Ökologische Bildung:"Über die Tiere kommst du maximal an die Kinder ran"

Lesezeit: 3 min

Heinrich Wolfensberger und eine seiner Edelziegen. (Foto: Claus Schunk)

Als junger Mann wollte Heinrich Wolfensberger zur Fremdenlegion. Nun bringt er seit 35 Jahren im Umweltgarten Stadtkindern Tiere und Pflanzen näher. Ganz friedlich.

Von Stefan Hunglinger und Sarah Kohler, München

Im Ohr ein goldener Ring. Am Finger ein weiterer. Und auf dem sonnenbraunen Nacken eine dünne Goldkette. Heinrich Wolfensberger hat etwas von einem Abenteurer. Und auch die Geschichte des Südtirolers klingt nach Heldenreise. "Heute kann ich gut darüber lachen", sagt er in seinem rollenden Deutsch, "aber als junger Mann wollte ich eigentlich zur französischen Fremdenlegion." Gelandet ist er stattdessen ganz friedlich zwischen Tieren und Kindern südöstlich von München.

Ein feiner Regen benetzt an diesem Julimorgen die Sträucher und Kräuter im Umweltgarten Neubiberg. Die Karpfen im Weiher kommen an die Oberfläche, der Truthahn plustert sich. Auf der Weide nebenan grasen gleichgültig die Deutschen Bunten Edelziegen - und das Pony Toska. Seit fast 35 Jahren lebt Toska hier. 122 Menschenjahre wären das umgerechnet, sagt Wolfensberger.

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Die Stute ist schon dabei, als der Umweltgarten Neubiberg Ende der Achtzigerjahre auf dem 3,5 Hektar großen Gelände die Tore öffnet. Gemeinderat, Ortsvereine und engagierte Bürgerinnen und Bürger hatten innerhalb weniger Jahre diesen Ort für ökologische Bildung geschaffen. Und eine Heimat, nicht nur für bedrohte Tierarten, sondern auch für einen orientierungslosen jungen Italiener. Heinrich Wolfensberger wächst auf einem kleinen Bauernhof in Südtirol auf, in der Nähe vom Kalterer See. Mitten in der Natur. Der Großvater ist die Bezugsperson des Jungen. Er sammelt Kräuter mit ihm. Auch Wacholder, um Speck damit zu räuchern. Doch dass der Junior nicht bleiben wird, ist klar. "So wie es früher üblich war: Der älteste Bruder übernimmt den Hof. Ich habe noch sieben Geschwister und ich bin mittendrin", sagt er, und es schwingt noch heute ein leises Bedauern in seinen Worten mit.

In Kiel stolpert der Südtiroler über die Sprache

Wolfensberger muss also woanders sein Glück suchen. Er träumt kurz vom Soldat-Sein, doch das treibt ihm der Pflichtdienst in der italienischen Armee bald aus. Er geht nach Deutschland. Im Norden, in Kiel, fühlt er sich mit der Sprache nicht so richtig wohl, das harte "ck" gefällt Wolfensberger nicht. So kommt er "sukzessive" hier herunter nach München, wie er sagt. "Ich war dann in einer Baumschule", sagt der Gärtner und lacht. "Wirklich."

Als die Gemeinde Neubiberg den neuen Umweltgarten nicht mehr alleine mit Zivildienstleistenden bewirtschaften kann, kommt Wolfensberger als Hauptamtlicher dazu - und bleibt. 30 Jahre lang wohnt er sogar vorne am Marktplatz, im Informationshaus des Projektes. "Das war eine superschöne, aber auch intensive Zeit", erinnert er sich. 24 Stunden, sieben Tage die Woche war er für den Garten und die Besucherinnen da. Es ist mehr Berufung als Beruf. Schließlich hat sich der 58-Jährige seine eigenen vier Wände zugelegt - und fühlt sich langsam nicht mehr "toujours" verantwortlich. Auch, weil er weiß, dass er nicht ewig hier arbeiten können wird. Auch, weil er gute Mitarbeitende angelernt hat.

"Die Tierhaltung war am Anfang sehr umstritten", erinnert sich Heinrich Wolfensberger. "Aber über die Tiere kommst du maximal an die Kinder ran. Die Tiere öffnen die Kinder." In den Schulklassen, die Wolfensberger im Umweltgarten unterrichtet, sind mittlerweile viele ukrainische Kinder. "Die haben natürlich noch extrem Schwierigkeiten, das ist ja klar. Aber ich finde es super, wie man versucht, sie zu integrieren. Kinder lernen von Kindern am schnellsten und besten."

Wolfensberger macht "ganz viele Dinge gerne". Er hat sogar einen Jagdschein. Doch sein "persönliches Juwel", das ist der Teich. Bei ihm klingt es wie "Deich", und den anzulegen, das war gar nicht so einfach. "Wir sind hier auf der Münchner Schotterebene, da versickert alles sehr schnell", erklärt er. Aber jetzt ist er da, der Teich. Und abends beobachten sie Fledermäuse, morgens kommt ein Graureiher vorbei, Spechte leben hier und Igel."

Es ist ein grünes Paradies. Ein gefährdetes

Obwohl die S7 immer wieder hör- und sichtbar vorbeifährt, bleibt es ein grünes Paradies. Ein gefährdetes Paradies. Denn das Grundstück weckt Begehrlichkeiten. Die Quadratmeterpreise liegen bei etwa 2000 Euro und die Stadt drückt. Als die Besitzerin der Fläche stirbt, steht der Umweltgarten auf der Kippe. "Lebenswerk klingt jetzt vielleicht ein bisserl pathetisch, aber wenn man einen Job so lange macht, das hat dann schon wehgetan", sagt Wolfensberger. Es ist der engagierte Kämmerer von Neubiberg, der die Erben des Geländes überzeugen kann, an die Kommune zu verkaufen. Der Druck ist weg. "Erstmal", sagt Wolfensberger.

Jetzt, da er älter wird, denkt er da noch an den Hof der Eltern? "Wenn man hier arbeitet, hat man natürlich so etwas Ähnliches wie einen kleinen Bauernhof", sagt Wolfensberger. Dass es nicht wirklich einer wie alle anderen ist, darüber ist er eigentlich ganz froh. Denn in der professionellen Landwirtschaft, gerade auch in Südtirol, hätten die Bauern finanziellen Druck. Wenn es ihm in Neubiberg mal eine Ernte verregnet, sei es ärgerlich, aber nicht existenziell bedrohlich. "Letztens hat ein regelmäßiger Besucher wieder gesagt: ,Na, Herr Wolfensberger, Sie arbeiten da, wo andere Urlaub machen.' Das ist natürlich übertrieben, weil wir sehr viel zu tun haben", erzählt er - und sieht dabei doch gerade sehr zufrieden aus. Mit seinem goldenen Ring am Finger. Und dem anderen im Ohr.

Der Umweltgarten ist frei zugänglich. Die Tiere sind im Sommer von 8 bis 18 Uhr und im Winter von 8 bis 16 Uhr im Außengehege.

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