Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Wie man mit Vögeln spricht

Wie schafft man es als Mensch, von Amseln oder Stieglitzen akzeptiert zu werden? Manchmal reicht ein einziger Begriff.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Manchmal höre ich meine Nachbarin im Garten reden: "Heut habt ihr ja alles gefressen, ihr kloana Wurstelchen." Oder: "Hat es euch nicht geschmeckt? Da liegt noch so viel im Häuschen, ihr kloana Wurstelchen." Jeden Tag aufs Neue trägt sie Körner und Samen in den Garten und beginnt zu reden. Es sieht aus, als spreche sie mit der Luft. Aber sie ist nicht verwirrt oder dergleichen. Sie mag einfach Vögel sehr gerne.

Wenn in Syrien jemand mit Vögeln spricht, wird er getadelt. Eltern hindern ihre Kinder daran, sich mit Vögeln anzufreunden. Als größte Sünde gilt, sich mit Tauben einzulassen. Tauben werden eher als Indikator für Schmutzigkeit und Hinterlist gesehen denn als Symbol für Frieden.

Ich fand das schon immer schade. In Syrien war es mein Kindheitstraum, einen Vogel aufzuziehen. Zu hören, wie er singt, und ihm Futter zu geben. Als ich ein Kind war, rannte ich einst hinter einem kleinen Vogel her, um ihn zu fangen und zu behalten. Es war ein heißer Sommertag - und der Piepmatz hatte Schwierigkeiten mit dem Fliegen. Es handelte sich offenbar um ein Jungtier, was mir meine Mission erleichterte. Der Vogel machte vor Müdigkeit und Durst Halt - und ich fing ihn. Als ich ihn stolz meinem Vater präsentierte, bekam ich Ärger. Weniger wegen der distanzierten Einstellung. Mein Vater machte mir klar, dass dieser Vogel zu seiner Mutter in die Natur gehöre - nicht in meine Hände.

Inzwischen lebe ich in einem Land, wo viele Vögel in Bewegung sind - weil in den Bergen wieder der Schnee fällt. Vor einigen Jahren warf ich einem einheimischen Kumpel Schnee ins Gesicht, was zwar ein Versehen war aber trotzdem ein toller Treffer. Er meinte, ich hätte einen Vogel, womit er definitiv nicht recht hatte.

Nachdem ich die deutsche Sprache gelernt hatte, konnte ich seine Behauptung besser einordnen. Und inzwischen haben sich die Dinge auch etwas verschoben. Mein besagter Freund hat tatsächlich zwei Vögel, Stieglitze, mit denen er bairisch spricht - ähnlich wie meine Nachbarin. Solche Gespräche dienen oft als Ersatz für Kommunikation mit Menschen, was verständlich ist, weil das Tier keine Widerworte gibt, mit Ausnahme vielleicht eines sprachbegabten Papageis.

Mein Freund war nun in den Urlaub gefahren - und ich sollte auf seine Stieglitze aufpassen. Oder besser: durfte. Zunächst wähnte ich mich glücklich, aber da hatte das Theaterstück noch nicht begonnen, das sich zunächst als Tragikomödie anbahnte: Die Vögel reagierten nicht auf mich, null, nicht mal, wenn ich sprach. Und das Futter rührten sie auch nicht an. Um Himmels Willen.

Ich grübelte nach, ging auf die Suche im Internet mit einem schönen Satz als Ergebnis, der allerdings mein Problem nicht konkret löste: Ärgere dich nicht, wenn dir ein Vogel auf den Kopf kackt, sondern freu dich, dass Elefanten nicht fliegen können. Aber es kackte ja niemand, es wurde nicht einmal gefressen. Dann kam mir eine Idee. "Hat es euch nicht geschmeckt? Da liegt noch so viel im Häuschen", sagte ich. Und säuselte hinterher. "Ihr kloana Wurstelchen." Da trippelte der erste Stieglitz aus der offenen Käfigtür und landete auf meiner Schulter.

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