Ulla Holthoff im Porträt:Mutter des modernen Fußballs

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Ulla Holthoff ist stolz auf ihre Söhne, aber auch auf das, was sie beruflich erreicht hat. (Foto: Catherina Hess)

Otto Rehhagel verweigerte ihr ein Interview, Kollegen unterstellten ihr Ahnungslosigkeit: Ulla Holthoff war die erste Frau, die im Fernsehen ein Fußballspiel kommentierte. Noch heute hat sie einen direkten Draht zur Nationalelf: Mats Hummels ist ihr Sohn.

Von Stefan Galler

Schon ein paar Stunden bevor die Nachricht durchsickert, weiß sie davon. Und zwar aus erster Hand. Mats Hummels würde nicht spielen können gegen Algerien im WM-Achtelfinale. Doch die Journalistin, die in ihrem Haus in München-Waldperlach viel früher von der Erkrankung des Nationalspielers erfährt als sämtliche Investigativ-Kollegen in Brasilien, behält alles für sich. Nicht, dass Ulla Holthoff nicht wüsste, was eine exklusive Nachricht wert ist. Aber schließlich handelt es sich bei jenem Fußballer, der mit einer fiebrigen Erkältung das Bett hüten muss, um ihren Sohn - er hatte sie per SMS über seinen Ausfall informiert.

Der Sportpublizist Oskar Beck hat sie in einer Kolumne einst "Die Mutter des modernen Fußballs" genannt und festgestellt: "Ohne Ulla Holthoff wäre der deutsche Fußball arm dran. Fragen Sie Jogi Löw." Womit Beck nicht nur ihre familiäre Rolle meint, neben Borussia-Dortmund-Profi Mats hat sie in Jonas Hummels, der beim Drittligisten SpVgg Unterhaching spielt, noch einen weiteren kickenden Sohn.

Beck zielte auch auf ihre beruflichen Erfolge ab, denn die 56-Jährige schaffte es, sich in einer Branche durchzusetzen, in der es Frauen vor allem in der Vergangenheit besonders schwer hatten: Sie war die erste Frau, die im Fernsehen ein Fußballspiel kommentierte und hatte später die Idee, am Sonntagvormittag einen Fernseh-Stammtisch über den aktuellen Bundesligaspieltag ins Programm zu nehmen. Mittlerweile ist der "Doppelpass" fest etabliert und diente zahlreichen anderen Talkshows über das runde Leder als Vorbild.

Bücher gab es nur in der Pfarrbücherei

Warum sie Journalistin geworden ist und wieso ausgerechnet im Sport, das kann Ulla Holthoff rational erklären: Sie stammt aus der westfälischen Provinz, aus Welver, eine Gemeinde in der Soester Börde, gelegen zwischen den Städten Soest und Hamm. "Ich komme aus armen Verhältnissen ohne Zugang zur Bildung", sagt sie. Das erste Telefon schafften ihre Eltern an, da war sie 18. Bücher gab es nur in der Pfarrbücherei. Der Vater hatte das Schusterhandwerk gelernt, doch in dieser Gegend konnte er damit kein Geld verdienen, also wurde er Bahnarbeiter.

Zu Hause ging es streng zu, vor allem die Mutter hielt sich mit ihrer Erziehung an das damals prägende Leitmotiv: Mädchen sollten frühzeitig auf ihre Rolle als Ehefrauen vorbereitet werden. Doch die Tochter wollte sich damit nicht abfinden: "Ich leistete Widerstand, rebellierte, war immer in der Opposition", sagt sie. Vor allem das Gefühl, sie sei vom Informationsfluss der großen weiten Welt abgeschnitten, nervte Ulla Holthoff. "Ich wollte Journalistin werden, um das Leben kennenzulernen, das mir in meiner Jugend immer vorenthalten blieb."

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Heute ist ihr Vater 87 Jahre alt und stolz auf das, was seine Tochter und seine Enkel erreicht haben. Sie erzählt: "Einmal sagte er zu Mats: Seit du bei der Borussia spielst, bin ich der König von Welver."

Auf dem zweiten Bildungsweg machte Holthoff schließlich ihr Abitur, über die Lokal- und die Sportredaktion der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung ( WAZ) schaffte sie als 19-Jährige den Einstieg in den Journalismus. Als sie sich zwei Jahre später um ein Volontariat bewarb, erschien das auf den ersten Blick aussichtslos: "Ich hatte kein Studium, war eine Landpomeranze und fühlte mich dumm." Dass sie dennoch genommen wurde, hat wohl damit zu tun, dass einer der WAZ-Verleger ebenfalls Holthoff hieß und man sich deshalb nicht traute, sie zu übergehen: Sie könnte ja mit dem Chef verwandt sein.

Zu diesem Zeitpunkt war Ulla Holthoff längst mit dem Fußballer Hermann Hummels liiert, den sie schon aus ihrer Schulzeit kannte. Er kickte in den obersten Amateurligen, für den Bonner SC, FV Bad Honnef und die Hammer SpVgg. Später war er sogar mal ein Jahr lang Zweitligaprofi, bei der TuS Schloss Neuhaus. Er verstärkte ihre Begeisterung für diesen Sport, die ihren Ursprung in frühesten Kindheitstagen hatte: "Mein Elternhaus lag zwischen dem örtlichen Fußballplatz und der Schule, wo sich die Mannschaften vor den Spielen umgezogen haben. An das Klackern der Stollen in der Sonntagsstille, wenn sie bei uns am Haus vorbeigegangen sind, erinnere ich mich heute noch", sagt Holthoff.

Ausgebildet vom heutigen ARD-Brüsselkorrespondenten Rolf-Dieter Krause gründete sie nach ihrem Volontariat mit Kollegen das erste Büro für Freie Journalisten in Dortmund und heuerte schließlich bei der Tageszeitung Die Welt an, doch ihre progressiv-liberale Geisteshaltung passte nicht recht zum konservativen Weltbild der Springer-Presse. "Ich bin zwar eher pragmatisch als ideologisch, aber das ging letztlich nicht."

Damals gehörte Ulla Holthoff zu den besten Wasserballspielerinnen Deutschlands, weil sie jedoch einmal kritisch über den deutschen Verband geschrieben hatte, blieb ihr eine Karriere in der Nationalmannschaft verwehrt. Auch heute wirkt sie durchtrainiert und sportlich. Man merkt, dass sie auf ihr Äußeres achtet. Sie strahlt Optimismus aus und macht kein Hehl aus ihrer Freude - über ihre Söhne, aber auch über das, was sie beruflich erreicht hat.

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Denn so richtig startete Ulla Holthoff Anfang der Neunzigerjahre durch, als sie zum ZDF kam. "Dabei wollte ich nie zum Fernsehen, die Branche erschien mir immer zu oberflächlich und von Eitelkeit geprägt." Dass sie kurz vor ihrer Vertragsunterschrift wieder schwanger wurde, schreckte die Chefs beim Zweiten nicht ab, man wartete auf die nun zweifache Mutter. Die Arbeitszeiten waren so flexibel, dass sie und ihr Mann, der mittlerweile Trainer geworden war, sich ideal in der Betreuung von Mats und Jonas abwechselten.

Trainerlegende Otto Rehhagel tanzte aus der Reihe

Ihre Spielberichte über die Bundesliga im Sportstudio blieben ohne negative Resonanz. "Vielleicht hat man mir die auch nur vorenthalten", sagt sie. Dafür spürte sie anfangs, dass "mir die männlichen Kollegen mit gezückten Messern auf den Gängen begegneten". Einer fragte sie süffisant, ob sie denn ihren Mann zu den Fußballspielen mitnähme, schließlich habe sie doch bestimmt keine Ahnung. Die Akteure seien meist freundlich zu ihr gewesen, nur Trainerlegende Otto Rehhagel tanzte aus der Reihe: Als sie ihn für ein Interview anrief, hielt er sie zunächst für eine Sekretärin.

"Verbinden Sie mich mit dem Redakteur", sagte er. Als sie ihm erklärte, dass sie das Interview führen werde, fragte der damalige Coach von Werder Bremen, ob denn kein Mann da sei und ob sie überhaupt etwas vom Fußball verstehe. Zur Sicherheit vergewisserte er sich, dass sie die Abseitsregel kannte. Als Ulla Holthoff erklärte, sie seien sich bereits einige Male begegnet, erwiderte Rehhagel: "So? Na, wenn Sie hübsch wären, wären Sie mir auch in Erinnerung geblieben." Und Holthoff konterte: "Für Ihren Geschmack kann ich nichts." Das Gespräch war kurz danach beendet.

Inniger Kontakt zu den Söhnen

Als sie 1994 nicht zum ZDF-Team gehörte, das zur Weltmeisterschaft in die USA entsandt wurde, witterte sie abermals einen frauenfeindlichen Hintergrund, schmiss den Job hin und wechselte zum Deutschen Sport-Fernsehen (DSF), einem jungen Privatsender. Dort wurde sie Chefin des Fußball-Ressorts, entwickelte neben dem "Doppelpass" auch andere neue Formate wie "La Ola", eine Zusammenfassung der wichtigsten europäischen Ligaspiele vom Wochenende.

Nach vier Jahren beendete sie ihr Gastspiel beim Spartensender, sie hatte sich mit der neuen Geschäftsführung überworfen. Zwei Jahre lang leitete sie anschließend die Pressearbeit der gerade in die Bundesliga aufgestiegenen SpVgg Unterhaching; nach dem Abstieg 2001 ging sie zum Bayerischen Fernsehen, verantwortete zunächst die langen Wintersporttage in der ARD und ist nun für die "Blickpunkt Sport"-Sendung am Samstagnachmittag im Dritten zuständig.

Der Kontakt zu ihren Söhnen ist innig, auch wenn sie Mats wegen der räumlichen Trennung nicht öfter als einmal im Monat trifft. "Aber wir telefonieren alle zwei Wochen, schreiben uns regelmäßig SMS." Von Hermann Hummels ist sie seit 1996 geschieden, dennoch halte die Familie weiterhin fest zusammen. Übrigens liegen noch heute überall im Haus Bälle in allen Größen herum. Wie sollte es auch anders sein, bei der Mutter des modernen Fußballs.

© SZ vom 04.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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