vorhandenen 900 Bettplätzen weitere 1000 entstehen. Die sollen in Gebäuden wie etwa dem neuen Ankunftszentrum in der Marsstraße 19 (150 Plätze) oder auch in Containerbauten entstehen.
Es fehlt an Platz und Pädagogen
Zur Not will Brigitte Meier im Herbst auch wieder "The Tent", das Jugendübernachtungslager am Kapuzinerhölzl, vorübergehend nutzen. Viel mehr Sorgen als die Standortsuche aber macht der Sozialreferentin, dass sie zur Betreuung der Jugendlichen etwa 150 pädagogische Fachkräfte zusätzlich benötigt. Weil die aber kaum noch zu finden sind, hat das Jugendamt die zwölf freien Träger der Jugendhilfe zusammengeholt und gebeten, erfahrenes Personal im Wege der befristeten Abordnung, über Arbeitszeitaufstockung oder zusätzliche 450-Euro-Jobs für die Aufgabe zu gewinnen.
Die Träger arbeiten inzwischen eng zusammen, betreiben die Einrichtungen mit ihren gemischten Teams, wie Andreas Dexheimer berichtet, Leiter der Flexiblen Jugendhilfe München der Diakonie Rosenheim. Obwohl sie zusammen 230 Vollzeitstellen neu geschaffen und besetzt hätten, "rennen wir den Ankunftszahlen hinterher". Dabei habe das alles mit normaler Jugendhilfe nichts mehr zu tun: Dort sei eine Fachkraft für zwei Jugendliche zuständig, bei den Flüchtlingen für fünf.
Vor dem Hintergrund der Entwicklung, dass immer mehr jüngere Kinder - das jüngste war erst acht Jahre alt - allein ankommen, sieht Dexheimer einen deutlich höheren Bedarf an Betreuung. "Wir haben etwa 90 Kleine, darunter viele 12- bis 13-Jährige, die auf der Flucht von ihrer Familie getrennt wurden, ihre Eltern sind verloren gegangen oder tot." Die meisten jungen Flüchtlinge kommen aus Afghanistan, Syrien, Irak, Somalia und Eritrea, sie bekämen zu mehr als 90 Prozent ein dauerhaftes Bleiberecht.