Erst neulich sind sie wieder zusammengekommen in der Oberen Grasstraße – am Tatort, wenn man so will. Dort versammelten sich Mitglieder der Initiative „Heimat Giesing“ vor jenem Grundstück, auf dem einst das Uhrmacherhäusl stand, um an den illegalen Abriss des denkmalgeschützten Gebäudes 2017 zu erinnern. „Es war unsere 66. Mahnwache“, sagt Angelika Luible, die Sprecherin des Bündnisses. Und vermutlich werden noch einige hinzukommen. Denn wie das städtische Planungsreferat mitteilt, hat die Untere Denkmalschutzbehörde die Frist verlängert, bis zu der das Uhrmacherhäusl wiederaufgebaut werden muss. Hieß es im Herbst noch, dies habe bis Mai 2024 zu erfolgen, nennt das Rathaus nun einen neuen Termin. Da „privatrechtliche Fragen im Hinblick auf benachbarte Grundstücke“ den Wiederaufbau verzögerten, so ein Sprecher, müsse dieser nun erst „bis Ende Februar 2026“ abgeschlossen sein.
„Das ist doch Wahnsinn!“, entfährt es Angelika Luible, als sie von der Fristverlängerung erfährt. Sie ist überzeugt: „Der Besitzer spielt auf Zeit.“ Jener Eigentümer – der 46-Jährige ist Chef einer Rohrreinigungsfirma – reagiert nach wie vor nicht auf Anfragen. Er hatte das einstige Handwerkerhaus in Obergiesing 2016 gekauft und danach versucht, die Mieter hinauszuekeln – unter anderem, indem er Strom und Wasser abstellte und die Haustür aushängte. Am 1. September 2017 ließ er dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das 170 Jahre alte Gebäude abreißen, was stadtweit Empörung hervorrief. „Ich bin schockiert“, sagte damals Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), „mit welcher Dreistigkeit der Denkmalschutz missachtet und das Handwerkerhaus in Giesing dem Erdboden gleich gemacht wurde“.
In der Folge beschäftigten sich die Gerichte mit dem Abriss. Auf strafrechtlicher Ebene wurde der 46-Jährige zunächst zu einer Geldstrafe von 132500 Euro verurteilt, wogegen er in Berufung ging. In zweiter Instanz wurde das Verfahren vor dem Landgericht München I dann eingestellt – gegen eine Geldauflage von 100000 Euro. Dieser Ausgang rief viel Kritik hervor, nicht zuletzt bei den Mitgliedern von „Heimat Giesing“. Sie klagten: „Trotz erdrückender Beweislast und eines erstinstanzlichen Urteils kam es zu einem Deal, der Ähnlichkeiten mit einem mittelalterlichen Ablasshandel hat. Durch die Einstellung gegen Geldzahlung wurde dem Denkmalschutz ein Bärendienst erwiesen.“
Unabhängig vom Strafverfahren blieb derweil die Verpflichtung zum Wiederaufbau des Uhrmacherhäusls. Diesen hatte das Rathaus 2018 angeordnet, wogegen der Eigentümer klagte und wegen eines Formfehlers zunächst Recht bekam. Im Berufungsverfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof siegte dann aber die Stadt. Seither steht fest: Der Eigentümer muss das Haus wieder herstellen – „in äußerlich kubaturgleicher Form und gleichem Erscheinungsbild“, so das Rathaus. Eine Baugenehmigung liegt inzwischen vor. Bis Ende April 2024 müsse die Wiedererrichtung des Uhrmacherhäusls abgeschlossen sein, teilte das Planungsreferat noch im November mit.
Doch dann habe sich herausgestellt, „dass das ursprüngliche Gebäude auch auf schmalen Streifen der benachbarten Grundstücke stand“, sagt ein Sprecher der Behörde. Und da das Uhrmacherhäusl laut Anordnung in den alten Maßen gebaut werden soll, müsse der Bauherr nun Verhandlungen mit den Eigentümern der Nachbargrundstücke führen. Dies sei der Grund für die Fristverlängerung, wobei der Sprecher betont: „Die Untere Denkmalschutzbehörde setzt sich nach wie vor konsequent für die Wiederherstellung der Oberen Grasstraße 1 ein.“ So sei für das Versäumen der ursprünglichen Frist ein Zwangsgeld erhoben worden. „Gleichzeitig wurde ein erneutes Zwangsgeld angedroht, das ebenfalls zur Zahlung fällig wird, sollte das Anwesen nicht bis Ende Februar 2026 wiedererrichtet worden sein.“
„Ich würde mir mehr Druck auf den Eigentümer wünschen.“
„Das ist eine Never-Ending-Story“, kommentiert Carmen Dullinger-Oßwald (Grüne) die jüngste Wendung in Sachen Uhrmacherhäusl. Die Vorsitzende des Bezirksausschusses Obergiesing-Fasangarten ist überzeugt: „Viele Bürger können nicht verstehen, dass sich da noch immer nichts tut. Ich würde mir mehr Druck auf den Eigentümer wünschen. Wer so rigoros vorgeht wie er, gegen den muss auch rigoros vorgegangen werden.“ Carmen Dullinger-Oßwald jedenfalls will sich in der Sache nun direkt an Dieter Reiter wenden. Dabei dürfte die BA-Chefin den Oberbürgermeister auch an sein Versprechen erinnern, das er kurz nach dem Abriss mehrfach abgegeben hat. Nämlich: dass das Uhrmacherhäusl wieder in seiner alten Gestalt aufgebaut wird.