Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Kampf für Menschenrechte

Auch dieses Jahr reist eine Münchner Delegation zum Christopher Street Day in die Partnerstadt Kiew. Zum letzten Mal wird allerdings Stadträtin Lydia Dietrich in offizieller Funktion dabei sein

Von Laura Kaufmann

Lydia Dietrich ist keine, die sich in ihren letzten Tagen als Stadträtin zurücklehnt. Gerade war sie noch auf einer Gender-Konferenz in Bilbao und referierte über Geflüchtete. Jetzt ist sie nach einem Zwischenstopp in München weiter nach Kiew geflogen. Dort findet wieder der Christopher Street Day statt, und Dietrich nimmt zum siebten Mal in Vertretung des Oberbürgermeisters teil. Dieses Mal ist es aber auch das letzte Mal. Von Juli an sitzt die 57-Jährige nicht mehr für die Grünen im Stadtrat; sie wird dann Geschäftsführerin der Frauenhilfe München.

"Ich habe in Kiew viel erlebt, viel mit angestoßen und bin gespannt, wie es diesmal wird", sagt Dietrich. Grund zur Spannung und Anspannung gibt es genug. Gleich der erste geplante Christopher Street Day 2012, als Lydia Dietrich das erste Mal teilnehmen wollte, musste abgesagt werden. Ein Kollege aus dem Sub, Sascha Hübner, hatte Kontakte in die Ukraine, wollte nach Kiew fahren, aber nur als Team mit einer lesbischen Frau. Er fragte Lydia Dietrich, die wiederum mitkommen wollte, aber nur in offizieller Position. Christian Ude hatte nichts dagegen, und Lydia Dietrich fuhr in Vertretung des damaligen Oberbürgermeisters in die Partnerstadt Münchens.

Lydia Dietrich, Stadträtin

"Seit den letzten zwei, drei Jahren sind wir im Zentrum der Stadt. 5000 Demonstranten, geschützt von 6000 Polizisten."

Der Ort des CSDs konnte aus Sicherheitsgründen erst kurz vorher bekannt gegeben werden. Als Dietrich und Hübner eintrafen, vor den Toren der Stadt, stießen sie auf ein paar Polizisten, die gelangweilt in ihren Bussen herumhingen. Und auf Hunderte Gegendemonstranten, Rechtsnationale und Orthodoxe, die sich schon in Positionen gebracht hatten. Die geplante Demonstration musste abgesagt werden. Zu gefährlich. Dabei ist niemand, der an dem Christopher Street Day in Kiew teilnimmt, zimperlich.

Ein anderes Mal ist Lydia Dietrich mit ein paar Kollegen selbst gejagt worden von Rechten. Schließlich verschanzten sie sich in einem Bankgebäude und entkamen. "Der Gedanke, nicht wieder nach Kiew zu fahren, kam mir trotzdem nie", sagt Dietrich. "Es geht hier um die Durchsetzung von elementaren Menschenrechten, und dafür muss man kämpfen." Offen schwul oder lesbisch zu leben, das ist in der Ukraine nach wie vor gefährlich.

Aber es hat sich viel getan, seit der frustrierenden Absage des ersten CSDs. "Seit den letzten zwei, drei Jahren sind wir im Zentrum der Stadt", sagt Dietrich. "5000 Demonstranten sind letztes Jahr marschiert, geschützt von 6000 Polizisten." Ein paar ukrainische Parlamentarier waren dabei, verschiedene Botschaften und die Heinrich-Böll-Stiftung unterstützen die lesbische, schwule, bisexuelle und transsexuelle Gemeinde (LGBT) im "March for Equality", ihrem Marsch für Gleichberechtigung. Durch die internationale Aufmerksamkeit ist die Demonstration größer geworden, besser geschützt. Sie hat Symbolkraft entfaltet.

"Die Ukraine will sich Richtung Europa orientieren", sagt Dietrich. Und dabei schaden Nachrichten von gleichgeschlechtlich Liebenden, die von Rechtsnationalen verprügelt werden. Die Münchner Delegation hat einen nicht unwesentlichen Teil zu dieser Öffentlichkeit beigetragen. Dieses Jahr fahren so viele Münchner nach Kiew wie noch nie, um die 25 Leute sind es, ehrenamtlich und auf eigene Kosten. "Dadurch, dass die Ukrainer jedes Jahr zu uns kommen, sind auch Freundschaften entstanden", sagt Lydia Dietrich. Nach dem ersten Besuch in der Ukraine ist auch eine kleine Delegation aus Kiew nach München gereist, daraufhin hat sich die Organisation Munich-Kyiv-Queer als Schnittstelle der Szenen gegründet. "So muss eine Städtepartnerschaft aussehen", sagt Dietrich. "Da können beide Seiten stolz auf sich sein."

In dieser Partnerschaft will Dietrich aktiv bleiben. Ob dieser siebte auch ihr letzter CSD in Kiew ist, weiß sie noch nicht, jedenfalls ist es der letzte mit offizieller Position. Da kann der Abschied aus der Partnerstadt emotionaler als sonst werden, "wenn man die Dinge mit viel Herzblut angeht, ist immer auch Wehmut dabei".

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SZ vom 16.06.2018
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