Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Warum beleidigt sie mich jetzt?

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Daumendrücken ist in Syrien eine Beschimpfung und bedeutet soviel wie "Geizhals". Wie Fingersprache zu interkulturellen Missverständnissen führen kann.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Meine Vermieterin hatte mich gebeten, den Rasen zu mähen. Dieser Pflicht kam ich eifrig nach und mähte nicht nur den Rasen, sondern stutzte auch noch die Hecken ringsum im Garten und hinter dem Haus. Ich war schon ein bisschen stolz, weil ich es so gut gemacht hatte. Meine Vermieterin kam aus dem Haus und war überrascht: "Du bist a Hund!", sagte sie und formte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis und streckte die drei anderen Finger aus. Warum beschimpft sie mich denn jetzt?

Nach meiner Flucht aus Syrien und der Ankunft in Bayern war ich mir lange unsicher, ob ich die Botschaften der Einheimischen richtig verstehe - und sie mich. Besonders im Bereich der Mimik und Gestik ist es ein verfängliches Unterfangen. Etwa wenn der Culture-Clash dazu führt, dass das Gegenteil von dem ankommt, was man auszudrücken gedachte.

Der Szene im Garten ging ein Erlebnis im Flüchtlingscamp in München voraus. Wir bekamen Besuch von zwei jungen einheimischen Frauen, die mich und einen Freund fragten, ob wir zu einem Ausflug ins Gebirge mitkommen mögen. Gerne wollten wir, doch gab es einen Haken: Der Trip kostete zehn Euro pro Person. Da wir weder Geld hatten noch Deutsch sprachen, übermittelten wir die Botschaft durch eine orientalischen Geste: Das Legen eines Daumens an den Gaumen hinter die oberen Schneidezähne. Das bedeutet in Syrien: "Ich habe kein Geld." Die beiden Frauen reagierten mit Entrüstung. Die Bergtour war für uns gelaufen.

Mit der Zeit wurde vieles besser. Ich lernte die Körpersprache der Deutschen zu verstehen und anzuwenden. Wenn jemand mit seinem Daumen auf vier geballte Finger drückt, muss ich mich nicht mehr über das syrische Zeichen ärgern, mit dem das Gegenüber als Geizhals bezeichnet wird. Die Geste des Daumendrückens ist wohlwollend gemeint.

Am kompliziertesten war die Umstellung für mich und viele meiner Landsmänner in der Kommunikation mit Frauen. Hintergrund ist auch, dass syrische Frauen sich meist nur untereinander nonverbal austauschen. Mit Männern unterlassen sie es, auch um Missverständnisse zu vermeiden. Ich erinnere mich an ein Abendessen, wo eine junge Frau auf meine Frage, ob es ihr schmecke, ihre Finger küsste. Sollte das ein Annäherungsversuch sein? Es sollte vielmehr heißen: Ja, es schmeckt mir sehr.

Das Missverständnis im Camp hat sich später aufgeklärt. Das im Garten auch. Die Recherche ergab, dass ein Hund oder Hundling in Bayern als lobende Erwähnung aufzufassen ist. Aufgeklärt hat es sich, als meine Vermieterin mir als Dank für meinen Einsatz einen frisch gebackenen Kuchen aufs Fensterbrett stellte.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2021
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