Umzug Süddeutsche Zeitung:Der letzte Redakteur

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Jetzt ist Schluss: In der Sendlinger Straße sind jetzt die Lichter aus

Joachim Käppner

Der Redakteur, am Freitag zuständig für die Abnahme seiner Ressort-Büros, hat geschaut, ob alles passt; alle Umzugszettel richtig ausgefüllt, alle Computer abgeschaltet sind; er ist noch ans Telefon gegangen, das in die verwaisten Räume hineinbimmelte. Dann steht er im Hof, betrachtet in nicht unpathetischer Stimmung noch einmal die alten Gebäude, in denen er so viele Jahre verbracht hat, nickt dem Pförtner zu und geht hinaus auf die Straße. Da summt das Handy.

Ein Kollege vom Newsdesk. Er habe soeben von einer wichtigen Geschichte gehört. Ob der Redakteur die Recherchen mitorganisieren könne? Der sagt zu, fast dankbar für einen so vertrauten Vorgang inmitten all der Auflösung des Vertrauten, und begibt sich zurück in die Redaktion, oder besser: in das Haus, wo sie gestern noch war. Er findet ein Großraumbüro, das bis zuletzt in Betrieb ist. Zum Glück. Ein Ort des Asyls. Anruf hier, Anruf dort, Adressliste suchen, Internetrecherche, Telefonieren mit Kollegen im Ausland - alles nicht leicht, wenn das eigene Büro gerade umzieht.

"Geh heim, sonst packen sie dich auch ein"

Aber auch hier nahen die Schritte der Packer auf dem Flur. Ein Kollege verabschiedet sich mit den Worten, er fühle sich wie die Helden im "Herrn der Ringe", als die Orks, Krieger der Dunkelheit, in den Höhlen von Moria immer näher herankommen. Man hört ihre Trommeln, ihre Schritte, gleich werden sie da sein.

Der Redakteur selbst ist mehr an die Sandburgen seiner Kindheit erinnert, in denen er hockte, während die Flut erst die Außenwälle wegspülte, dann die innere Burg und schließlich den Turm, so fest dieser auch errichtet war. Keiner von der Zeitung ist mehr da, die ersten sind schon im Hochhaus. Aber er ist noch hier. "Geh heim, sonst packen sie dich auch ein", haben die scheidenden Kollegen gerufen. Jetzt steht ein Riese im roten Overall neben ihm, etwa doppelt so breit wie der Redakteur. "Sie müssen jetzt leider Schluss machen", sagt er sehr höflich.

Roten Riesen widerspricht man nicht. Der Letzte, so heißt es, schaltet das Licht ab. Der letzte Redakteur schaltet den PC ab, windet sich zwischen weiteren Riesen und von diesen unbeachtet hinaus ins Freie, Heimatlose, Unbehauste. Er hat Umzüge noch nie leiden können.

© SZ vom 03.11.2008/reb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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