Typisch deutsch:Gemischte Gefühle am Gaspedal

Typisch deutsch: Angefangen bei unaufmerksamen Autofahrern über Fuchs und Marder bis hin zum Habicht, lauern jede Menge Gefahren auf solch ein wanderlustiges Federvieh.

Angefangen bei unaufmerksamen Autofahrern über Fuchs und Marder bis hin zum Habicht, lauern jede Menge Gefahren auf solch ein wanderlustiges Federvieh.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

In Syrien überfuhr unser Autor drei Hühner und ein Schäfchen. Nun hat er sich sein erstes eigenes Auto gekauft - und gelobt Besserung.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Fünf Jahre lang war das Fahrrad mein ständiger Begleiter und mein einziges Transportmittel. Im Sommer habe ich es sehr genossen, mit meinem Umweltfreund in die Arbeit zu fahren. Ob ich einkaufen wollte, oder nur zum Bahnhof. Das Fahrrad war mein Heiligtum.

Es gab jedoch manchmal Probleme. Wenn der Fahrradkorb nicht mehr ausreichte, hingen die Tüten am Lenker rechts und links herunter und brachten mir allerlei Sturzerfahrungen ein. Ein weiteres Manko: Man kann keine weitere Person transportieren. Das war immer ein Problem, wenn ich meine Frau oder andere Gäste vom Bahnhof abholen sollte. Im Winter muss man sich komplett einwickeln wie ein Astronaut oder Pilot.

Fliegen muss ich jetzt nicht zwingend. Also habe ich erhebliche Anstrengungen unternommen, um den deutschen Führerschein zu erhalten. Führerschein? In Syrien lacht man darüber. Mein Bruder steuerte das Auto bereits als Zehnjähriger durch die Straßen wie ein Großer. Ich saß auf dem Rücksitz und sah zu, wie die Leute angsterfüllt wegliefen in dem Irrglauben, dass das Auto vom Djinn, einem Geist, gelenkt würde. Was soll man auch sonst denken? Mein Bruder war damals 110 Zentimeter groß und hinter dem Lenkrad praktisch unsichtbar.

Mit dem Führerschein im Portemonnaie habe ich mir nun den Traum vom ersten eigenen Auto erfüllt: Ein französischer Hersteller, gebraucht, von Bekannten erstanden. Als ich es zum ersten Mal vor dem Haus abstellte, war es eine große Freude.

Seine Frau wird auf dem Beifahrersitz weiß wie ein Ziegenkäse

Nun kann ich einkaufen und die Ware einfach im Kofferraum verstauen. Meine Frau sitzt auf dem Beifahrersitz und wir hören romantische Musik. Es ist nicht nur ein Transportmittel, sondern gehört zu einem bestimmten Lebensgefühl. Es ist für mich wie ein zweiter Keller oder Reisekoffer geworden. Jedes Wochenende widme ich mich der Autopflege, wenn ich nur irgendwie dafür Zeit finde.

In Syrien pflegen die Menschen das Innere ihres Autos schmuckvoll zu gestalten: mit Ketten, Bildern und Dekor. Hier ist eher alles schlicht und funktional. Das macht es einfacher, sich auf Straßenschilder zu konzentrieren. Es ist etwa ratsam, Geschwindigkeitsbegrenzungen zu erkennen, und dienlich, sie zu beachten. Aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen.

In Syrien gibt es kaum Tempolimits. Als kleiner Bub feuerte ich meinen Vater im Auto an, Gas zu geben wie ein Rennfahrer. Er lächelte und tuckerte weiter gemächlich vor sich hin. Mein Vater sagte immer: Fahre so, als gehöre dir das Auto - nicht, als gehöre dir die Straße. Als Kind habe ich das nie kapiert.

Als ich zum ersten Mal mit meiner Frau auf dem Beifahrersitz durch die Gegend fuhr, duckte sie sich vor lauter Angst, wann immer sich ein Auto näherte. Sie rutschte nervös auf ihrem Sitz hin und her und ihr Gesicht wurde weiß wie ein Ziegenkäse.

Vielleicht hätte ich ihr nicht kurz vor dem Losfahren die Anekdote erzählen sollen, als ich in Syrien mit dem Auto versehentlich ein Schäfchen und drei Hühner überfuhr. Ich zahlte dem verärgerten Besitzer den Preis und lud meine Freunde zum Hendl- und Lammbraten ein. In Kirchseeon hüte ich mich nun davor, ein Wildschwein im Ebersberger Forst zu überfahren. Dessen Verzehr würden viele meiner Freunde verweigern. Wenn mich ein Porsche überholt, konzentriere ich mich auf die Musik aus dem Radio und denke an den alten Satz meines Vaters.

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