Typisch deutsch:Das Mysterium des rauchenden Zwergs

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In Syrien sind Räuchermännlein eher ungewöhnlich. Auch diese Tradition hat unser Autor erst in Bayern kennengelernt. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Eine unbewegliche Holzfigur, die Rauchschwaden ausstößt? In Syrien übernehmen diese Aufgabe die Menschen noch weitestgehend selbst. Über die Entgeisterung des Rauchens.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Die Garmischer Alpen waren diesmal mein Ziel. Eine Winterwanderung zusammen mit einem syrischen Weggefährten. Und wie es so ist, betritt man bei solchen Unternehmungen irgendwann eine gemütliche Almhütte. So auch diesmal. Allerdings wurde es nicht nur gemütlich, sondern auch etwas unheimlich.

Die Holztür schloss sich knarzend, drin im Warmen begrüßte uns ein gemütlich aussehender Mann auf bairisch. Sekunden später entdeckten wir die hölzerne Figur. Sie war vielleicht 15 Zentimeter groß und stand hinter dem Mann auf dem Fensterbrett. Aber sie stand nicht nur reglos da, sondern stieß dabei Rauchschwaden aus.

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Mit einem Auge schauten wir dem gemütlichen Mann zu, wie er seine friedlich klingenden Worte sprach. Unser zweites ebenso wachsames Auge aber hatte den rauchenden Zwerg fest im Blick. Mein Kumpan rutschte unruhig auf seinem Stuhl. Die seltsame Gestalt im Hintergrund ließ die friedliche Aura des gemütlichen Mannes trügerisch wirken. Oder sollte ich sagen: magisch?

In Syrien erzählt man sich, dass zauberhafte Wesen weit abseits von der Stadtbevölkerung auf dem Land wohnen, wo sie ihre okkulten Praktiken pflegen. Sie hätten die Gabe, mit Geistern zu sprechen und andere Fähigkeiten, die sich für Schauergeschichten eignen.

Wir saßen nun in der Stube bei einer Brotzeit zusammen. Die Szenerie machte sicher den Anschein einer zünftigen Zusammenkunft, doch unser Herz schlug wie das eines Spatzen, wenn er den Adler erblickt. Fürchteten wir uns gerade ernsthaft davor, dass der Mann und sein Männlein Almgeister heraufbeschwören? Die alten Schauergeschichten waren unseren Köpfen noch nicht entwichen.

Mohamad Alkhalaf rauchte zu Studienzeiten. Jetzt überlässt er das dem kleinen Mann aus dem Erzgebirge. (Foto: Bernd Schifferdecker)

Inzwischen bin ich in vielen gemütlichen Stuben gesessen. Die Existenz des adventlichen Räuchermännleins wurde mir alsbald geläufig. Auch dessen Bedienung: Männlein öffnen, Duftkerze entzünden und einsetzen, idealerweise Verbrennungen vermeiden, Männlein schließen. Fertig ist der rauchende Zwerg.

In Syrien sind Räucherkerzen eher ungewöhnlich. Darum kümmern sich die Menschen dort weitestgehend selbst. Rauchen gilt unter Jugendlichen als Ausdruck von Männlichkeit und soll anziehend auf Mädchen wirken. Deswegen rauchte auch ich zu Studienzeiten. In Deutschland überlasse ich diese Aufgabe nun dem kleinen Mann aus dem Erzgebirge.

Hierzulande ist das Rauchen gesellschaftlich deutlich weniger en vogue. Es wunderte mich deswegen umso mehr, dass dieses Räuchermännlein so salonfähig ist. Es wird zwar wenig geraucht, dafür umso mehr getrunken. Bier, Wein und Schnaps sind in Bayern sehr gesellschaftsfähig.

So rauchen die Räuchermännlein in den Stuben des Landes einsam und wohl duftend vor sich hin. Das einzige Gespenst, vor dem man sich zwischen den Rauchschwaden hüten sollte, ist der Himbeergeist aus der Schnapsflasche.

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