Ü33-Party in München:Weiblich, über vierzig, sucht nicht

Hausfrauengespräche statt Ausweiskontrollen: Im Wirtshaus im Schlachthof treffen sich Ü30er zum Feiern. Der Bass wummert ab kurz vor neun, die Gäste sind eher Ü44 als Ü33. Aber nicht nur deshalb ist diese Party ein Versprechen entgegen aller Gepflogenheiten.

Von Julia Rathcke

Schon der Weg ist irgendwie bezeichnend: die Fleischerstraße entlang, rechts abbiegen, am Wurstgroßhandel vorbei und dann immer geradeaus. Andererseits: So richtig schwer zu finden ist der Schlachthof nicht, schließlich zieht es hier viele Menschen hin, jeden Montag, immer spätabends, seit etlichen Jahren. Menschen, die auf der Suche sind, nach etwas anderem, abwechslungsreichem, etwas mit Qualität und Geschmack. Nur das Wort Frischfleisch würde wohl niemand in den Mund nehmen.

Die "Ü33 Monday Night Fever"-Party im Wirtshaus im Schlachthof ist ein Versprechen entgegen aller Gepflogenheiten: Die 30 liegt ebenso hinter uns wie das Wochenende, es ist Montagnacht - jetzt erst recht. Die Location im 1887 errichteten Schlacht- und Viehhofviertel fasst 350 Leute. Es ist jede Woche voll, die Veranstaltung ein Erfolg, seit mehr als acht Jahren. Aber wem oder was fiebern die Gäste hier eigentlich entgegen? Der Musik? Dem Bier? Neuen Bekanntschaften? Der Liebe?

Es ist kurz vor neun, die Ersten warten vor der bunt angestrahlten Tür des Ziegelsteinbaus. Hausfrauengespräche über Kindergeburtstage, liegen gebliebene Wäsche, sitzen gelassene Ehemänner. Am Eingang zahlt jeder sechs Euro und bekommt einen Toiletten-Stempel aufs Handgelenk: "Treppe runter links" mit WC-Symbol. Eine Orientierungshilfe für später, man weiß ja nie. Ausweiskontrollen gibt es nicht, "außer jemand sieht schon sehr jung aus", sagt der Mann am Einlass, "also unter 30". Aber das sei selten der Fall.

Sechs-Zentimeter-Pumps kombiniert mit Jeans

Hinter der massiven Holztür wummert der Bass, beim Öffnen schlagen einem die schrillen Höhen um die Ohren; es dauert ein wenig, bis sich Hirn und Herzfrequenz an die Umgebung gewöhnen. Drinnen ist es noch leer und zugleich so laut, dass Unterhaltungen fast unmöglich sind. Und das ist der Segen, ohne Fluch: Es zwingt die Leute entweder zum Tanzen oder zu Nähe - bestenfalls in Kombination.

Die Garderobe ist ungezwungen, praktisch, aber nicht nachlässig. Es sind modische Kompromisse: Frauen in knielangen Kleidern mit Ballerinas oder flachen Stiefeln, Sechs-Zentimeter-Pumps kombiniert mit Jeans. Eine der wenigen Anfang-Dreißigjährigen trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "I love my husband". Männer tragen Hoodies oder Hemden, auffallend oft weiße, halbaufgeknöpfte Hemden. Vielleicht das kleine Schwarze für den Mann. Keines der Outfits schreit:"Hallo, ich bin Single und möchte auffallen und angesprochen werden." Es könnte aufdringlich wirken oder verzweifelt. Und das will ja niemand.

Um viertel nach neun sind ein Dutzend Ü30-Frauen und zwei Ü50-Männer auf der Tanzfläche. Sie brauchen keinen Anlauf, sie müssen sich nicht warmreden oder vorglühen, sie tanzen einfach los. Schnelle Schritte, Hüftschwünge, ausladende Armbewegungen in Anlehnung an den Sonnengruß und andere Yogafiguren. Weibliche Ekstase zum Charts-Hit "No place I'd rather be" von Clean Bandit. "Die meisten sind zum Tanzen hier", sagt Katja, 42, "die Jäger halten sich in Grenzen. Zum Glück." Sie kommt oft alleine, wird manchmal angegraben, aber sie findet, man müsse sich die Männer nur gut erziehen. Katja ist von Beruf Entrümplerin.

Foxtrott ist nur eine Tanzflächenranderscheinung

So ein Veranstaltungsort hat ja immer eine eigene Logik. Der holzvertäfelte Saal im Wirtshaus im Schlachthof zum Beispiel ist übersichtlich rechteckig: hinten die Theke, am anderen Ende der DJ, an den Seiten Bänke und Tische für Schüchterne und Nichttänzer, weiter innen ein paar Stehtische für Unentschlossene und schließlich die Mitte der Mutigen. Auf der Tanzfläche gibt sich jeder den Blicken preis. Grazia, 58, eine schlanke Italienerin mit langen Haaren und fast faltenfreiem Gesicht, sitzt lieber am Rand und guckt zu.

"Ich hatte erst Angst zu kommen, aber ich habe noch Ältere gesehen", sagt sie und lacht. Die Gäste mögen eher Ü44 als Ü33 sein, doch die Musik ist nicht von gestern. "Schlager und Oldies kannste vergessen", sagt DJ Daniel, "das will hier niemand hören." Am besten liefen Charts, Pop, Rock, Electro. Foxtrott ist da nur eine Tanzflächenranderscheinung. Ab und zu, sagt der Diskjockey, gebe es auch "die Stehengebliebenen", ausschließlich Frauen, die sich immer und immer die gleichen Klassiker wünschen. Spitzenreiter: "I am what I am" von Gloria Gaynor.

Die Anzahl der männlichen Gäste steigt proportional zu Uhrzeit und Ausgelassenheit der Frauen. Vor der Tür schon die ersten verschwitzten Hemden, die verschnaufen und Verlegenheitszigaretten rauchen. Frauen nach Feuer fragen, die Masche ist ebenso zeit- wie erfolglos. Gerold, 49, weißes Hemd, Single, betont: "Nein, nein, nein, ich bin nicht auf der Jagd." Mit Frauen sei das wie mit Hosen, wenn man ganz dringend eine neue suche, finde man sowieso keine passende. Mitraucher Gerhard, 51, weiße Haare, pflichtet ihm nickend bei. Er suche nie, er lasse sich finden, stellt er klar - und wendet sich dann einer jungen Brünetten hinter ihm zu: "Ach, hallo, kennen wir uns nicht von letzter Woche?"

Eine Art Stammtisch am Schlachthof

Gerold (Bäckereimitarbeiter) und Gerhard (Vital-Coach für gestresste Manager) müssen am nächsten Tag nicht früh raus. Die meisten haben wie sie Schichtdienst, sind selbstständig oder Rentner. Manchen ist es auch egal. Sie kommen regelmäßig, kennen sich, alle duzen sich. Wie eine Art Stammtisch. Begonnen hatte das Ganze einst als "Älternabend". Seit acht Jahren heißt die Veranstaltung "Ü33-Party". Mit der Schnapszahl wolle man sich von anderen Ü30-Massenveranstaltungen absetzen, erklärt Veranstalter Markus Kraft. Er sagt: "Montags und sonntags sind die schlechtesten Tage für Abendveranstaltungen. Das kommt uns entgegen - wir sind einzigartig."

Sich nicht entscheiden zu müssen, zwischen der guten und der vielleicht noch besseren Möglichkeit, die doch noch kommen könnte. Vielleicht ist genau das der Erfolgsfaktor. Wenn es kein Überangebot gibt, entfällt auch das Gefühl, etwas zu verpassen. Bei Partys wie bei menschlichen Beziehungen.

Manchen reicht das Angebot an diesem Abend nicht. Gegen eins sitzt eine elegant gekleidete Mittvierzigerin auf der Treppe am Eingang, raucht und sagt: "Das hier ist nicht Ü33, sondern UHU - unter hundert." Vital-Coach Gerhard macht draußen Werbung für das Buch "Die Ebenen des menschlichen Bewusstseins". Entrümplerin Katja wimmelt einen Betrunkenen ab. Zwei Raucherinnen beobachten, wie ein Schweinetransporter in die Einfahrt gegenüber einbiegt. Zumindest hier gibt es doch Frischfleisch.

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