Typisch deutsch:Das Drama an der Haustür

Typisch deutsch: Unser Autor fühlt sich bei abendlichen Verabschiedungs-Zeremonien in Bayern bisweilen so wie Eberhofer-Darsteller Sebastian Bezzel bei einer Umarmung.

Unser Autor fühlt sich bei abendlichen Verabschiedungs-Zeremonien in Bayern bisweilen so wie Eberhofer-Darsteller Sebastian Bezzel bei einer Umarmung.

(Foto: Stephan Rumpf)

In Bayern sollte man mindestens fünf, eher zehn Minuten für die obligatorische Abschieds-Orgie einplanen. Andernfalls kann es einem böse ergehen, wie unser Autor aus Syrien erlebte.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Das Abschiednehmen ist manchmal sehr kompliziert. In Bayern erst recht. Die deutsche Sprache hält dafür zahlreiche Varianten bereit, jede drückt eine andere Emotion aus - und für jede Situation gibt es die richtige Alternative. Gerade zu Beginn meines Aufenthaltes in Deutschland war das Prozedere des Abschiednehmens sehr kompliziert für mich und brachte viele Missverständnisse.

Eines Tages kam ich morgens in die Arbeit und die Chefin sprach mich vorwurfsvoll an: "Wir haben gestern überall in der Schule nach dir gesucht, wo warst du nur?" Es war nämlich so, dass ich zwar ein paar Minuten vor der vertraglich vereinbarten Zeit nach Hause gegangen bin, dies aber, weil ich mit der Arbeit fertig war und es nichts mehr zu tun gab. Außerdem habe ich mich aus meiner Perspektive richtig verabschiedet, indem ich zu den Kollegen sagte, dass ich fertig sei. In Syrien kennt man diese lange und komplizierte Abschiedskultur nicht. Wir sagen einfach tschüss und gehen. Als ich das anfangs in Deutschland so handhabte, erhielt ich seltsame Rückfragen. Ob ich sauer, enttäuscht oder genervt sei? Oder ob etwas nicht in Ordnung sei?

Dann kam diese Betriebsfeier: tief in der Nacht, einige waren vom Glühwein angetrunken, auch der schönste Abend geht zu Ende. Ich blickte auf die Uhr und stellte fest, dass in zehn Minuten die letzte S-Bahn von Ebersberg nach Kirchseeon fuhr. Draußen war es dunkel und kalt. Es pressierte. Also sagte ich im Vorbeigehen schnell "Ich muss gehen". Eigentlich wollte ich schnell abhauen, doch die Kollegen schwelgten in romantischen Gunstbezeugungen: "Ach wie schön, dass du da warst." "Pass gut auf dich auf." "Lass dich umarmen." Ich war aber einfach nur auf meine S-Bahn fixiert und das deutsche Abschiedsritual passte mir so gar nicht in den Kram. Die Situation erinnerte mich an die Schulzeit, und ich fühlte mich wie ein Kind, das auf die Toilette muss, während der Lehrer etwas Wichtiges erklärt. Es wurde zu einer regelrechten Abschiedsorgie.

Schließlich musste ich in einer kalten Winternacht den kilometerlangen Heimweg zu Fuß antreten. Ich wurde zum Leidtragenden des dramatischen bayrischen Abschiedsgetues. Meine Lektion: In Bayern sollte man mindestens fünf, eher zehn Minuten für den Abschied einplanen.

Wenn ich jetzt mit meinen syrischen Freunden in einem Video-Call spreche, finden diese meine Grußformeln kompliziert, ja affektiert gar, das merke ich an ihrem Feixen. Es ist eben nicht so leicht, geeignete Abschiedswörter zu verwenden.

Einmal wollte ich meinem Chef meine Sprachgewandtheit beweisen, indem ich nach Feierabend im Vorbeigehen laut "Servus!" zu ihm sagte. Später erfuhr ich, dass ich das eleganter hätte lösen können.

Kollegen verabschieden einen bisweilen mit "Kimm guat hoam!". Wobei hier gesagt sei, dass man deswegen nicht Furcht vor Überfällen auf dem Heimweg haben muss. "Kimm guat hoam", sagte auf der feucht-fröhlichen Betriebsfeier auch noch einer meiner Kollegen. Nach etwas mehr als einer Stunde in der kalten Winternacht erfüllte sich sein nächtlicher Abschiedsgruß - und ich fiel müde ins Bett.

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