Ude trifft Schmidt:Alles über Schmidt

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Christian Ude interviewt Helmut Schmidt - und fungiert dabei als Münchner Maischberger-Ersatz. Der Altkanzler erweist sich als schlagfertiger Erzähler. Eine Begegnung im Volkstheater.

Dominik Hutter

Ja, Helmut Schmidt raucht. Das scheint inzwischen so exotisch zu sein, dass SPD-Landeschef Florian Pronold gleich in seiner Begrüßungsrede ausdrücklich und mit einem etwas missglückten Witz auf diesen Umstand hinwies: "Wo die Rauchfahne hochgeht, sitzt Helmut Schmidt." Ja, Helmut Schmidt raucht auch im Volkstheater. Allerdings nur auf der Bühne, wo dies zu darstellerischen Zwecken ausnahmsweise erlaubt ist.

Ude interviewt Helmut Schmidt
:"Na, Sie alter Gauner"

Altkanzler trifft Möchtegern-Ministerpräsident: Der bayerische SPD-Spitzenkandidat Christian Ude hat am Dienstagabend prominente Wahlkampf-Unterstützung bekommen - von Helmut Schmidt. Es war ein Ausflug in die Geschichte, auch zu Franz Josef Strauß.

Und um eine Ausnahme handelte es sich hier: Deutschlands oberster Bundeskanzler hatte sich bereit erklärt, einen Abend im Gespräch mit Christian Ude zu verbringen - vor Publikum. Denn der 93-Jährige fungiert nicht nur als höchste politische Instanz Deutschlands, sondern ist eben auch Sozialdemokrat und als solcher an einem Regierungswechsel in Bayern interessiert.

Die prominente Wahlkampfhilfe hatte Hans-Jochen Vogel eingefädelt, einst Schmidts Justizminister, und Ude war nach erfolgreicher Vermittlung extra für ein Kennenlern-Gespräch ins Berliner Altkanzlerbüro gefahren. Wobei wohl von vornherein klar war, dass Schmidt nicht über die Finanzierung des zweiten S-Bahn-Tunnels oder die Hallertauer Hopfenernte referieren würde. Auch ein flammendes Plädoyer für einen Ministerpräsidenten Ude gab es nicht.

Nein, Schmidt sprach über Schmidt, über die aktuelle Finanzkrise, den alten Widersacher Franz Josef Strauß, den Nato-Doppelbeschluss, die Hamburger Sturmflut von 1962 und sein persönliches Verhältnis zu Bayern. Ude war der Talkmaster, der Maischberger von München sozusagen. Der damit, sollte es nichts werden mit dem Ministerpräsidentenamt, immerhin eine Bewerbung für höhere TV-Weihen abgeliefert hat.

Der Abend im ausverkauften Volkstheater begann mit Vorschusslorbeeren für den einstigen Kanzler. Der jedoch ließ den Applaus völlig ungerührt an sich abprallen. Lieber zog er mit seinem Gehstock ein Tischchen, auf dem Aschenbecher und Zigaretten bereitlagen, in seine Nähe - was nicht nur ein gut vernehmliches Geräusch auf dem Bühnenboden verursachte, sondern auch das Publikum erheiterte. Überhaupt wirkte Schmidt gut gelaunt und trotz der zumeist ernsten Themen immer wieder zu kleineren Späßen aufgelegt. Umschrieb Kinder als "Gören" und vermutete, Ratingagenturen seien "dem allgemeinen Wahnsinn anheimgefallen". Und räumte auf mit einem Mythos: dem geflügelten Satz "wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen", der so gerne als Beleg für Schmidtschen Pragmatismus verwendet wird. "Das war eine einmalige Äußerung", versicherte Schmidt. Entstanden in einer speziellen Situation, als Journalisten seine Fähigkeit zum konzeptionellen Denken in Zweifel gezogen hätten. "Das würde ich so nicht wiederholen." Dennoch bleibe eine Skepsis gegenüber Visionären in der Politik erhalten - jenen, die alles Mögliche versprechen und es später nicht halten können. Davon gebe es viele, "auch in Bayern."

Beim Thema Bayern kam wieder einmal durch, was Gespräche mit Helmut Schmidt so interessant macht: die unerwarteten Antworten. Bayern? Das sei doch zusammen mit Hamburg das einzige westdeutsche Bundesland, dessen territorialer Besitzstand durch den Zweiten Weltkrieg nicht verändert wurde. Und das einst mit Alfons Goppel einen "wunderbaren Kerl" zum Ministerpräsidenten hatte. Auf Franz Josef Strauß, den Widersacher bei der Bundestagswahl 1980, kam Schmidt erst auf Nachfragen. "Ambivalent" sei das Verhältnis gewesen, und wenn der Bayer zum Gespräch vorbeikam, habe man sich mit "Na, Sie alter Gauner" und "Na, Sie alter Lump" begrüßt. Gegner, aber keine Feinde.

Schmidt findet, dass sich Strauß durchaus Verdienste für Bayern erworben hat: durch seine Neigung, "ziemlich alles, was an neuen Entwicklungen möglich war, nach Bayern zu holen". Gerecht sei das nicht gewesen, aber wirkungsvoll. Vermutlich gäbe es heute Werften in Bayern, "wenn man am Ammersee hätte U-Boote bauen können".

Beliebt bei Schmidt-Interviews ist stets das Spiel "Herr Kanzler, was hätten Sie getan?" Auch Ude fragte nach Lösungsansätzen für aktuelle Probleme und erhielt zur Antwort, dass eine Bankenregulierung unumgänglich sei. Dass es aber nur wenig Hoffnung gebe, da die Macht der Finanzmanager wieder so groß sei wie vor der Lehman-Pleite. Dass man es beim Maastricht-Vertrag versäumt habe, gemeinsame ökonomische Spielregeln für Europa aufzustellen und vor einem "dicken Problemkomplex" stehe. "Ich beneide Frau Merkel nicht um ihre Aufgabe." Schmeichelt es Schmidt, dass ihm so mancher noch heute das Amt des Bundeskanzlers zutraut. Die Antwort des 93-Jährigen fällt trocken aus: "Es schmeichelt mir sehr. Aber es ist nicht richtig."

© SZ vom 30.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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