Umwelt:Wie grüne Hauswände zu gutem Klima beitragen sollen
Lesezeit: 5 Min.
Damit München auch 2050 noch lebenswert ist, braucht die Stadt nicht nur Wohnungen, sondern auch Grünflächen. Manche Menschen nutzen deswegen jede freie Wand.
Von Thomas Anlauf
Die Luft flirrt. Im Englischen Garten, wo sich vor langer Zeit einmal die Nackerten sonnten, tanzen Staubfahnen über die fast baumlose Savannenlandschaft. Ein Hurrikan hatte vor zwei Jahren weite Teile des Parks verwüstet. Am Horizont leuchtet der Himmel dunkelrot. Seit Tagen wüten Waldbrände im Perlacher Forst, immer wieder angefacht vom heißen Saharawind.
München liegt unter einer Hitzeglocke, selbst nachts kühlt es nicht unter 30 Grad ab. Die Klimapolizei hat deswegen eine Ausgangssperre verhängt, ältere und kranke Menschen werden per Katastrophenwarndienst aufgefordert, sich zu Hause an die Überlebensstationen anzudocken. Die Stadt ist wie ausgestorben, nur hin und wieder heulen Sirenen durch die heißen Häuserschluchten.
Ein Horrorszenario für München in einer nicht allzu fernen Zukunft? "Wenn wir jetzt zu feige und zu zögerlich sind, wird München an heißen Sommertagen ächzen und wir werden froh sein über jede Regenperiode", sagt Martin Hänsel vom Bund Naturschutz in München. Angesichts des Klimawandels, der Metropolen wie München besonders hart treffen wird, fordert er ein radikales Umdenken in der Umweltpolitik, um auch im Jahr 2050 eine lebenswerte Stadt vorzufinden. Der wichtigste Schritt für den Naturschützer ist "die Abkehr von der autogerechten Stadt und der damit einhergehenden Denkweise".
Nur wenn der Autoverkehr in München massiv zurückgedrängt werde, könnte die Stadt nach Ansicht von Hänsel den erwarteten Temperaturanstieg noch in den Griff bekommen. Weniger Autos in den Straßen würden seiner Meinung nach "ein unglaubliches Plus an frei werdenden Flächen" bedeuten. Die Sonnenstraße etwa könnte einseitig gesperrt und begrünt werden, der alte unterirdisch fließende Stadtbach wieder an die Oberfläche geholt werden. "Wir brauchen die Flächen der Straßen, sie müssen massiv begrünt werden", glaubt Martin Hänsel.
Der Münchner Naturschützer steht nicht allein mit seiner radikal klingenden Forderung da. Um dem Temperaturanstieg in den kommenden Jahrzehnten wirksame Mittel entgegenzusetzen, vertrauen auch die Umweltexperten der Stadtverwaltung vor allem auf die kühlende Wirkung von Parks, Grünzügen und Wasserflächen.
Da zu befürchten steht, dass bei der massiven Nachverdichtung vor allem private Immobilienbesitzer Bäume und Grünanlagen auf ihren Grundstücken für mehr Bebauung opfern werden, müsste im Gegenzug die Stadt auf öffentlichem Grund mehr Raum für Grün und vor allem für Bäume schaffen.
Denn der Kühlungseffekt eines Baums sei mittlerweile wissenschaftlich erwiesen. "Er transpiriert und so entsteht Verdunstungskälte", sagt Leander Wilhelm. Der ausgewiesene Baumexperte im städtischen Baureferat sitzt in seinem Büro und deutet auf eine Liste mit lateinischen Namen vor sich.
Ostrya carpinifolia steht dort, Malus tschonoskii und Alnus spaethii, auf Deutsch: Hopfenbuche, Zierapfel und Purpur-Erle. "Die machen sich ganz gut", sagt Wilhelm. Aber auch der Zerreiche (Quercus cerris) bescheinigt der Abteilungsleiter im Baureferat eine blühende Zukunft in München. Die Zerreiche wächst eigentlich auf dem Balkan, ebenso wie die Hopfenbuche. Die Bäume halten Hitze ebenso aus wie anhaltende Trockenheit, aber auch kalte Winter. Ideale Voraussetzungen für das München von Morgen, in dem wochenlange Hitzeperioden vermutlich zur Normalität werden, auch wenn die Winter kalt und feucht bleiben werden.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten untersuchen Experten aus ganz Deutschland, welche Baumarten sich für Großstädte besonders eignen. Dort sind sie von jeher extremem Stress ausgesetzt: höhere Temperaturen, Platzmangel und immer wieder Trockenperioden. Mittlerweile stehen bundesweit an die 50 Arten auf der Liste für die Stadtbäume der Zukunft. München untersucht sogar bis zu 100 Arten, weil die Stadt wegen ihrer hohen Temperaturschwankungen - Hitze im Sommer und teilweise eiskalte Winter - als Extremstandort gilt.
Wegen des Klimawandels beginnen die städtischen Baumbeauftragten bereits jetzt, mehr Arten als die bislang im Stadtbild vorherrschenden Winterlinden und Spitzahorne zu pflanzen. Auch, um mehr hitze- und dürreresistente Bäume zu haben. Die größte Angst der Stadtgärtner sind die wegen der bereits steigenden Temperaturen aus dem Mittelmeerraum importierten Baumkrankheiten.
Seit etwa zwei Jahren kämpfen Wilhelm und sein Team gegen Pseudomonaden, die aus Westeuropa nach München gelangt sind. Die Bakterien schädigen mittlerweile auch große Kastanien so stark, dass sie gefällt werden müssen. "Wir hoffen natürlich nicht, dass die Münchner Biergärten alle betroffen sein werden", sagt Wilhelm. Aber das Bakterium hat München erreicht: "Es ist da."
Die seit acht Jahren zunehmend von einem Pilz befallenen Eschen werden nun sukzessive durch Arten ersetzt, bei denen bislang kein Pilzbefall bekannt ist. Gerade wegen der raschen Ausbreitung von Krankheitserregern versuchen die Münchner Baumschützer, in Zukunft möglichst viele Baumarten im Stadtgebiet zu haben, damit bei einem Befall nicht gleich Tausende Bäume gefällt werden müssten. Das würde das städtische Klima schlagartig verändern.
Denn bis ein nachgepflanzter Baum groß genug ist, bis er Schatten spendet und die Umgebung kühlt, vergehen viele Jahre. Deshalb setzt die Stadt zunehmend auch auf ihre Bürger. Sie sollen, wo es geht, ihre Hauswände bepflanzen, ihre Dächer und Garagen, um so für sich, aber auch ihre Nachbarschaft ein angenehmeres Mikroklima zu schaffen.
Wilhelm Zimmermann ist einer der Münchner, die vormachen, wie das geht. Der 75-Jährige steht an einem grauen Novembertag vor seinem Häuschen in Forstenried und blickt auf seine grüne Hauswand. Im dichten Efeu raschelt es, ein fuchsrotes Eichhörnchen huscht aus dem Blätterwald.
"Der Efeu ist jetzt fast dreißig Jahre alt", sagt Zimmermann. Als er ihn an der Nordwand seines Hauses pflanzte, war er noch als Malermeister in München unterwegs. Manchmal stand er dann vor fremden Häusern, an denen Kletterpflanzen bis unters Dach rankten. "Da habe ich schon mal gesagt: Was habt ihr denn da für ein Zeug, wie soll man denn da streichen?"
Was geschieht mit den Grünflächen?
Aber dann entdeckte der Maler doch seine Liebe zu grünen Hauswänden. Längst hat er sein Haus an fast allen freien Wänden mit Hopfen, Efeu, wildem Wein, Kletterhortensien, Rosen und Winterjasmin bepflanzt. Und er liebt das eingewachsene Haus mit seinen Pflanzen. Ihn ärgern höchstens Leute, die Vorurteile gegen Kletterpflanzen haben, die behaupten, dass diese dem Putz schaden und Ungeziefer beherbergen. Dabei nisten höchstens Vögel im dichten Laub - oder Eichhörnchen verstecken sich darin.
Er weiß aus Erfahrung, dass durch die Pflanzen Staub aus der Luft gefiltert wird und die Fassaden im Sommer längst nicht so aufgeheizt werden wie bei einer nackten Wand. Und es gebe noch sehr viele nackte Wände, die auf ein grünes Kleid warten. "Bei Temperaturen von über 30 Grad wären die Innenstädter sicherlich froh, wenn's ein bisserl kühler wäre", sagt Zimmermann. Aber überall werde gebaut und nachverdichtet, statt Grün gegen den Klimawandel zu schaffen. "Das ist schon ein Widerspruch", findet der pensionierte Malermeister.
Es ist tatsächlich ein Dilemma, in dem die Stadt steckt. Sie will für die Zukunft Zehntausende Wohnungen bauen. Doch was geschieht mit den Grünflächen, die in der Stadt ebenfalls gebraucht werden? Umweltreferentin Stephanie Jacobs versichert, dass trotz des massiven Siedlungsdrucks möglichst alle Parks, Grünzüge und Heideflächen erhalten und neue angelegt werden sollen.
Die Klimakonferenz von Marrakesch hat gezeigt, dass sich die Welt dem Klimawandel stellen muss. Auch eine Stadt wie München. "Wie wir unseren Beitrag leisten können, erarbeiten wir gerade in der Stadtverwaltung", sagt Umweltreferentin Jacobs.
Wilhelm Zimmermann ist da skeptisch. Bei ihm wird in der Nachbarschaft bald noch dichter gebaut. "Und dann werden Hunderte Bäume wegkommen, befürchte ich", sagt er. "Muss das denn sein?"