Typisch deutsch:Witz komm raus, wir sind umzingelt

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Eine Clownshow 2018 in Trudering (Symbolfoto). (Foto: Florian Peljak)

Unser Autor sieht Überschneidungen der Funktionalität des bayerischen und syrischen Witzes. Der Unterschied: In Syrien würde man für manchen Gag im Gefängnis landen.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Lange war es für mich beim Hören eines Witzes sehr schwer, den Inhalt zu verstehen. Nicht nur einmal saß ich im Münchner Hofbräuhaus mit Einheimischen am Tisch - sie spielten Karten und tranken Bier, ich saß da und schlürfte meinen Tee. Wenn sie lachten, lachte ich auch, sie waren berauscht und gut gelaunt. Dass ich den Witz überhaupt nicht verstand - oder erst viel später - spielte keine Rolle. Auf Syrisch würde man sagen, es erging mir wie einem Gehörlosen bei einer Hochzeit. Auf Bairisch sagt man: Es war eine griabige Gaudi.

Ohne den kulturellen und geschichtlichen Hintergrund sind Witze schwer zu verstehen. So gibt es in Bayern etwa viele Witze über die sogenannten Preußen. Der zum Beispiel: Herr Quast-Brüggemanns beschwert sich nach seinem Urlaub im Alpengasthof: "Als ich wieder zu Hause angekommen war, krochen fünf Kakerlaken aus meinem Koffer!" Darauf der Wirt: "Ja, de wern a Freid ghabt ham, dass' wieder dahoam war'n."

Diese Art von humoristischem Kulturkampf zwischen den Bayern und Preußen - womit gemeinhin die Bundesbürger nördlich der Donau gemeint sind - kommt mir durchaus bekannt vor. Auch in Syrien ist dieses Witzgenre immer wieder zu erkennen, etwa zwischen den Einwohnern der Städte Rakka und Deir ez-Zor. In Rakka erzählt man sich gerne folgenden überschaubar lustigen Kalauer: "Ein Mann aus Deir ez-Zor stellt zwei Fernseher übereinander, damit auch seine Füße das Programm sehen können."

Die Funktionalität des bayerischen und syrischen Witzes weist durchaus Ähnlichkeiten auf. Der Bayer erzählt etwas derber und handfester, wenngleich nicht minder geistreich und erheiternd. Beiderlei Witze drücken oft eine Form von Rivalität aus. Was nach Abneigung klingt, ist nicht selten als Respektsbekundung zu verstehen. Oder anders ausgedrückt: Es ist ein gutes Zeichen für die drittklassigen Sechzger, dass Bayernfans nach wie vor Löwen-Witze machen.

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Ähnlich ist es mit Witzen über Preußen oder Ostfriesen, bei denen es manchmal gar nicht so sicher ist, wer jetzt über wen zu lachen hat. Treffen sich ein Ostfriese und ein Bayer im Aufzug. Steigt der Bayer aus und sagt: "Grüß Gott". Antwortet der Ostfriese: "Tut mir leid, so hoch will ich gar nicht!"

Die Parallelen des Witzerzählens haben mir geholfen, Comedyshows und Kabarett wie neulich auf dem Nockherberg zu verstehen und wertzuschätzen. Zumal man in Syrien für solche Auftritte ziemlich sicher im Gefängnis landen würde. In Syrien machen die Menschen ihre Witze eher im kleinen Kreis. Bis heute witzelt man dort gerne über die Einwohner der Stadt Homs, denen man einen Hang zum Wahnsinn nachsagt. Um die Dinge zu kapieren, ist es aber - wie in Bayern - wichtig, dass man den Hintergrund und historischen Zusammenhang kennt.

Es war im 13. Jahrhundert als die Mongolen von Osten nach Syrien eindrangen. Sie zerstörten und plünderten mit brutaler Gewalt Städte und rissen Häuser nieder. Um verschont zu bleiben, heckten die Homser Stadtbewohner einen Plan aus: Sie wollten so tun, als ob sie verrückt wären. Sie verspeisten zu diesem Zweck ihre eigenen Kleider und schnitten dabei Grimassen. Die Mongolen waren ob dieser Bilder erstaunt und zogen ab, in der Meinung, solche Verrückten müsse man nicht umbringen - sie sind schon gestraft genug. Jeder Witz darüber ist im Kern eine Hommage an die raffinierte List.

© SZ vom 19.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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