Süddeutsche Zeitung

Umzug der SZ:Ein Nachruf auf den Paternoster

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Der Paternoster brachte seit den frühen Zeiten des Blattes die Redaktionsangehörigen von Stockwerk zu Stockwerk. Jetzt ist er weg, wie traurig!

Axel Hacke

Bedrückt habe ich zur Kenntnis genommen, dass die SZ-Redaktion bei ihrem Umzug den Paternoster nicht mitgenommen hat, der seit den frühen Zeiten des Blattes die Redaktionsangehörigen von Stockwerk zu Stockwerk brachte. Dies sei nicht möglich gewesen, heißt es, das neue Hochhaus habe 27 Etagen, der Paternoster könne mit seinen vierzehn Kabinen aber nur sechs erschließen. Nun ja. Aber diese sechs, meine ich, hätten sich doch auch im neuen Haus gefunden, irgendwo mitten drin oder ganz oben, wenn man nur gewollt hätte, schade, schade.

Also bleibt er zurück, und ich mag mir nicht vorstellen, was nun aus ihm wird, das Entsetzlichste ist denkbar. War nicht der Paternoster das wunderbarste Symbol der Zeitungsarbeit, die (wie der Paternosterlauf auch) nie wirklich endet, sondern immer nur durch das Erscheinen des neuen Blattes unterbrochen wird? Führte er uns nicht den unerbittlich gleichmäßigen Lauf der Zeit vor Augen?

Ich habe bis zum Jahr 2000 knapp 20 Jahre der Redaktion angehören dürfen, und ich hätte das ohne Paternoster nicht geschafft. Denn als ich eines Tages Streiflicht-Autor wurde, war meine erste Aufgabe, bei vollständiger Themen-Ebbe über die Tatsache zu schreiben, dass es im Mai schneite. Ein Anfängerfehler, sich auf dieses Un-Thema einzulassen, ich hatte noch nicht gewusst, dass man sich in solchen Krisenlagen in der Konferenz hinter einer Zeitung verbergen musste, sie am besten gar nicht aufsuchte, und auch am Telefon nicht erreichbar sein durfte.

Eine halbe Stunde vor Redaktionsschluss hatte ich erst zwanzig Zeilen. Dem psychischen Zerfall nahe, die Haare wirr, die Augen glanzlos, wankte ich auf den Redaktionsflur, meine Entlassung gewärtigend, denn wie sollte die Zeitung ohne Streiflicht erscheinen? Der Kollege C.H.Meyer erkannte meine Not. Er empfahl: eine große Runde im Paternoster, mutig weder oben noch unten aussteigen, sich den Zahnrädern und Ketten aussetzen, drei Minuten siebenundzwanzig, die ganze Tour. Danach wieder ans Werk! Das half. Nach zwanzig Minuten war der Text fertig, der Paternoster hatte meine Karriere gerettet.

Viele von uns waren der Wundermaschine so innig verbunden. Mancher entschied nach der morgendlichen Fahrt, ob es ein guter Tag würde oder nicht: Die Kabinen eins und zwei, eventuell drei bedeuteten Glück, dreizehn und vierzehn drohendes Versagen. Der erwähnte Meyer gewann einen gewissen Einfluss auf das Schicksal, denn er konnte "nach unerbittlichem Üben" (wie er nie zu erwähnen vergisst) den Paternoster mit Hilfe telekinetischer Maßnahmen antreiben oder verlangsamen - eine Fähigkeit, die allen anderen versagt blieb.

Wir waren dem Gleichmut der Maschine und ihren Rätseln ausgeliefert. Aber wenn wir vom Mittagessen tatendurstig wieder an unsere Plätze eilten, missachteten wir einschlägige Gesetzesvorschriften, wonach nie mehr als zwei Personen in einer Kabine sein dürfen. Unser Rekord lag bei acht, ach, wir haben wahrhaft Großes geleistet in jenen Jahren und an jenem Ort, seufz, seufz.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2008
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