Süddeutsche Zeitung

Zwischen Welten:Blick nach vorne, trotz Heimweh

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Unsere ukrainische Kolumnistin schaut, wie es um die Integration ihrer Landsleute bestellt ist, die wie sie vor zehn Monaten vor dem Krieg nach Deutschland geflohen sind. 

Von Emiliia Dieniezhna

Im März vor einem Jahr bin ich nach Bayern gekommen, mit meiner Tochter, meiner Mama und meiner Tante. Ich habe schon damals geahnt, dass wir für eine lange Zeit bleiben werden. Viele andere Geflüchtete waren sicher, dass sie bald nach Hause zurück können. Inzwischen wissen sie, dass sie sich getäuscht haben und Integration notwendig ist.

Viele meiner Bekannten haben das schon gut geschafft. Am einfachsten war es natürlich für die, die Deutsch konnten. Alle Deutschlehrer, die ich kenne, haben sofort Arbeit gefunden. Sie unterrichten entweder an den Schulen in den Brückenklassen für die ukrainischen Kinder, oder in den Integrationskursen.

Meine Freundin und ehemalige Chefin Lera hat ein Stipendium beim Tagesspiegel in Berlin bekommen. Sie arbeitete als Redakteurin beim größten Fernsehkanal in der Ukraine, kann gut Englisch und ganz gut Deutsch. Jetzt schreibt sie jede Woche über den Krieg und das Leben der Ukrainer in Deutschland.

Ein 20-jähriges Mädchen, Olexandra, die in Kiew Hotelmanagement studiert hat, hat nach ein paar Wochen einen Job im Hotel gefunden. Damals konnte sie schon sehr gut Englisch und ein bisschen Deutsch. Jetzt spricht sie beide Sprachen fließend. Im Hotel arbeitet sie in der Frühschicht, damit sie am Nachmittag lernen kann.

Wenn man Englisch spricht, gibt es einige Chancen, Arbeit zu finden und unabhängig oder fast unabhängig vom Jobcenter zu sein. Die Englischlehrerinnen und -lehrer, die ich kenne, haben meistens problemlos einen Job an der Schule gefunden. Aber was machen all meine anderen Landsleute, die weder Englisch noch Deutsch konnten, als sie hier ankamen?

Ich kenne viele Geflüchtete, die seitdem Deutsch gelernt haben und bereits die B1-Prüfung abgelegt haben. Das bedeutet, dass man schon ganz gut Deutsch verstehen und mehr oder weniger sprechen und schreiben kann. Meine Freundin Anastasiia, die mit ihren beiden Kindern auch in Bayern wohnt, kann inzwischen sogar schon problemlos Seminare für Energieeffizienz auf Deutsch hören. Sie hat Energiemanagement studiert. Jetzt sucht sie eine Praktikumsstelle in diesem Bereich. Ich habe das Gefühl, sie findet bald etwas.

Man kann aber auch eine Arbeit ohne Deutsch- und fast ohne Englischkenntnisse finden. Eine Verwandte von mir, Inna, hat einen Job als Mitarbeiterin im Lager einer Apotheke gefunden, obwohl sie noch gar kein Deutsch sprach. In der Ukraine leitete sie eine Apotheke und wollte unbedingt wieder in der Apotheke arbeiten. Ich habe ihr geholfen, einen Lebenslauf zu schreiben und sie hat die Bewerbungen an verschiedene Apotheken geschickt. Schnell hat sie ein Jobangebot bekommen, und jetzt arbeitet sie schon etwa vier Monate in einer Apotheke in München. Sie lernt in ihrer Freizeit aktiv Deutsch und versteht die Kollegen schon ganz gut. Für die Zukunft plant sie, ihre Zeugnisse anerkennen zu lassen und als Apothekerin zu arbeiten.

Es gibt natürlich viele Geflüchtete (meistens Frauen) aus der Ukraine, für die die deutsche Sprache wirklich schwierig ist, oder die nicht arbeiten können, weil sie kleine Kinder haben und oft keinen Platz in der Kita haben. Aber fast alle, die ich kenne, bemühen sich sehr, um ihren Interimsplatz in der deutschen Gesellschaft zu finden, auch wenn sie so schnell wie möglich wieder nach Hause wollen. Aber bis es soweit ist, möchten sie hier unabhängig sein und Geld verdienen. Das ist unser Charakter, das ist in unserem Blut. Trotz Krieg.

Emiliia Dieniezhna, 34, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Von dort aus arbeitet sie ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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