Typisch deutsch:Her mit der virtuellen Wiesn!

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Ein Wiesn-Besucherin im Dirndl hält ein traditionelles Oktoberfest-Lebkuchenherz in der Hand (Symbolfoto). (Foto: Sonja Marzoner)

Das Abstandsgebot des Oktoberfests am Laptop würde das Risiko massiv senken, dass jemand einem sein Hendl übers Dirndl speit. Und auch sonst hätte das Event allerlei Vorteile.

Kolumne von Lillian Ikulumet

In einem normalen Jahr wären wir gerade in der Hochsaison der Frühlingspartys. Das Zuprosten mit Aperitif oder Bier fällt nun aber weitestgehend in die Kategorie Nostalgie. Ebenso wie Yogakurse und Fitnessstudio, wobei sich meine Sehnsucht danach deutlich mehr in Grenzen hält. Ich stelle verspätet fest, dass ich einmal ein Leben voller ruhmreicher Abenteuer geführt habe. Treffen mit Freunden auf einen Drink, während man auf einem Barhocker sitzt und quatscht oder sich zu mehreren um einen kleinen Tisch quetscht. Wehmütiges Zurückblicken auf glückliche Stunden - als man noch mit einem Zombie-Cocktail in der Hand in der Bar saß statt vor der Zoom-Konferenz im Büro daheim.

Während wir Afrikaner für unseren lebhaften verrückten Geist und unsere rhythmische Haltung auf Partys bekannt sind, habe ich in München festgestellt, dass für nicht wenige Stadtbewohner die Partystimmung erst nach etwa zwei bis drei Mass Bier entzündet wird. Selbst wenn sie auf Münchens wildester Party, dem Oktoberfest sind, das in fast jedem Zelt nahezu vor Energie zu explodieren scheint.

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Nach ihrer Ankunft in Deutschland waren die SZ-Kolumnisten Olaleye Akintola, Lillian Ikulumet und Mohamad Alkhalaf erstmals 2016 auf der Wiesn. Wie sich ihr Blick auf das größte Volksfest der Welt mit den Jahren verändert hat.

Kolumne von Olaleye Akintola, Mohamad Alkhalaf und Lillian Ikulumet

Als ich neulich einen Spaziergang entlang der Theresienwiese machte, überkam mich umso mehr ein Gefühl von Traurigkeit. Die Stimmung zu dieser Jahreszeit ist normalerweise positiv angespannt, etwas nervös, aufgeregt. Es wäre ja nicht mehr lange bis zum Zeltaufbau für das Event des Jahres. "Auf eine friedliche Wiesn", würde Oberbürgermeister Reiter sie feierlich eröffnen. Normalerweise. Nun, da die Wiesn wieder auf der Kippe steht, scheint der Stadt ihr Wesenskern im Feiern abhanden zu kommen. Oder etwa nicht?

Die Münchner brauchen zum Feiern einen gewissen Vorlauf, im Sinne von: Es muss etwas ins Glas laufen, ehe die Stimmung steigt. Manche Leute kommen auch erst in Schwung, wenn sie in Bayern aus einem Bierzelt geschmissen werden. Eine weitere Lektion, die ich über die Bewohner der Stadt gelernt habe: Man sollte sie nie unterschätzen. Nicht wenige meiner geneigten Freunde und Bekannten mit Affinität zu Bars, Biergärten und Clubs behelfen sich seit einem knappen Jahr mit virtuellen Feten, bei denen sie sich über Skype oder Zoom zuprosten. Und so mancher dieser Abende endete gar mit einer Tanzeinlage vor der Laptop-Kamera.

Was heißt das für das wichtigste Party-Event des Jahres? Für die friedliche Wiesn der Münchner? Wäre es nicht eine Überlegung wert, das diesjährige Oktoberfest mit einer mehrtägigen virtuellen Wiesn-Party zu feiern? So hätten sicher mehr Leute die Chance, am Anzapfen im Schottenhamel-Zelt teilzunehmen. Dann werden sich weibliche Festgäste wie ich nicht mehr wegen der langen Klo-Schlangen Gedanken machen müssen. Oder die Sorge mit sich tragen, dass man im Zelt keinen Platz mehr bekommt. Ich müsste mich nicht einmal mehr um einen Babysitter für meine kleine Taliah kümmern. Das Abstandsgebot der Laptop-Wiesn würde das Risiko massiv senken, dass einem ein wankender Freak sein Hendl übers Dirndl speit. Der Zoom-Zombie ist dann mein Cocktail.

© SZ vom 30.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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