Sind Millionenausgaben für die geplante U9 Geldverschwendung oder eine sinnvolle Investition? Der Stadtrat hat auf diese Frage eine klare Antwort gegeben. Am Mittwoch beschloss eine breite Mehrheit, den Rohbau für einen künftigen U-Bahn-Halt am Hauptbahnhof errichten zu lassen. Die hohen Kosten von knapp 563 Millionen Euro plus weiterer 100 Millionen Euro für die Planung nehmen die Stadträte fraktionsübergreifend in Kauf. Dagegen stimmten die Linke, die ÖDP und die AfD.
Es war keine leichte Entscheidung, die das Gremium zu treffen hatte. Denn angesichts der - nach heutigem Stand - Gesamtkosten für die U9 von vier Milliarden Euro ist noch lange nicht gesagt, dass sich die Stadt die 10,5 Kilometer lange Röhre inklusive fünf neuer Bahnhöfe sowie Bahnhofserweiterungen überhaupt leisten kann. Den Prognosen der Kämmerei zufolge könnte sich das Projekt, das frühestens in den 2030er-Jahren realisiert wird, sogar auf bis zu zehn Milliarden Euro verteuern.
Doch wenn der Rohbau als Vorhaltebauwerk für eine künftige U-Bahn-Station jetzt nicht gebaut wird, dann ist das später nicht mehr möglich. Der Grund: Die Station entsteht im Zuge des Baus der zweiten S-Bahn-Stammstrecke samt neuem Zugangsbauwerk am Hauptbahnhof und könnte dort nachträglich nicht mehr integriert werden. Doch ohne eine U-Bahn-Station am Hauptbahnhof dort ist der Bau der U9 nach einhelliger Meinung nicht sinnvoll.
Die neue Linie soll nicht nur die heutige U6 ersetzen, wodurch die U3 die heute gemeinsam mit der U6 befahrene Trasse für sich alleine hätte und in dichterem Takt fahren könnte. Sie soll auch an den Bahnverkehr angebunden sein und die dort haltenden Linien U1, U2, U4 und U5 entlasten. Mit der zweiten S-Bahn-Stammstrecke wird das Passagieraufkommen am Hauptbahnhof von heute schon 450 000 Reisenden noch einmal deutlich zunehmen.
Für den Fall, dass sich die Stadt aus dem Projekt zurückzieht, hatte die Deutsche Bahn (DB) zudem bereits Schadenersatzforderungen von 700 Millionen Euro angekündigt, da die Planungen bereits genehmigt sind und sich aus DB-Sicht der Bau der Stammstrecke weiter verzögern würde. Sie müsste schließlich nochmal neu planen.
Nicht wegen dieser Drohung der Bahn, sondern um sich die Zukunft der U9 buchstäblich nicht zu verbauen, nehmen die Stadträte die hohen Ausgaben von mehr als einer halben Milliarde Euro für den Rohbau in Kauf und hoffen weiterhin auf eine Förderung durch den Bund. Eine solche hat das Bundesverkehrsministerium allerdings noch nicht einmal unverbindlich in Aussicht gestellt, im Gegensatz zum Freistaat, der sich laut Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) an den Baukosten beteiligen würde, wenn auch der Bund einen Zuschuss gibt.
Einen Antrag auf Förderung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) kann die Stadt aber erst stellen, wenn es eine konkrete Planung samt konkreter Kostenschätzung gibt, davon ist sie allerdings noch weit entfernt. Darauf wies Fritz Roth (FDP) in der Debatte hin. Das ist aber auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) bewusst. Er würde sich von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zumindest ein Signal wünschen, dass die GVFG-Förderrichtlinien irgendwann so angepasst werden, dass die U9 überhaupt eine Chance auf eine Förderung hätte. Diese besteht nach den derzeitigen Regeln nicht, da der sogenannte Kosten-Nutzen-Faktor von 1 nicht erreicht wird, der für Geld vom Bund Voraussetzung ist. Doch ein solches Signal vom Verkehrsministerium gibt es bisher nicht. Er werde aber nicht klein beigeben, schließlich sei München die größte Kommune Deutschlands, sagte Reiter.
Zweite Stammstrecke München:Die Abfahrt verzögert sich um ein Vierteljahrhundert
Erst hieß es, dass die zweite Münchner Stammstrecke 2010 fertig sein soll. Jetzt reden sie von 2037. Da haben sie sich also ganz schön vertan. Von den Kosten ganz zu schweigen. Ein Untersuchungsausschuss soll sich jetzt kümmern. Eine Tiefenbohrung.
Trotz der Unsicherheit bei der Finanzierung bekannten sich die Stadträte, wie schon vor der Sitzung angekündigt, klar zu dem Projekt. Da sich die Fahrgastzahlen seit dem Bau der U3 und U6 in den vergangenen 50 Jahren mehr als verzehnfacht hätten, dichtere Takte aber nicht mehr möglich seien, brauche es die U9 als Bypass, erklärte SPD-Verkehrsexperte Nikolaus Gradl. Ein "deutliches Ja" sprach auch Grünen-Fraktionschefin Mona Fuchs aus und forderte vom Bund "klare Zusagen" für Fördermittel. Veronika Mirlach (CSU) erklärte, die CSU habe sich immer für den U-Bahn-Bau ausgesprochen, jetzt liege der Ball bei der Ampel-Regierung in Berlin.
Brigitte Wolf (Linke) dagegen lehnt die U9 strikt ab. Es wäre "hirnverbrannt", das Projekt zu genehmigen angesichts der Summe, die es kosten wird. "Niemand wird uns das finanzieren", sagte sie. "Wir werden die Stadt an die Wand fahren." Nicht zuletzt wegen der Entwicklungen bei der zweiten Stammstrecke, die doppelt so teuer wird und deren Fertigstellung sich voraussichtlich um zehn Jahre verzögert, erklärte Tobias Ruff (ÖDP), er habe den Glauben an die U9 verloren. Dabei sei er grundsätzlich kein U-Bahn-Gegner. Sein Vorschlag: "Sparen wir uns das Geld und stecken es lieber in ein funktionierendes Netz."
Durchsetzen konnte sich Ruff damit nicht, ebenso wenig wie mit dem Antrag, den Vorhaltebahnhof, sofern er denn gebaut wird, als Fahrradtiefgarage zu nutzen, statt ihn jahrelang leer stehen zu lassen. Auch die FDP scheiterte mit einem Antrag, dort eine kulturelle Zwischennutzung zu etablieren. Die Idee der Liberalen, den Hauptbahnhof zu entlasten, indem man Fernverkehr zu anderen Bahnhöfen verlagere, will der Stadtrat in Zusammenarbeit mit der DB aber prüfen lassen.