Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Nie spontan, nur mit Plan

Viele Deutsche sind erschreckend gut durchorganisiert und stets mit Stift und Papier ausgerüstet. Es wirkt, als sei das Leben ein Unternehmensprojekt, findet unser Kolumnist.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Wie wäre es, wenn wir eine syrisch-deutsche Party veranstalten? Beate vom Helferkreis fand die Idee damals sehr gut. Ein bisschen Völkerverständigung nach der Flucht und der Ankunft in Kirchseeon. Und so holte Beate ein Büchlein und einen Stift aus ihrer Tasche. Dann stellte sie mir Fragen: Wann? Wie viele Teilnehmer? Welche Location? Was servieren wir?

Ähm, hallo? Es ist nur eine Party, kein Unternehmensprojekt. Dachte ich mir, verkniff mir aber die Bemerkung. Weil ich mich daran erinnerte, was wir in arabischen Ländern sagen: Woran erkennt man einen deutschen Touristen? Er ist in Funktionskleidung gehüllt, mit einem Film Sonnencreme eingeschmiert und läuft mit Socken in Sandalen durch die Gegend. Viel bezeichnender ist aber die Tatsache, dass er mit Reiseführer und Stadtplan ausgerüstet ist.

Immerhin trug Beate keine Funktionskleidung. Aber eben Büchlein und Stift. Das Wort "veranstalten" hatte bei ihr offenbar einen Automatismus ausgelöst. Sie begann in diesem Moment den sogenannten Planungsprozess. Ein deutscheres Wort gibt es nicht.

Es war in vielerlei Hinsicht ein Fremdwort für mich. Ich schätzte mich als spontan ein, wie einen Feldhasen, der im Zweifel immer noch einen Haken schlagen kann, wenn es der Fuchs nicht erwartet.

Im Frühling geht der Hase Karotten fressen und spielt in der Sonne. Aber mit Beate war nicht gut Karotten essen. Wie ein Computer sammelte sie in den kommenden Stunden die aus ihrer Sicht relevanten Daten und trug sie im Büchlein zusammen, während ich meine Haken schlug.

Die geplante Party durfte durchaus als Erfolg gewertet werden. Die Location, Beates Garten, war säuberlich aufgeteilt. Es gab Ablageorte für die Instrumente, gut eingedeckte Esstische, wo jeder seinen Platz hatte, eine Tanzfläche und sogar eine Art Programm, wann musiziert, gegessen und getanzt wurde.

Nicht jeder Bayer geht so konsequent vor wie Beate. Manchmal ist auch ein "Basst scho" zu vernehmen, was übersetzt so viel heißt wie: Diese Angelegenheit wird sich schon adäquat klären und jetzt geh mir damit nicht mehr auf die Nerven. Ich selbst war immer ein Basst-scho-Typ. Der erfolgreichste Plan, den ich in Syrien gemacht habe, war, als ich meine Flucht vor den IS-Kriegern organisierte.

Alles in allem hat Deutschland mich zu einem weniger verplanten Menschen gemacht. Stift und Notizbuch schätze ich nun als Gedankenstütze, weil auf das Hasenhirn halt doch nicht immer Verlass ist. Planung macht das Leben oft leichter, man sollte es mit der Perfektion aber keinesfalls übertreiben.

Schön ist, wenn ein Plan eben nicht ganz perfekt ist. Denn dann entstehen die wirklich guten Geschichten. So wie bei meiner bis dato größten Grillparty anlässlich der Hochzeit mit Hanna. Natürlich hatte mir Beate wieder bei der Planung assistiert, wobei - wenn überhaupt - ich der Assistent war. Am Abend stellte sich dann heraus, dass wir zu viel Hühnchen eingeplant hatten. Und so fassten wir einen spontanen Beschluss und feierten Tage später einfach die nächste Grill-Party.

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