Umstrittenes Gedenken:Stolpersteine - bald ein Fall für die Justiz

In München soll es Tafeln, Stelen und einen zentralen Gedenkort für NS-Opfer geben - ein Erinnern mit goldenen Steinen am Boden lehnt der Stadtrat aber mit großer Mehrheit ab. Eine Entscheidung, die die Befürworter nicht akzeptieren wollen: Sie kündigen Klagen dagegen an

Von Dominik Hutter und Melanie Staudinger

Die Mehrheit des Münchner Stadtrats hat am Mittwoch die Verlegung von Stolpersteinen abgelehnt, jetzt könnte der Streit um das Gedenken an die Opfer der NS-Diktatur schon bald die Gerichte beschäftigen. Unmittelbar nach der Stadtratsentscheidung kündigte eine Gruppe von jüdischen KZ-Überlebenden eine Klage gegen die Stadt München an. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nannte das gegenüber der Süddeutschen Zeitung einen "völlig falschen Ansatz". Mehrheitsentscheidungen seien Kern der Demokratie.

Mit großer Mehrheit hatte der Stadtrat den Beschluss getroffen, zwar Stelen und Wandtafeln, nicht aber Stolpersteine an den früheren Wohnhäusern von Holocaust-Opfern zuzulassen. Dabei hatten sich die Räte nach dem teilweise heftigen Streit der vergangenen Monate gleich zu Beginn ihrer Plenumssitzung bemüht, Schärfe aus der Debatte herauszunehmen. Bei allen Differenzen dürfe man das gemeinsame Ziel nicht aus dem Auge verlieren: ein würdiges Gedenken an die Opfer der NS-Diktatur. Auf Bitte des Oberbürgermeisters erhoben sich alle Anwesenden und gedachten der Opfer der NS-Zeit. In den Redebeiträgen mehrerer Stadträte war der Unmut herauszuhören, wie hart der Kampf um die Stolpersteine geführt werde. "Rhetorisch hochgerüstet" agierten einige Akteure, klagte CSU-Stadtrat Marian Offman, der auch im Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) sitzt. "Dieser Streit schadet uns allen." SPD-Fraktionschef Alexander Reissl erinnerte daran, dass es in München bereits vielfältige Formen des Erinnerns gebe. Florian Roth (Grüne) bat darum, "respektvoll zu streiten und nicht dem anderen den guten Willen abzusprechen".

Umstrittenes Gedenken: Abstimmung nach monatelangen Kontroversen: Die Grünen im Stadtrat votierten für die Stolpersteine, allerdings auch nicht geschlossen.

Abstimmung nach monatelangen Kontroversen: Die Grünen im Stadtrat votierten für die Stolpersteine, allerdings auch nicht geschlossen.

(Foto: Robert Haas)

Die Entscheidung fiel dann so, wie es die Mehrheitsfraktionen CSU und SPD vorab vereinbart hatten: Tafeln und Stelen werden nur errichtet, wenn die Angehörigen der Opfer keine Einwände erheben. Initiatoren der Mahnmale können aber auch Opfergruppen oder Paten sein. Stolpersteine dürfen auf öffentlichem Grund nicht verlegt werden. Mit CSU und SPD stimmten die Bürgerliche Mitte sowie die Grünen-Politiker Dominik Krause und Hep Monatzeder. Der Stadtrat sprach sich zudem dafür aus, am früheren "Ehrentempel" der Nazis nahe dem Dokumentationszentrum eine zentrale Gedenkstätte mit den Namen aller Münchner Holocaust-Opfer zu errichten. Mit ihrem Votum setzte sich die Rathausmehrheit über den Kompromissvorschlag von Kulturreferent Hans-Georg Küppers hinweg, der Stolpersteine, Tafeln und Stelen gleichberechtigt zulassen wollte. "Ich bin überzeugt, dass mit diesem Vorschlag ein jahrzehntelanger Streit gelöst werden kann", erklärte Küppers.

Auch die Mehrzahl der Grünen sowie die aus FDP, Piraten und Hut bestehende Fraktion FTB sprachen sich für die Zulassung von Stolpersteinen aus. Die Messingtafeln des Künstlers Günther Demnig würden von vielen Opfergruppen als eine sehr gute Form des Gedenkens gesehen", sagte Grünen-Fraktionschef Roth, der dennoch Verständnis für die Gegenseite äußerte. Hauptgrund für die ablehnende Haltung des schwarz-roten Rathausbündnisses, so betonte SPD-Mann Reissl, ist weiterhin das klare Nein der IKG als Vertreterin der größten Opfergruppe: "Darüber kann man sich nicht so einfach hinwegsetzen." Dieses Nein gehe auch keineswegs nur auf die IKG-Vorsitzende Charlotte Knobloch zurück, so Reissl. Schließlich habe der Vorstand noch im Vorfeld der Stadtratsentscheidung einen einstimmigen Beschluss gegen Stolpersteine gefällt. CSU-Stadtrat und IKG-Vorstandsmitglied Offman erinnerte mit bewegenden Worten an das Schicksal seiner Angehörigen in der NS-Zeit. Stolpersteine als Gedenken könne er sich rein persönlich bei der eigenen Familie nicht vorstellen.

Doch nicht alle sehen das so. Eine Gruppe um die Holocaust-Überlebenden Ernst Grube und Peter Jordan hat Hannes Hartung als Anwalt engagiert. Der leitet eine große Kanzleikooperation in München und ist auf Kunst, Restitution und Wiedergutmachung spezialisiert. Seine Argumentation: Wenn die Stadt Stelen zulässt, muss sie auch Stolpersteine erlauben. Rein rechtlich seien beide als Sondernutzung anzusehen. "Wir sind der Überzeugung, dass alle Gedenkformen als gleichwertig einzustufen sind. Ich sehe keine juristische Grundlage für ein Verbot der Stolpersteine", sagte Hartung. In einem Schreiben an die Stadt wird er nun ganz offiziell die Verlegung von Stolpersteinen beantragen. Bleibt München bei der ablehnenden Haltung, will der Jurist vor dem Verwaltungsgericht klagen. "Wir wehren uns dagegen, dass hier in München nur bestimmte Formen des Gedächtnisses erlaubt sein sollen, während sich Stolpersteine in ganz Deutschland mit Würde bewährt haben", sagte der Jurist der SZ.

Bei den Stolperstein-Befürwortern war die Enttäuschung am Mittwoch insgesamt groß. Bis zuletzt hatten einige gehofft, dass sich der Stadtrat doch noch zum Kompromiss von Kulturreferent Küppers durchringen kann. "Heute ist ein schlechter Tag für Demokratie und Erinnerung in München. Und leider ein guter Tag für die vielen Menschen, die einen Schlussstrich unter die Verbrechen von Nazi-Deutschland ziehen wollen", sagte Terry Swartzberg von der Initiative Stolpersteine für München. Auch Demnig, der seit 1997 in mehr als 1000 Städten Stolpersteine verlegt hat, reagierte mit Unverständnis: "Woanders geht es doch auch." Ihn störe, dass die Stadt sich nie mit ihm in Verbindung gesetzt habe: "Das Verhalten grenzt an Ignoranz." Swartzberg und seine Mitstreiter wollen auf jeden Fall weiterkämpfen: "Das sind wir den Opfern von damals ebenso schuldig wie unseren Unterstützern von heute."

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