TV on the Radio in München:Laute Liebeslieder aus Brooklyn

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Die Lieblingsband der Popintellektuellen hat München mit einem Auftritt beehrt. Mit ihren experimentellen Klangwelten versetzten "TV on the Radio" das Publikum in der Muffathalle in Verzückung.

Beate Wild

Wer sagt denn, dass Liebeslieder leise und schnulzig sein müssen? Eben. Liebe ist schließlich Leidenschaft - und wenn TV on the Radio von ihren romantischen Gefühlen singen, dann ist das laut, wild und intensiv.

TV on the Radio, als sie noch komplett waren. Gerard Smith, der Bassist (ganz links) starb am 20. April 2011 an Lungenkrebs - im Alter von erst 36 Jahren. (Foto: oh)

Die Band aus Brooklyn ist gerade auf Tour, um ihr viertes Album Nine Types of Light vorzustellen. Es ist Donnerstagabend in der Münchner Muffathalle. Ihr erstes Deutschlandkonzert auf dieser Tournee. Und ihr Auftritt wird - um es gleich vorweg zu nehmen - phänomenal.

TV on the Radio liefern ein großartiges Konzert ab. Und das, obwohl die Band erst vor kurzem ein schlimmer Schicksalsschlag ereilte: Gerard Smith, der Bassist, ist vor gerade mal zwei Monaten gestorben, am 20. April 2011 an Lungenkrebs - im Alter von erst 36 Jahren. Das neue Album haben sie noch zusammen mit ihm aufgenommen. Die Tour durfte Smith, der seit 2005 Bandmitglied war, nicht mehr erleben.

Das vierte Album der Indie-Avantgardisten ist merklich harmonischer und positiver als seine Vorgänger. Es ist voller "love songs", sagt zumindest Gitarrist Kyp Malone. Und wenn er von Liebesliedern spricht, meint er damit keine Schnulzen.

TV on the Radio machen Musik, die man so noch nie gehört hat. Es ist diese Kombination aus sanftem Gesang und lautem Gitarrengeschrammel, aus der voluminösen Stimme von Sänger Tunde Adebimpe und euphorisierenden Rhythmen, aus gefühlsbetonten Texte und rauem Sound, der die Musik der New Yorker so einzigartig macht. Dazu kommt, dass sie allesamt richtig gute Musiker sind.

Auch der große David Bowie ist ein glühender Fan dieser Band. Er hat sogar schon mal einen Song zusammen mit den Musikern aufgenommen. 2006 war das. Der Song heißt "Province" und ist auf dem Album Return to Cookie Mountain zu finden. Doch obgleich das eine Ehre für jede Band dieser Erde wäre, ist für TV on the Radio dieser Ritterschlag eigentlich gar nicht nötig.

Mit dem neuen Album ist die Band sanfter geworden. Das 2004 erschiene Debütalbum Desperate Youth, Blood Thirsty Babes war roher, die Botschaften politischer. Damals waren die Jungs aus New York noch einer extravaganten Indie-Hörerschaft vorbehalten. Mit dem 2006er Album Return to Cookie Mountain änderte sich das schlagartig, sie wurden einem größeren Publikum bekannt. Und spätestens seit Dear Science (2008) sind TV on the Radio ein leuchtender Star am Indie-Himmel, der von Fans und Kritikern gleichermaßen vergöttert wird.

Das Besondere am Sound der New Yorker ist der nonchalante Mix aus unterschiedlichsten Musikrichtungen. Funk, Rock, HipHop, Soul und sogar Elektro - alles dabei. Herausgekommen ist ein neuartiger Stil, den Musikkenner als Art Rock bezeichnen. Diese Charakterisierung ist etwa vergleichbar mit der Bezeichnung Art House für künstlerisch besonders wertvolle Filme ausgesprochen intellektueller Regisseure.

Geprägt hat diesen Sound vorwiegend David Andrew Sitek, der in der Band das Keyboard bedient, aber sich auch als Produzent gefeierter Bands wie den Yeah Yeah Yeahs einen Namen gemacht hat. Auch die Schauspielerin Scarlett Johansson nahm ihr Debütalbum, auf dem sie Songs von Tom Waits covert, mit ihm auf.

Mit Nine Types of Light haben TV on the Radio erstmals ein Album in Los Angeles und nicht in Brooklyn, wo die Band herkommt, aufgenommen. Und es muss eine traumatisierende Erfahrung gewesen sein, berichten zumindest die Bandmitglieder. Neben dem Studio in der Nähe des Rodeo Drive muss während der ganzen Aufnahmen eine lärmende Baustelle gewesen sein. Also nicht unbedingt die Ruhe, die man für kreatives Arbeiten braucht. Trotzdem ist ihnen ein Meisterwerk gelungen.

Prototypisch für die Platte ist die erste Single-Auskopplung "Will Do", eine traurige Hymne an eine verloren geglaubte Liebe. Als die New Yorker das Lied in der Muffathalle anstimmen, singt das Publikum geschlossen mit. Aber es gibt auch eine Menge Songs wie "No Future Shock", die mit einem gewaltigen Bläserteppich über das Publikum rollen, begleitet von infernalischem Gitarrengeschrammel und einem wütenden Schlagzeug.

Als TV on the Radio ihre alten Hits wie "Staring at the Sun" auspacken, schwelgen die Münchner Fans in nostalgischer Euphorie. Leadsänger Tunde Adebimpe hat mit seiner überbordenden Stimme alles fest im Griff. Der Gitarrist und zweite Sänger Kyp Malone liefert die entsprechenden Side-Kicks. Die Band harmoniert perfekt. Eines der besten Konzerte seit langem.

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