Süddeutsche Zeitung

Geflüchtete in Privatwohnungen:Vier Wochen sollten sie bleiben - eigentlich

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Als der Ukraine-Krieg losbricht, stellt ein Schwabinger Geflüchteten seine Wohnung zur Verfügung. Das Zusammenleben mit Valya und Katya klappt gut, doch fünf Monate später wollen die Ukrainerinnen auf eigenen Füßen stehen. Aber wie gelingt das?

Von Melanie Strobl

Sie kamen Anfang März. Drei Tage dauerte ihre Reise - von Polen ging es über Österreich nach München. Nie hätten sie gedacht, dass sie im September noch immer hier sind. Katya und ihre Mutter Valya sind vor dem Krieg in der Ukraine aus Kyiv geflohen. Sie fanden eine Unterkunft bei Johannes in Schwabing, einem von vielen Münchnern, der sich wenige Tage nach dem Kriegsbeginn dazu entschlossen hat, seine Wohnung ukrainischen Geflüchteten zur Verfügung zu stellen.

Der 28-Jährige wohnt allein auf 71 Quadratmetern und ist nicht oft zu Hause. "Ich hätte mich wirklich schlecht gefühlt, so eine große Wohnung quasi leerstehen zu lassen", sagte er bei einem ersten Treffen im März. Auf den Anruf, dass Valya, Katya und ihre Katze Iriska zu ihm kommen würden, musste er nicht lange warten. Vier Wochen sollten sie bleiben, so war es zumindest ursprünglich geplant. Nach mehr als fünf Monaten Zusammenleben heißt es jetzt langsam, aber sicher: Zeit für den Auszug.

Die 36-jährige Katya sitzt an Johannes' Wohnzimmertisch und spricht Englisch - seit März lernen sie und ihre Mutter auch Deutsch. Mit Johannes' und seiner Familie Hilfe suchen die beiden derzeit nach einer neuen Wohnung in München. Im April habe sich Katya bei "Sowon" registriert - einem Online-Portal, worüber die Stadt geförderte Wohnungen vergibt. Eine erste Rückmeldung habe sie erst vor zwei Wochen erhalten, sagt sie. Sie solle bitte noch mehr Informationen nachschicken.

Um den Antrag bei Sowon auszufüllen, reichen Katyas Deutschkenntnisse noch nicht aus. "Es ist ein großes Problem, dass alles auf Deutsch ist", bestätigt Johannes. Viele Websites oder Formulare gibt es zwar auch in ukrainischer oder russischer Sprache, doch Katya findet, dass es sich dabei häufig nur um allgemeine Informationen handle: "Wenn man versucht, eine bestimmte Information zu erhalten oder etwas zu klären, muss man Deutsch verwenden." Auch wenn die Bürokratie oft anstrengend sei, sind Valya und Katya sehr dankbar über all die Hilfen und Angebote, die sie seit ihrer Flucht erfahren haben.

In München leben derzeit mehr als 15 400 Geflüchtete aus der Ukraine

Länger als ein halbes Jahr ist es her, seit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat. Während zu Anfang des Krieges noch mehrere Hundert Ukrainerinnen und Ukrainer pro Tag nach München kamen, sind es mittlerweile deutlich weniger. In den vergangen sieben Tagen habe die Anzahl der durchschnittlichen Ankünfte pro Tag bei 77 gelegen, schreibt das Sozialreferat auf Anfrage. Insgesamt seien derzeit mehr als 15 400 ukrainische Geflüchtete in der Landeshauptstadt gemeldet. Viele davon kamen wie Katya und Valya in Privatwohnungen unter. Die Vermittlung übernahm damals unter anderem der Verein "Münchner Freiwillige".

Paula Brücher ist Mitglied und sagt, sie hätten knapp 10 000 Geflüchtete aus der Ukraine in vorübergehenden privaten Wohnraum vermittelt. Seit dem 26. Juni ist diese Arbeit eingestellt. Ein Grund: "Bei den privaten Wohnungsgeberinnen und -gebern hat sich eine Müdigkeit breit gemacht", meint Brücher. Zugleich kommen weniger Flüchtlinge aus der Ukraine an oder werden direkt an andere Bundesländer weitergeleitet. Um die Anschlussunterbringung von ukrainischen Geflüchteten in München kümmert sich seit Ende Juni also wieder vollumfänglich die Stadt.

Neben dem Sowon-Programm gibt es für Geflüchtete auch die Möglichkeit, in einer städtischen Unterkunft unterzukommen. Laut Sozialreferat seien dort aktuell 1087 Ukrainerinnen gemeldet - freie Plätze gebe es derzeit 1097. Außerdem sei man "laufend dabei, neue Einrichtungen und Unterkünfte zu akquirieren". Bei den städtischen Unterbringungsmöglichkeiten handle es sich sowohl um Festbauten als auch um Leichtbauhallen. Es gebe Einzel-, aber auch Mehrbettzimmer. Eine Liste, auf der die Unterkünfte in der Stadt zu finden sind, soll "in Kürze" auf der Homepage der Stadt veröffentlicht werden. Bisher, schreibt eine Pressesprecherin, gebe es 813 ukrainische Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus privaten Unterkünften.

"Ich weiß, dass es natürlich nicht möglich war, Hauspartys zu veranstalten."

Als die beiden Frauen aus Kyiv im März zu Johannes kamen, durften sie in sein Schlafzimmer ziehen - er ging auf die Couch. Das Zusammenleben habe bisher sehr gut geklappt, meint der Gastgeber. Ein- bis zweimal in der Woche essen die drei gemeinsam zu Abend - tagsüber hat jeder seinen eigenen Alltag. Hat er auf etwas verzichten müssen, seitdem die beiden bei ihm wohnen? "Ich weiß, dass es natürlich nicht möglich war, Hauspartys zu veranstalten oder laut Musik zu hören. Aber ich musste nicht auf viele Dinge verzichten", sagt er. Wenn man Katya fragt, was sie von Johannes in der bisherigen Zeit des Zusammenlebens gelernt hat, sagt sie "Geduld". "Er hatte Verständnis für all unsere Probleme. Vor allem, wenn wir viele Fragen stellten oder um Hilfe baten", erzählt sie.

Weil Johannes die zwei Ukrainerinnen bei sich zu Hause aufgenommen hat, zahlt ihm die Stadt zwei Drittel der Mietkosten. Auf das Geld von März bis Juni warte er aber noch. Denn bis zum ersten Juni war noch das Sozialbürgerhaus für alle Geflüchteten aus der Ukraine zuständig. Jetzt werden die Erwerbsfähigen unter den Geflüchteten vom Jobcenter betreut - dazu zählt auch Katya. Die Vorgaben für den sogenannten "Rechtskreiswechsel" kamen damals vom Bund. Johannes sagt, dass diese Umstellung bisher die größte Herausforderung war: "Wir haben neue Ansprechpartner bekommen und die ehemalige Ansprechpartnerin vom Sozialbürgerbüro war nicht mehr erreichbar."

Der erste Besuch im Jobcenter sei aber sehr positiv verlaufen, meint Johannes: "Es waren einige Dolmetscher da, die auf Ukrainisch übersetzt haben und uns Tipps gegeben haben." Auch Katya betont noch einmal, dass sie sehr dankbar angesichts der Helfer ist: "Niemand hat sie gebeten, da zu sein. Aber sie gehen jede Woche von 8 bis 12 Uhr dorthin, um für uns zu übersetzen."

Der Auszug aus privaten Wohnungen gestaltet sich oft schwierig

Um Johannes nach fünf Monaten des Zusammenlebens auch wieder seinen Freiraum zu geben, möchten die beiden ukrainischen Frauen nun in eine neue Bleibe. Katya meint, dass sie und ihre Mutter nicht wählerisch seien und auch gerne in einem Schlafsaal unterkämen - aber sie habe schon Geschichten über Unterkünfte gehört, in denen schlechte Hygienezustände herrschten. Außerdem sei ihre Mutter Valya herzkrank, sodass ein Zusammenleben mit mehreren Menschen auch ein gesundheitliches Risiko darstellen könnte. Sollte sich die Wohnungssuche noch hinziehen, würde als Zwischenlösung auch Johannes' Mutter ihre Wohnung mit ihnen teilen.

Paula Brücher von den Münchner Freiwilligen kennt das Dilemma, vor dem manche Münchnerinnen und Münchner stehen, die ukrainische Geflüchtete bei sich aufgenommen haben. Viele merkten, dass es doch zu eng in der Wohnung sei oder es zwischenmenschlich nicht so gut passe. Wenn man die ukrainischen Geflüchteten aber bitten würde, sich etwas anderes zu suchen, kämen die vielleicht nur in die städtische Sammelunterkunft, sagt Brücher: "Und man möchte ja nicht, dass die Personen dann so wohnen müssen."

Am liebsten würden Katya und ihre Mutter wieder zurück in die Ukraine gehen. In ihre Wohnung, ihr bekanntes Umfeld, ihre Heimat. Valya soll schon zu ihrer Tochter gesagt haben: "Kauf mir ein Ticket, ich fahre wieder zurück nach Kyiv." Katya macht sich aber Sorgen. Denn obwohl ihre Wohnung noch unversehrt sei, könne sich die Lage im Land jeden Tag ändern. "Heute bist du in Sicherheit. Aber morgen sind Raketen und Bomben in der Nähe deines Hauses und du kannst alles verlieren, was du hast."

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