Münchner Stadtbücherei:So viel Logistik steckt im "Bauch" der Gasteig-Bibliothek

Münchner Stadtbibliothek Gasteig

Hier wird nur ein Teil der vielen Medien gelagert.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Mit einem ausgeklügelten System versorgt das Verteilerzentrum die Stadtteilbibliotheken mit Büchern. Für den anstehenden Umzug muss alles raus. Einen geeigneten Platz für das Magazin gibt es noch nicht.

Von Günther Knoll

Exakt 120 Zentimeter, breiter ist diese Tür nicht. Bisher aber sind die Beschäftigten der Stadtbibliothek ganz gut damit zurechtgekommen, auch wenn hier kaum zwei Personen mit Normalstatur nebeneinander passen. Für einen Gabelstapler ist die Öffnung viel zu schmal, und trotzdem läuft die ganze komplizierte Logistik der Bücherei durch diese eine Tür in der Tiefgarage des Gasteig-Gebäudes.

Sie ist das Tor zum "Bauch" der Bibliothek, wie ihr Verwaltungschef Peter Becker den Magazinbereich nennt. Dort lagern mehr als eine Million Medien, dort befindet sich auch das Verteilerzentrum für all das, was draußen in den Stadtteilbibliotheken gebraucht wird, nicht nur Bücher und andere Medien, sondern auch das Zubehör für den Betrieb, vom Computer über Putzmittel bis hin zum Klopapier.

Mario Klassig ist einer der Fahrer, die dafür sorgen, dass das alles rechtzeitig an den richtigen Ort kommt. Sie teilen sich die Arbeit in Sechs-Tage-Schichten auf in Außen- und Innendienst. Wenn Klassig nicht im Auto auf Ost- oder Westtour zu den Büchereien von Allach bis ins Westend fährt, dann ist er im Magazin zu Fuß unterwegs, um die Lieferungen herzurichten oder entgegenzunehmen. 13 000 Schritte pro Tag läuft er da im unterirdischen Bereich des Gasteigs. Er deutet auf seinen Schrittzähler, mit dem er das ganz genau gemessen hat. Wie oft Klassig dabei durch den 1,20-Meter-Engpass muss, das hat er noch nicht gezählt.

Etwa 3500 Medien gehen täglich durch diese Tür. Sie alle werden in Plastikkisten transportiert, in die nicht mehr als 20 bis höchstens 25 Bücher passen. Etwa 120 Kisten werden es am Ende des Tages sein, die Mario Klassig und sein Kollege Alexander Feicht als Innendienstler von der Poststelle in die Tiefgarage bringen, wo die Fünftonner für die Touren in die Stadtteile stehen. Die Lieferwagen sind ursprünglich für Bäckereien konzipiert, die eigene Mannschaft aber habe sie für die Bibliotheksbedürfnisse umgebaut, sagt Becker stolz. Nicht länger als einen Tag wartet ein Kunde in einer der Filialen, bis er das bestellte Buch oder die gewünschte CD abholen kann, wenn sie dort nicht vorrätig ist.

In der Poststelle werden neben Neuerwerbungen auch die vielen Zeitschriften angeliefert, welche die Bibliothek bezieht. Und schließlich parken unten in der Tiefgarage noch die Bücherbusse der Stadt. Es sind fünf, vier davon fahren rund 120 Schulen der Stadt ab. Jeder Bus hat knapp 30 000 Medien an Bord. Dass die Busse keine Klimaanlage haben, auch das liegt laut Becker an den Raumverhältnissen, in diesem Fall an der Garageneinfahrt. Die wäre bei dem entsprechenden Aufbau auf dem Autodach zu niedrig für die Busse.

Auch heute noch kommen Delegationen, um sich das System anzusehen

In der "Freihandbibliothek" oben im Kulturzentrum wartet der Kunde im Schnitt nur 30 Minuten auf ein Buch, eine CD oder ein anderes Medium, das auf kurzem Weg von unten aus dem Magazin gebracht wird. Die Zustellung erledigt ein mechanisches System, das sich Telelift nennt und aus einer Art Förderbändern mit Körben besteht. Beim Bau der Bibliothek sei das die modernste Buch-Transportanlage in ganz Europa gewesen, sagt Anke Buettner, die für Programm und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Auch heute noch kämen Delegationen, um sich dieses System anzusehen.

Für Nutzer aber sind andere Besonderheiten interessant: Läuft man durch die vier Stockwerke des Magazins, so fällt im Vorbeigehen die viele Musik-Spezialliteratur auf. Diese Fachbibliothek umfasst mehr als 250 000 Titel. Mit etwa 60 000 ist die philatelistische Bibliothek zwar deutlich kleiner, aber für Experten in ganz Deutschland die Adresse Nummer eins. Dann zeigt Peter Becker seinen erklärten Lieblingsraum: Buchbinderei heißt der offiziell. Jedes neue Buch, jede neue CD wird katalogisiert, eingeschweißt und dann mit einem Zeichen versehen, um das Suchen leichter zu machen. Drei Millionen Euro stehen jährlich für Neuerwerbungen zur Verfügung. "Wenn wir neue Bücher kaufen, dann in der Regel gleich 40 Stück", erklärt Becker. Bei Bestsellern, vor allem in der Kinderliteratur, können es auch schon einmal 200 Exemplare sein. Gekauft werde ausschließlich bei kleinen Münchner Buchhandlungen, "die bringen das dann in der Sackkarre rein".

1,73 Werke pro Einwohner

Im Jahresbericht der Münchner Stadtbibliothek für 2017 heißt es, dass auf jeden Einwohner der Stadt 1,73 Medien in der Bücherei kommen. Das bedeutet einen Bestand von 2 636 135 Medien, fast die Hälfte davon befindet sich im Magazin, nämlich 1 229 820. Insgesamt 190 745 Medien wurden im vergangenen Jahr neu erworben, dazu gehörten auch Zeitschriften. Den größten Bestand führt die Stadtbibliothek am Gasteig mit 1 454 947 Medien, in den 21 Stadtteilbibliotheken ist der Gesamtbestand mit 796 332 Exemplaren gut halb so hoch. Auch die fünf Bücherbusse fahren fast 130 000 Medien durch die Stadt.

Diese vielen Bücher, Medien, Spiele und andere Datenträger werden auch sehr gut genutzt, wie die Statistik für 2017 beweist. 11 993 880 Entleihungen inklusive Verlängerungen wurden stadtweit verzeichnet, fast fünf Millionen davon im Bereich der Kinder- und Jugendmedien. 8,1 Millionen dieser Entleihungen konnten die Stadtteilbüchereien verzeichnen, die auf 3,5 Millionen Besuche im vergangenen Jahr kamen. Im Gasteig wurde die Million bei der Zahl der Besuche knapp verfehlt, man zählte 937 788.

Ausleihvorgänge verzeichnete die Stadtbibliothek im vergangenen Jahr insgesamt gut sieben Millionen, das bedeutet pro Öffnungstag mehr als 28 600. Jedes Medium mit Ausnahme der aus Magazin oder Archiven wurde im Schnitt 8,53 mal entliehen. kg

Beim Betrieb dieser riesigen Bibliothek gilt offensichtlich das Prinzip der einfachen Lösung. Die zwei gut fünf Meter hohen unterirdischen Etagen sind mit einer Gitterdecke noch einmal unterteilt, so dass für das Magazin vier Geschosse zur Verfügung stehen. Die niedrige Raumhöhe erleichtert den Zugriff und die Suche. Doch offensichtlich gibt es neue Pläne. Die Zwischendecke einer Etage soll raus, "das gibt ein schönen Raum für die Öffentlichkeit", schwärmt Becker. Man brauche mehr Platz für das Publikum, "im Moment werden wir überrannt, um fünf vor zehn warten die Leute schon vor der Tür".

Das bleibt aber vorerst einmal Zukunftsmusik. Denn auch die Bibliothek muss umziehen, wenn das Kulturzentrum am Gasteig von Anfang 2021 bis Ende 2025 saniert wird. Sicher ist: Ein großer Teil, nämlich der publikumsträchtige mit den vielen Veranstaltungen, soll mit anderen Gasteig-Nutzern auf das Stadtwerke-Areal in Sendling ausgelagert werden. Doch für das Magazin ist dort kein Platz. "Wir suchen im Moment nach einem geeigneten Standort", sagt Anke Buettner. Der müsse möglichst zentral liegen, außerdem sei die Frage der Statik zu prüfen. Das alles werde "tierisch schwer". Auch der Umzug selbst dürfte kein Kinderspiel werden "Mit unseren Autos wären das gegenwärtig 6000 Fahrten", hat Becker ausgerechnet. Und da ist ja auch noch der Engpass mit den 120 Zentimetern.

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