In meiner Anfangszeit in München fragte ich mich oft, warum nur so wenige aus einer Familie zum Einkaufen gehen. Wo ist die ganze Rasselbande? In Syrien kommt eine Mutter mit ihren fünf bis sieben Kindern auf den Markt.
Ich lebte in einer elfköpfigen Familie, mit meinen acht Geschwistern. Jeden Tag aßen wir zusammen - und das war vor dem Krieg wie eine Party: laut, chaotisch, jeden Tag ein Highlight. Syrische Eltern haben viele Kinder und sind stolz darauf. Jedoch können sie die Anzahl nur schwer planen. Es gibt kaum Verhütungsmittel - und die sind verpönt.

Typisch deutsch:Wo sind all die Pfundskerle?
Unser Autor hat in seiner Heimat lange an seiner luxuriösen Idealfigur gearbeitet. Hier musste er feststellen, dass viele Menschen auf Magerlook stehen.
Als ich vor zwei Jahren geheiratet hatte, sagten viele arabische Freunde zu mir: Sei stark und zeuge ein Kind! Einige Monate nach der Hochzeit fragten sie mich: Hast du jetzt schon ein Kind? Ich fühlte mich leicht unter Druck gesetzt. Ein syrisches Sprichwort sagt: "Ein Kind kommt und der Unterhalt mit ihm!"
Wenn ich mit Einheimischen spreche und ihnen erzähle, dass ich verheiratet bin, bekomme ich deutlich weniger Druck bei der Kinderfrage. Es geht dann eher um den Zeitpunkt des Kinderkriegens - zunächst weniger um die Anzahl. Mein Eindruck: Je wenige Kinder, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt jedes einzelne. Mein Vater etwa hat mich nie von der Schule abgeholt. Er vertraute darauf, dass ich das selbst hinbekomme. Er kaufte mir auch nie Kleidung oder Schuhe, er wusste gar nicht meine Größe. Als Kind machte mich das manchmal traurig. Im Nachhinein darf man ihm das aber nicht übel nehmen. Bei so vielen Kindern, die er hatte - und deren Schuh- und Kleidergrößen sich ständig änderten.
In meinem Heimatort Kirchseeon habe ich Väter kennengelernt, die die Größe der Kinderschuhe genau kannten. Deren Vorteil: Sie müssen nur über zwei Kinder Bescheid wissen, nicht über sieben. In Syrien sind es auch wirtschaftliche oder gesellschaftliche Zwänge, die Frauen veranlassen, viele Kinder zu bekommen. Wo Bildung und Wohlstand steigen, sinkt meist die Geburtenrate. Für meine Frau und mich gilt derzeit, noch mehr Sicherheit zu schaffen. Ich habe aber keine Zweifel, dass die Geburt und das Aufwachsen einer Tochter oder eines Sohns zu den großartigsten Erfahrungen im Leben zählt. Falls ich einmal Vater werde, will ich die Größe der Kinderschuhe wissen.