Süddeutsche Zeitung

Zeugen im Uhrmacherhäusl-Prozess:"Woaß i ned"

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Erinnerungslücken und Korrekturen: Im Prozess um den widerrechtlichen Abriss des Giesinger Uhrmacherhäusls zeigen Bauarbeiter wenig Bereitschaft, zur Aufklärung beizutragen. Der Richter muss die Zeugen wiederholt belehren.

Von Susi Wimmer

Was das Wort "lügen" anbelangt, kennt die deutsche Sprache einige bildliche Redewendungen. Das Blaue vom Himmel lügen etwa, oder lügen, dass sich die Balken biegen. Wobei das mit den Balken ganz gut zu der Thematik passt, die gerade vor dem Amtsgericht München verhandelt wird: Dort ist unter anderem Andreas S. angeklagt, weil er als Eigentümer des Uhrmacherhäusls Bewohner eiskalt entmietet und später den Auftrag gegeben haben soll, das denkmalgeschützte Gebäude niederzureißen. Am dritten Verhandlungstag sagen Arbeiter aus der Baubranche aus, teils Angestellte von S., und Richter Martin Schellhase muss Zeugen mehrfach daran erinnern, dass Falschaussagen vor Gericht auch mit Freiheitsstrafen geahndet werden können.

Norbert R. zum Beispiel. Der Rohrleitungsbauer macht dem Gericht in forschem Ton gleich klar, dass er wenig Zeit habe, und auch bei seiner Aussage im Zeugenstand zeigt er wenig Bereitschaft, Fragen zu beantworten. Richter Schellhase liest ihm vor, was er bei der Polizei zuvor schon ausgesagt hatte. Etwa, dass Andreas S. von seinen Arbeitern "nicht jeden an das Uhrmacherhäusl hingelassen" habe. Und dass er, Norbert R., dort nicht habe arbeiten wollen. "Hob i ned gsogt", erklärt der Niederbayer. Auch die protokollierte Aussage, R. habe gehört, "dass es ein Türke gewesen sein soll, der von S. den Auftrag hatte, das Haus gegen Geld abzureißen", stamme nicht aus seinem Munde.

"Also der Polizist, der die Vernehmung geführt hat, schiebt Ihnen was unter?", hakt Martin Schellhase nach. Jetzt meint R., dass er das alles "so nicht gesagt" habe. Und außerdem habe er ohnehin nichts gesehen und nichts gehört. Und überhaupt sei das unter dem Protokoll gar nicht seine Unterschrift. "Ich habe Sie belehrt über Falschaussagen", fängt Schellhase wieder an. Am Ende rudert R. etwas zurück und erklärt, er habe das mit dem Abriss und dem Türken "von Kollegen gehört oder aus der Zeitung". Und dass er bei der Polizei doch die Wahrheit gesagt habe.

Ein Abwassertechniker kann sich an gar nichts erinnern

Schellhase verliest noch aus der Aussage von R., dass Andreas S. auch an der Fraunhoferstraße mit dem Abriss eines Hauses begonnen habe, als noch Mieter dort gewohnt hätten. R. sei damals angewiesen worden, einen Wasserfilter auszubauen, damit einer der Mieter kein Wasser mehr habe. Der Filter habe einen Haarriss gehabt, sagt R. heute. "Gab es den wirklich?", fragt der Richter. R. weicht aus, und sagt dann wieder: "Woaß i ned." Bei der Polizei, so hält ihm Schellhase vor, habe er ausgesagt, den Riss habe es gar nicht gegeben, der Filter sei neu gewesen. Außerdem wird R. zitiert mit der Aussage: "Wenn's ums Geld geht, kennt der S. nix."

Auch mit Abwassertechniker Thomas K., der seit 2008 bei der Firma von Andreas S. beschäftigt ist, wird die Befragung nicht leichter. Er kann sich generell an gar nichts mehr erinnern, reagiert auf Nachfragen pampig. Sebastian O., ein ehemaliger Mitarbeiter von Andreas S., hatte seinen Ex-Chef am zweiten Prozesstag schwer belastet und ausgesagt, beim Kauf des Uhrmacherhäusls sei schon klar gewesen, dass es abgerissen werden sollte. Und dass in der Firma jeder Bescheid gewusst habe.

Ob er vor dem Gerichtstermin mit Kollegen über das Thema gesprochen habe, fragt Richter Schellhase. Thomas K. verneint. Allerdings hatte einer seiner Kollegen zuvor im Zeugenstand anderes erzählt. Dann kommt noch zur Sprache, dass Thomas K. Schulden bei seinem Chef gehabt habe. "Der hat ihn quasi in der Hand", soll ein Angestellter darüber gesagt haben.

Ebenfalls angeklagt ist Cüneyt C. Er leitete im Sommer 2017 ein kleines Bauunternehmen, und er soll im Auftrag von Andreas S. am 1. September 2017 das denkmalgeschützte Häuschen binnen Minuten mit einem Bagger zerstört haben. C. ließ verlauten, dass er sich in einem psychischen Ausnahmezustand befunden habe. Am Tag vor dem Abriss war sein Angestellter bereits in der Oberen Grasstraße mit einem Bagger aufgetaucht und hatte mit der Schaufel gegen die Fassade geschlagen. Die Baustellen seien verwechselt worden, der Bagger und die Arbeiter hätten in Neuenstein sein sollen, ließ sich Cüneyt C. ein.

Einer der Arbeiter sagt nun vor Gericht, er habe schon länger auf der Baustelle in München gearbeitet, und er habe den konkreten Auftrag gehabt, dort Glaswolle in Säcke zu packen. Keine Rede von Neuenstein. Als sein Kollege mit dem Bagger gegen die Fassade schlug, habe er Cüneyt C. angerufen. Der habe ihm gesagt: "Bleib draußen und geh nicht rein." Nach Angaben von Sebastian O. sollen vor dem Vorfall mit dem Bagger Wände und Dachbalken angesägt worden sein, damit das Haus schneller in sich zusammenfällt.

Am Tag des Abrisses, so erzählt der nächste Zeuge Sami H., habe er seinen Freund Cüneyt C. auf der Baustelle an der Oberen Grasstraße besucht. Anlässlich des muslimischen Zuckerfestes sei man Kaffee trinken gegangen. C. habe sich ganz normal verhalten. Da es zu regnen anfing, habe C. ihn gebeten, mit auf die Baustelle zu kommen, um eine Plane über die Lücke im Dach zu ziehen. Dann habe C. gesagt, er wolle noch den Bagger gerade hinstellen. C. habe einen Anruf erhalten, sei in den Bagger gestiegen, "und dann ist es passiert".

Er habe nicht eingegriffen, das sei ihm zu gefährlich erschienen. Er habe auch den Leuten, die aufgeregt zur Baustelle liefen, gesagt, sie sollten nichts tun. Cüneyt C. sei plötzlich "komisch, nervös und gestresst" gewesen, hatte Sami H. bei der Polizei gesagt. Vor Gericht will er das so nicht bestätigen. Er sei ja viel zu weit weg gestanden und habe das nur geschlussfolgert, weil C. in den Bagger gestiegen sei. Nach wenigen Minuten sei "das Haus runter" gewesen, C. sei aus dem Bagger gestiegen und wortlos davongegangen.

Die Verteidiger von Andreas S. erklären in der Verhandlung, dass die belastende Aussage des vorherigen Verhandlungstags von Sebastian O. "an zentralen Stellen unrichtig und nicht glaubhaft" sei. Sie mutmaßen, dass Sebastian O., den Angestellte als "rechte Hand von S." tituliert hätten, bei seiner polizeilichen Vernehmung als Beschuldigter hätte belehrt werden müssen. "Vermutlich hätte er dann nichts mehr gesagt." Die Anwälte vermuten, dass ein Verfahren gegen O. wegen Beihilfe eingestellt worden sei, "damit er als Zeuge für die Hauptverhandlung zur Verfügung" stehe. Der Prozess wird Ende Mai fortgesetzt.

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