Erster Oktoberfest-BesuchWarum macht man da freiwillig mit?

Lesezeit: 3 Min.

Erster Wiesn-Samstag: Imaan Huseen Dinnle bei seinem ersten Oktoberfestbesuch.
Erster Wiesn-Samstag: Imaan Huseen Dinnle bei seinem ersten Oktoberfestbesuch. (Foto: Mohamad Alkhalaf)

Unser Autor ist seit 13 Jahren Münchner und mied das Oktoberfest stets wie die Katze das Wasser. Jetzt ging er das erste Mal. Über eine Wiesn-Premiere mit unerwarteten Erkenntnissen.

Kolumne von Imaan Huseen Dinnle

Da stehe ich nun, mitten im Lärm im Dunst aus Bier, gebratenem Huhn und Schweiß. Die Bänke sind an solchen Orten ganz offenbar nicht zum Sitzen gedacht, jedenfalls stehen alle, singen und halten sich an den Schultern während sie riesige Bierkrüge balancieren. Kaum zu glauben, dass nicht fortlaufend jemand von der Bank purzelt. Eventuell hat sich herumgesprochen, dass man sich von diesem mehr als schmutzigen Boden fernhalten sollte. Alles nicht ganz sauber hier. Oder?

13 Jahre lebe ich inzwischen in München, 13 Jahre, in denen ich das Oktoberfest gemieden habe wie eine Katze das Wasser. Ich sah mich nie in meinem Element auf diesem überdimensionierten Festplatz mit, wie ich hörte, viel zu hohen Preisen. Oft war mir das Oktoberfest schon zu Ohren und zu Augen gekommen, wenn ich durch die Straßen ging, Menschen in bayerischer Tracht aus der U-Bahn wanken sah, grölend über den Marienplatz ziehen oder im Gebüsch pinkeln. Warum macht man da freiwillig mit? Diese Frage trieb mich zugegebenermaßen stets um. Und nun, im 13. Jahr, versuchte ich mein Glück, um Antworten zu bekommen.

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Es braucht keine Tiefenrecherche, um zu erfahren, dass die „Wiesn“ ihren Ursprung in einer königlichen Hochzeit hat, die mehrere Tage dauerte. Im Jahr 1810 wurde seinerzeit ein Pferderennen vor den Toren Münchens veranstaltet. Das heutige Oktoberfest ist das Erbe des Kronprinzen Ludwig, dem späteren König Ludwig I., und Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen, seiner Gemahlin. Und die Erbschaftssteuer, die zahlen bis heute die Festbesucher.

Erster Wiesntag, Tag des Anstichs, Tag meiner Premiere. Schon auf den ersten Metern macht sich die Sorge breit, dass ich mich auf dem riesigen Gelände verlaufen könnte. Verloren fühle ich mich, fehl am Platz, wie ein Kaktus im Nadelwald, dem es hier viel zu feucht und fröhlich zugeht. Wie soll ich da jemals dazugehören?

Vielleicht hilft meine Trachtenjacke. Und definitiv mein Wiesn-erprobter Kollege Mohamad; mit meinem Begleiter fühle ich mich etwas sicherer. Jedenfalls kommen zunehmend Menschen auf uns zu, die mir Fragen stellen, nicht wenige im bairischen Dialekt. „Wie viele Jahre lebst du schon hier?“ „Gefällt es dir bei uns?“ „Woher hast du deine Joppe?“ Wir lachen und unterhalten uns, und auf einmal spüre ich, dass speziell einheimische Münchner sich freuen, wenn ein fremd aussehender Besucher ihre Sprache spricht. Mein Deutsch ist längst fließend, wenn aber der Dialekt mit großem Bierdurst fusioniert, wird es für mich zur Herausforderung, die Menschen zu verstehen.

Neue Bekannte: Imaan Huseen Dinnle mit zwei Trachtlern auf dem Oktoberfest.
Neue Bekannte: Imaan Huseen Dinnle mit zwei Trachtlern auf dem Oktoberfest. (Foto: Privat)

Ich selbst halte mich beim Bier mit Überzeugung zurück; die Abstinenz ist mein eigenes religiöses Erbe aus Somalia, dem ich treu bleibe. Meine anfängliche Distanziertheit weicht aber nun zunehmend dem Interesse am Spektakel. Das Riesenrad, die Geisterbahn, wilde Maschinen, die Menschen durch die Gegend schleudern. Alte Traktoren, ein königlich aussehender Wagen sind zu sehen. Dann aber meint mein Kollege, dass es jetzt an der Zeit sei für das Hauptprogramm. Also hinein ins Bierzelt.

Drin fühlt es sich an, als hätte man die Menschen hier mit einem großen Topf Zaubertrank gedopt. Die Dimension der Ekstase überwältigt mich, überfordert mich aber zugleich. Müsste ich mich jetzt auf die Bierbank stellen und mittanzen, ich täte mich wohl schwer. Alles wabert im Takt der Musik, Trompeten und Akkordeons schallen durch die stickige Luft, es wird geknutscht und getanzt und getrunken. Das Bierzelt kommt mir wie ein Mikrokosmos vor, wo die oft gar nicht so lustige Welt da draußen ausgesperrt wird.

So vieles hier ist erwähnenswert. All die Mitarbeiter, die in diesem wilden Treiben die Souveränität bewahren, Polizeigruppen, Feuerwehrleute und Rettungskräfte. Ich sah sogar junge Somalier, die im Sicherheitsdienst arbeiteten.

SZ-Kollegen im Team „Typisch deutsch“: Imaan Huseen Dinnle mit Mohamad Alkhalaf und dessen Tochter.
SZ-Kollegen im Team „Typisch deutsch“: Imaan Huseen Dinnle mit Mohamad Alkhalaf und dessen Tochter. (Foto: Mohamad Alkhalaf)

Die somalische Kultur, besonders in der Stadt Mogadischu, kennt viele Veranstaltungen, die mit der Religion verbunden sind. Etwa Eid und Mawlid, wo die Menschen zusammenkommen, um zu essen und zu beten. Früher gab es auch eine Tradition namens Istunka, bei der junge Männer weiße Kleidung trugen und sich mit Stöcken gegenseitig verhauten – ein unkonventioneller Brauch, der einer Aufführung ähnelte, aber selten schmerzfrei endete. Ähnlich wie die Wiesn, weil, wer den Masskrug ehrt und leert, erlebt bisweilen ein böses Erwachen, so zumindest wurde es mir zugetragen.

Ich mache mich nun auf den Heimweg mit einem Gefühl von Frohsinn. Schon beachtlich, dass Millionen Menschen an einem Ort zusammenkommen und gemeinsam friedlich feiern können. Ich habe diesen Tag als Form der sozialen Integration erlebt, wenn sich Menschen, die sich nicht kennen, begegnen und unterhalten. Klar, München macht damit auch finanziell ein Milliardengeschäft. Aber wenn schon viel Geld ausgeben, dann für den internationalen Zusammenhalt. Ich komme wieder, keine Frage.

Mitarbeit: koei

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Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die Hochzeit von Prinzregent Ludwig sei der Ursprung des Oktoberfestes. Richtig ist, dass es die Hochzeit von Kronprinz Ludwig war.

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