Typisch deutsch:Manches Verbot ist nur schwer zu verstehen

Handyverbot in Ruhebereichen; Bahn Ruhebereich

Telefonieren verboten: In einigen Wagen der Deutschen Bahn soll Ruhe herrschen.

(Foto: picture alliance / Soeren Stache)

Neuerdings flüstert unser Autor aus Nigeria, wenn er in der Bahn telefoniert. Auch auf andere Tabus musste er sich erst einstellen.

Kolumne von Olaleye Akintola

Anrufe auf dem Handy sind am schönsten, wenn sie den Alltag aufheitern. Einer meiner Freunde ist so ein Kandidat. Er beglückt mich bisweilen mit witzigen Anrufen, die besser wirken als jede Medizin. Ich erinnere mich an einen Moment, da klingelte er mich während einer Zugfahrt an. Er fragte gar nicht groß nach, sondern erzählte mir einfach von einem Kumpel, der vorgegeben hatte, in den Urlaub zu fliegen, stattdessen jedoch daheim auf dem Balkon urlaubte. Er hoffte auf Sonne, damit sein verlogener Plan nicht auffliegt. Doch die Sonne blieb aus, und mit ihr die gewünschte Bräunung. Ich habe mich weggeschmissen vor Lachen, brüllte und wieherte, dass man es im ganzen Zugabteil hören konnte.

Mit meiner Freude über den gelungenen Balkon-Witz zog ich die Aufmerksamkeit der anderen Passagiere auf mich. Mit sehr missbilligenden Blicken sahen sie in meine Richtung. Ich aber ignorierte die zornigen Gesichter und führte das Telefongespräch munter in meinem nigerianischen Stammesdialekt fort. Ich ließ mir keine Gelegenheit nehmen, um zwischendurch immer wieder schallend laut zu lachen. Das bekam auch eine ältere Dame mit, die neben mir saß. Sie hatte nun offenbar genug und bewegte sich mit einer dezent aggressiven Aura in meine Richtung. Ich dachte zunächst, sie müsse dringend auf die Toilette, ehe ich ihr eigentliches Problem erkannte: Sie stellte mich vor die Wahl, entweder meine Stimme zu senken, oder Besuch von der Polizei zu bekommen. Da musste ich vor Lachen johlen.

Mit dem Ende des Telefonats verging mir das Lachen. Im Nachhinein irritierte mich nun die Verärgerung meiner Sitznachbarin, die letztlich gar den Platz wechselte. Ist die Freiheit des Ausdrucks nicht Teil dieser freiheitlichen Münchner Welt? Insbesondere für den, der wie alle anderen mit gültigem Ticket in einem für alle zugänglichen Bahnabteil sitzt? Ich wollte es ihr gerade zurufen, da hielt ich inne. Im Augenwinkel sah ich ein Symbol mit einem durchgestrichenen Mobiltelefon an der Abteilwand kleben. Es war unschwer zu erkennen, was es mit diesem Zeichen auf sich hatte.

In Nigeria gibt es außer Kirchen oder Bankfilialen keine Orte, an denen man sich beim Telefonieren (und Lachen) rechtfertigen müsste. In Bayern ist es hingegen vielerorts ein Tabu. Drei Jahre nach dem Balkonwitz-Anruf fühle ich mich mittlerweile wie ein Schwerverbrecher, wenn ich in der Bahn ein Telefonat führe. Ich flüstere dann fast, wie bei einer geheimen Mission. Mich und viele meiner afrikanischen Freunde irritierte dieses Münchner No-Go anfangs sehr. Warum mögen wir so gerne laut in der Öffentlichkeit telefonieren und die Münchner nicht?

Manches ist schwer zu verstehen, für den, der eine neue Welt betritt. Und bisweilen hilft es, nicht jedes Tabu ständig zu brechen. In mancher Hinsicht wird das Regelwerk in Bayern äußerst streng interpretiert. Beispielsweise beim Pieseln. Mit Ausnahme des Oktoberfests sieht man in München so gut wie nie jemanden bei dieser Beschäftigung an einer Hauswand stehen. Man kann zwar in öffentlichen Kabinen - auch in einem Zug - hinter verschlossenen Türen ungestraft Klobrille, Schüssel und Boden verschmutzen. Wird jedoch ein Stehpinkler im Freien ertappt, ist der Ärger und auch der Aufschrei groß.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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