Twittern auf dem Kirchentag:"Woodstock war ein Dreck dagegen"

Die Kirche hat nicht überall den Anschluss an die Moderne gefunden - aber beim Twittern sind die Besucher des Kirchentags vorn dabei.

Lisa Sonnabend

Plötzlich haben alle einen Heiligenschein. "Social-Media-Konzeptioner" (Selbstbeschreibung) Malte Brusermann trägt ihn auf dem Kopf, der Spandauer CDU-Politiker Thorsten Schatz ein wenig bescheidener auf der rechten Brust.

Twittern auf dem Kirchentag: Emillota meint über das Konzert der Wise Guys: "Ich sag euch, Woodstock war ein Dreck gegen das hier"

Emillota meint über das Konzert der Wise Guys: "Ich sag euch, Woodstock war ein Dreck gegen das hier"

(Foto: Foto: Hess)

Die beiden haben den elipsenförmigen Kreis, das Logo des Kirchentags, auf ihrem Profilbild beim Online-Kurznachrichten-Dienst Twitter eingefügt. Nun weiß die ganze Welt: Malte Brusermann und Thorsten Schatz sind auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag in München und wollen etwas mitteilen.

Hunderte Teilnehmer twittern und bloggen in diesen Tagen Eindrücke vom Kirchentag oder beschreiben ihre Erlebnisse in Online-Communitys wie Facebook. Der Kirchentag in München ist der erste in Zeiten des Web 2.0. Das bedeutet: Jeder Teilnehmer hat die Möglichkeit, im Internet Standpunkte zu vertreten, Diskussionen anzuregen, Kritik zu üben - und damit auch Gehör in der Öffentlichkeit zu finden.

Nicht nur orange Schals und Birkenstocksandalen haben damit in München Einzug gehalten, über der Stadt schwebt auch eine große Twitter-Wolke.

CDU-Politiker Thorsten Schatz steht am Donnerstagabend mit zigtausenden Gläubigen auf der Theresienwiese, um dem Konzert der A-Capella-Band Wise Guys zu lauschen. Es regnet erbarmungslos, die Stimmung ist dafür überraschend gut. Doch dann macht eine nicht gerade erfreuliche Meldung die Runde, Schatz greift zu seinem Mobiltelefon und tippt: "Höre grad, dass das Wetter morgen noch schlechter werden soll. Was soll das werden? Meine Schuhe sind doch jetzt schon Wassereimer." Dann drückt er auf "tweet", die Nachricht wird gesendet und ist für jedermann im Netz nachlesbar.

Auch andere Konzertbesucher tippen Nachrichten in ihre Handys. Benutzer ThoreHH schreibt: "Liebe Leute beim Wise-Guys-Konzert, könnt ihr bitte Eure Scheiß-Regenschirme runternehmen?! Bald sind die ersten in der Augenklinik." Erhört wird er nicht. Oder Emillota: "Ich sag euch, Woodstock war ein Dreck gegen das hier. Ich schätze, bald wälzen sich alle nackig im Schlamm."

Aber auch Münchner, die von dem Trubel in der Stadt genervt sind, melden sich zu Wort. Orangeguru fühlt sich um 22Uhr in seiner Wohnung gestört: "Die Schafe feiern immer noch lautstark auf der Theresienwiese. Nicht einmal das Oktoberfest ist so laut."

Spinosa1967 bekommt am Donnerstagmittag die Verkehrsbehinderungen zu spüren: "Halleluja, ist da viel los auf Münchens Straßen." Und Nutzer amendedestages versucht es mit einem Witz über die Kirchentagsbesucher und ihre Schals: "Alles orange hier. Spielt heute Abend Deutschland gegen Holland?"

Oft haben die Twitterer nicht mehr als 50 Follower, also Personen, die ihre Nachrichten abonniert haben. Doch indem sie die Beiträge mit dem Hashtag #oekt2010 kennzeichnen, sind diese über die Suchfunktion leicht auffindbar und erreichen dadurch eine weit größere Zahl an Lesern.

Auch einen offiziellen Twitter-Kanal des Ökumenischen Kirchentages gibt es. Etwa 50 Nachrichten pro Tag werden unter twitter.com/oekt2010 von den Organisatoren eingestellt.

Hauptthema hier: das Wetter und Begegnungen in der U-Bahn. In einem Eintrag heißt es: "Der Herr mit dem Schild 'Jesus rettet' muss es wegpacken, um U-Bahn fahren zu dürfen. Problem: Für die Hosentasche ist es zu groß." Außerdem gibt es auf der offiziellen Homepage des Kirchentags (www.oekt.de) aktuelle Berichte von den Veranstaltungen, Bildergalerien und sogar Videos.

Auch eine Facebook-Seite, die von mehr als 6000 Nutzern verfolgt wird, versorgt die Besucher mit Neuigkeiten, Zitaten und Impressionen. Bei politischen Wahlen oder sportlichen Großereignissen ist weniger geboten.

Das Rauschen im Netz ist also nicht zu überhören. Doch die Beiträge der Teilnehmer bleiben meist oberflächlich, Diskussionen finden kaum statt. Einer der wenigen informativen Beiträge stammt von maltesereinsatz: "Ruhiger aber nasser Einsatz am Donnerstag: Der Sanitätsdienst versorgte 257 Besucher, elf wurden in ein Krankenhaus eingeliefert." Andere Twitterer reißen Themen an, ohne in die Tiefe zu gehen.

So schreibt eklgs: "Bischöfin Rosemarie Wenner beendet ihre Bibelarbeit mit einem Aufruf an alle anwesenden Christen verantwortungsvoll tätig zu sein." MalteBrusermann berichtet: "Katrin Göring-Eckardt wünscht sich, dass wir fromm, frei, fröhlich und frech vom #oekt2010 nach Hause und in die Welt gehen." Und frentz kritisiert: "Hmm, ein bisschen viel bayerisches Klischee auf dem Abend der Begegnung." Was genau er damit meint, erfahren die Leser nicht. Kaum ein Twitter-Beitrag wirkt tatsächlich nach.

Nur eine Ausnahme gibt es: Nutzer GyrosGeier verlinkt auf einen Liedtext und schreibt: "Großer Gott, wir loben dich. #ohrwurm #kirchentag #argh." Das Lied wird so schnell nun keiner mehr aus dem Kopf bekommen.

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