Überschuldung in München:Pleite in der reichen Stadt

Acht von 100 Münchnern sind überschuldet, die meisten davon sind Männer. Doch zunehmend geraten auch Frauen in finanzielle Nöte.

Von Thomas Anlauf

Männlich, zwischen 50 und 60 Jahre alt, lebt auf Pump und wohnt im Hasenbergl: Das ist statistisch gesehen der typische Fall eines Münchners, der hoffnungslos überschuldet ist. Er ist einer von 95 000 Münchnern, die so knapp bei Kasse sind, dass sie in der Statistik des Wirtschaftsauskunftsunternehmens Creditreform auftauchen. Und es werden jährlich mehr. Im Vergleich zum Vorjahr konnten in München 1644 Menschen mehr ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, so dass im schlimmsten Fall Gerichtsvollzieher, Zwangsvollstreckung oder Privatinsolvenz drohten.

Einer der Gründe für die Zunahme der privaten Überschuldungen ist die anhaltende Niedrigzinsphase. "Wir erleben einen Kaufrausch sonders gleichen", sagte der geschäftsführende Gesellschafter von Creditreform München, Philipp Ganzmüller, am Dienstag bei der Präsentation des diesjährigen Münchner Schuldenatlas'. "Es wird konsumiert auf Teufel komm raus."

Immer mehr Frauen überschulden sich

Zwar weist München nach wie vor die niedrigste Schuldnerquote aller Landeshauptstädte auf. Im Vergleich zu Schlusslicht Wiesbaden, wo am Stichtag 1. April 2014 fast jeder Sechste überschuldet war, liegt die Quote in München bei 8,01. Das heißt: Acht von 100 Münchnern sind pleite. Und "Überschuldung ist in München männlich", sagt Ganzmüller. In allen Stadtteilen haben Männer in der Regel eine nahezu doppelt so hohe Schuldnerquote wie Frauen.

Doch in München ist ein neues Phänomen zu beobachten: Während Münchner Männer langsam etwas besser mit Geld umgehen können, steigt in fast allen Stadtvierteln die Zahl der überschuldeten Frauen. Besonders deutlich ist das in der Ludwigsvorstadt zu beobachten. Dort stieg die Schuldnerquote bei Frauen um 0,54 Prozentpunkte auf 6,53 Prozent. Die Experten von Creditreform wissen sogar, wofür die Münchner Frauen zwischen 35 und 55 vor allem ihr Geld ausgeben: für Online-Einkäufe in der Bekleidungsindustrie. Dort klagen die Unternehmen derzeit darüber, dass viele Frauen zwar Kleidung bestellen, aber dann nicht bezahlen können.

Besonders betroffen von einer finanziellen Schieflage sind in München übrigens Menschen zwischen 50 und 59 Jahren. Sollte dieser Trend anhalten, kommt in ein paar Jahren eine regelrechte Welle von Altersarmut auf die Stadt zu. Bedenklich ist die Entwicklung auch bei jungen Münchnern. Bis auf die Stadtteile Nymphenburg, Obermenzing, Altstadt und Lehel stieg die Zahl der Menschen unter 30 Jahren, die nicht mit ihrem Geld auskommen, stark an. Im Hasenbergl ist mittlerweile fast jeder Zehnte unter 30 Jahren überschuldet. Eine brisante Entwicklung: Damit wächst im Münchner Norden eine Generation heran, die ständig auf Pump lebt oder mit sehr wenig Geld auskommen muss.

Wen es nach München zieht

Überschuldung in München: Viele Münchner geben weit mehr Geld aus, als sie eigentlich zur Verfügung haben.

Viele Münchner geben weit mehr Geld aus, als sie eigentlich zur Verfügung haben.

(Foto: Stephan Rumpf)

Von den 15,4 Prozent der Menschen, die im Hasenbergl pleite sind, müssten mehr als zwei Drittel eigentlich eine Privatinsolvenz anmelden, um wieder aus der Schuldenfalle herauszufinden. Und es geht um viel Geld: Die Menschen in finanziellen Schwierigkeiten, die in der Schuldner- und Insolvenzberatung des Sozialreferats um Hilfe bitten, haben durchschnittlich 32 500 Euro Schulden, was sich im Übrigen fast exakt mit einer deutschlandweiten Hochrechnung des Statistischen Bundesamts deckt.

Trotz der alarmierenden Zahlen gibt es im Hasenbergl sowie in anderen einst sozial schwachen Gebieten auch positive Tendenzen. Waren im Hasenbergl im Jahr 2007 noch zwei von neun Bewohnern überschuldet, sind es jetzt nur noch zwei von 13 Menschen. Noch stärker ist der Rückgang an Privatpleiten in Riem: Dort ging die Schuldnerquote in den vergangenen sieben Jahren um zehn Prozentpunkte zurück. 2007 war noch fast jeder Fünfte klamm, ist es jetzt nur noch fast jeder Zehnte.

Überschuldete kommen nicht nach München

Nach Angaben von Philipp Ganzmüller liegt das vor allem an der mittlerweile gemischten Bevölkerungsstruktur im Münchner Osten. In dem Neubauviertel hätten sich viele Menschen Eigentumswohnungen gekauft - "die solventeren Bürger drücken die Quote", sagt Ganzmüller.

Diese Entwicklung ist übrigens stadtweit zu beobachten: Die Schuldnerquote ist in München seit 2007 von zehn auf nunmehr 8,01 Prozent gesunken (der bundesweite Schnitt liegt 2014 bei 9,9 Prozent). "Überschuldete ziehen nicht nach München, sie sind schon da", sagt Ganzmüller.

Das heißt, es kommen vor allem Menschen in die Landeshauptstadt, die sich München leisten können. Die armen Münchner werden dabei verdrängt. Eine Entwicklung, die von den Mitarbeitern der städtischen Schuldnerberatung mit Sorge beobachtet wird. "Immer mehr Leute haben Probleme, ihre Rechnungen für Strom und Heizung zu begleichen", sagt Abteilungsleiter Klaus Hofmeister.

"In München reicht eine Vollzeitstelle mit einem niedrigen oder auch mittleren Einkommen zum Leben und Wohnen immer häufiger nicht mehr aus." Dem Sozialreferat wurden im vergangenen Jahr mehr als 4500 Fälle gemeldet, in denen Münchnern die Wohnung gekündigt wurde, weil sie mit ihrer Miete zwei Monate oder mehr im Rückstand waren.

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