Türkisches Gewaltopfer:Geblieben ist die Angst

"Die U-Bahn-Schläger haben sie hart bestraft": Bilal K. wäre nach dem Überfall fast gestorben, mit dem Täter geht die Justiz in seinen Augen zu milde um.

Bernd Kastner

Seine Wunden sind fast verheilt - die äußerlichen. In ihm aber schmerzt es noch sehr, und das liegt nicht nur am ständigen Kopfweh. Bilal K. wäre beinahe gestorben, und das vielleicht nur deshalb, weil er Türke ist. Deutsch-Türke, um genau zu sein, denn er ist in München geboren und aufgewachsen und hat längst den deutschen Pass. Aber was kümmert das einen, der zuschlagen will? "Scheiß Ausländer!" "Scheiß Kanake!", habe der Angreifer gerufen. Und wenig später habe der andere ihm eine Art Schlagstock, vielleicht ein Stuhlbein, über den Kopf gehauen. Gehirnblutung. Lebensgefahr. Epileptischer Anfall in der Klinik. "Wenn ich tot wäre - wofür?" fragt er. "Für nix."

Türkisches Gewaltopfer: "Ich bin nicht mehr der Alte": Bilal K. wurde im März mit einem Knüppel niedergeschlagen. Noch heute leidet er an den Folgen der Tat.

"Ich bin nicht mehr der Alte": Bilal K. wurde im März mit einem Knüppel niedergeschlagen. Noch heute leidet er an den Folgen der Tat.

(Foto: Foto: Haas)

Bilal K., 21, ist an einem frühen Sonntagmorgen im März Opfer eines Schlägers geworden, in der Friedenstraße war das, vor dem ehemaligen Kunstpark Ost. Der Täter ist fast gleich alt, gegen ihn hat die Staatsanwaltschaft, wie am Mittwoch berichtet, gerade Anklage erhoben, demnächst dürfte vor dem Jugendschöffengericht verhandelt werden. Die Zeugenaussagen von jener Nacht ergeben ein recht stimmiges Bild: Eine Schlägerei aus nichtigem Anlass, wenn es überhaupt einen gab, dann, wenige Minuten später, die Rache. Von hinten. "Ich hab nichts mitbekommen. Er hat einfach nur zugeschlagen. Ich war weg." Erst am nächsten Tag geht Bilal K. ins Krankenhaus, dort wird schnell klar, wie gefährlich seine Verletzung ist. Und hätte sein Freund, der ihn begleitete, nicht weitere Schläge abgewehrt, wer weiß.

Der Täter ist damals geflohen, die Polizei hat wochenlang nach ihm und einem BMW gesucht, mit dem er unterwegs war. Im Mai haben sie ihn erwischt und in Untersuchungshaft genommen, wegen versuchten Mordes. Er arbeitete in jener Nacht bis kurz vor der Tat für einen Sicherheitsdienst in einer Disco in der Innenstadt, dann fuhr er zum Ostbahnhof, um seine Freundin abzuholen. Das spätere Opfer habe diese angeblich belästigt. Stimmt nicht, sagt Bilal K., und die Frau hat davon auch nichts mitbekommen. Sie erinnert sich aber an die Worte "Scheiß Ausländer" aus dem Mund ihres Freundes. Es folgten gegenseitige Ohrfeigen und Schläge. Als alles erledigt schien, der verhängnisvolle letzte Schlag. Vielleicht aus Eifersucht, vielleicht, um nicht als Weichei dazustehen.

Quälende Alpträume und Angst

Der Täter ist wieder auf freiem Fuß. Bilal K. versteht das nicht: "Die U-Bahn-Schläger", sagt er, "haben sie so hart bestraft", und der, der ihn fast totgeschlagen hätte, den lassen sie wieder raus - warum? Anders als bei den U-Bahn-Tätern gibt es in diesem Fall keine Videoaufnahme, die die mögliche Brutalität dokumentieren würde. Juristisch basiert die Freilassung laut Anton Winkler, Sprecher der Staatsanwaltschaft, auf einem medizinischen Gutachten.

Aus der Tatsache, dass K. keinen Schädelbruch erlitten habe, werde geschlossen, dass der Täter nicht mit voller Wucht zugeschlagen habe. Auch wenn die Zeugen es so wahrgenommen haben. Damit habe man den Vorwurf des versuchten Mordes fallen und ihn frei lassen müssen. Die Anklage lautet nun auf gefährliche Körperverletzung. Dass man von der Verfolgung der mutmaßlichen Beleidigung und Volksverhetzung absehe, liege daran, dass die Haupttat so schwer wiege. Bei einer Verurteilung würde die angebliche ausländerfeindliche Beschimpfung nicht ins Gewicht fallen. Der Täter, da ist sich Winkler sicher, werde dennoch eine harte Strafe zu erwarten haben. Bilal K. wird als Nebenkläger am Prozess teilnehmen.

Beruflich ist der Einzelhandelskaufmann seither aus dem Tritt, eine fast sichere Stelle konnte er nicht antreten. Aber nicht nur das. Er sagt, oft traue er sich nicht mehr allein auf die Straße, habe Angst, gerade nachts. Sein Erinnerungsvermögen ist beeinträchtigt, Albträume quälen ihn, und manchmal macht ihn jede Kleinigkeit wütend. "Ich versuche, es keinem zu zeigen", sagt er. "Aber ich bin nicht mehr der Alte."

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