18 Uhr im Münchner Osten:Der Mittlere Ring, eine Hölle aus Feinstaub und Flüchen

Stau am Mittleren Ring, Georg-Brauchle-Ring zwischen BMW-Welt und Olympiapark

Stau am Mittleren Ring, Georg-Brauchle-Ring zwischen BMW-Welt und Olympiapark

(Foto: Florian Peljak)

Wutverzerrte Gesichter, Schweißperlen auf der Stirn, wildes Geschrei: Zur Rushhour sind Autofahrer völlig außer sich. Man möchte ihnen zu mehr Yoga raten.

Kolumne von Christian Mayer

Der Juli ist ein gefährlicher Monat in München, ein Monat, in dem viel mehr Menschen als sonst schon verrückt spielen, und besonders gefährlich wird es, wenn die Sonne scheint. Unterm weiß-blauen Himmel müssten die Münchner ja eigentlich das tun, für das sie berühmt sind; sie müssten im Biergarten sitzen, in der Isar schwimmen, im Englischen Garten die Schönheit des Lebens feiern. Stattdessen leiden sie, vom andauernden Gefühl gepeinigt, den Sommer zu verpassen, am Mittleren Ring, in Höhe Bad-Schachener-Straße. Es ist Dienstagabend, kurz nach 18 Uhr.

Als Fahrradfahrer würde man jetzt gerne die kurze Grünphase nutzen, um diese Hölle aus Feinstaub und Flüchen zu überqueren, aber da stehen die Autos, dicht an dicht. Es gibt ja in München eine wachsende Zahl von Menschen, die selbst bei Rot noch in die Kreuzung vorpreschen in der Hoffnung, ein paar Meter zu gewinnen und dem Stau so ein paar wertvolle Sekunden abzutrotzen. Diese Münchner Kreuzungsvorfahrer sind oft auch jene, die sofort loshupen, wenn sich andere Autofahrer an die Ampelsignale halten. Einige von ihnen haben diesen besonderen Blick, den Münchner Leck-mich-doch-an-der-Stoßstange-Blick.

Vermutlich sind sie, außerhalb ihrer Fahrzeuge, ganz passable Menschen, aber weil sie sich in der Rushhour des Lebens befinden, also auf dem Mittleren Ring im Münchner Osten um 18 Uhr, sind sie völlig außer sich.

Ein Herr mittleren Alters hat beim Rechtsabbiegen die Scheiben heruntergerollt, Schweiß rinnt ihm die Stirn herab. Vor ihm auf dem Innsbrucker Ring versperren ein paar besonders dreiste Kreuzungsvorfahrer den anderen den Weg, von hinten drängeln schon die nächsten, da öffnet der Herr sein Ventil. Sollen ihn doch die anderen anhupen, sollen sie rasen vor Wut, sollen sie ins Lenkrad beißen - ihm doch wurscht! "Ihr seid's alles Arschlöcher", schreit er durchs offene Fenster, während er im Schritttempo vorfährt, bis er fast den Vordermann rammt. Tonfall und Betonung deuten darauf hin, dass der Fahrer zu den Ureinwohnern des Mittleren Rings gehört, möglicherweise wohnt er gar nicht weit entfernt von hier, irgendwo hinter den Tennisplätzen von Ramersdorf, wo es schön grün ist - aber was hilft das schon in einer Stadt, die unter chronischer Verstopfung leidet.

Der Herr mittleren Alters sieht jetzt, mit wutverzerrtem Gesicht, etwa so aus wie Klaus Kinski im Film "Aguirre, der Zorn Gottes". Wirr, verwegen und zugleich sehr müde vom Kampf, er muss einfach weiter, immer weiter. Obwohl er weiß, wie wahnsinnig das ist, würde er nie auf sein Auto verzichten, in München doch nicht! Und vor ihm steht, wie in "Der Zorn Gottes", dieses gewaltige Hindernis. In seinem Fall der Mittlere Ring. Und diese böse, böse Kreuzung an der Bad-Schachener-Straße.

Man hat jetzt doch beinahe Mitleid mit dem Mann, der vor lauter Arschlöchern den Straßenbelag nicht mehr sieht. Als gerade ein kleiner Spalt für das Fahrrad frei ist, ruft man ihm aufmunternd zu: "Schon mal mit Yoga versucht?" Da schaut einen der Herr mittleren Alters entgeistert an, eher traurig als zornig: "Geh, lass ma mei Ruah!"

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