Süddeutsche Zeitung

Tuberkulose an Vorschule in Pullach:Keime in einer heilen Welt

Lesezeit: 5 min

Die Nachricht schockte Dutzende Eltern in Pullach: Im Frühjahr erkrankte die Erzieherin einer teuren Vorschule an Tuberkulose. Zwölf Kinder steckten sich an. Viele Eltern sind unzufrieden mit der Informationspolitik der Behörden - und auch bei der Vorschule selbst gibt es Probleme.

Tom Soyer

Familien zahlen 728 Euro monatlich für einen Platz in einer englischsprachigen Vorschule im Herzen Pullachs - und dafür erwarten sie Sicherheit und Geborgenheit für ihre Drei- bis Sechsjährigen. Als jedoch in diesem Jahr nach den Osterferien ein Bakterium auftauchte und in die High-End-Kindergartenwelt im Isartal eindrang, drehte sich plötzlich alles um Tuberkulose. Die Lungenkrankheit war bei einer Erzieherin dort ausgebrochen.

Nachweislich infiziert hatten sich drei weitere Erzieherinnen und zwölf Kinder. Und zugleich brach eine gewaltige Verunsicherung aus bei vielen Eltern im Umfeld der Vorschule. Haben wir alles richtig gemacht? Haben die Gesundheitsbehörden konsequent genug gehandelt? Wie hätte man der Infektion entgehen können?

Die Fragen spalten seither die ehemaligen Vertragspartner - und beschäftigen nicht nur Hausärzte, Kliniken, die Gesundheitsämter München-Stadt und Land sowie einen Tuberkulose-Fachberater der Regierung von Oberbayern.

Selbst der Präsident des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Andreas Zapf und sogar Gesundheitsminister Marcel Huber lassen sich über den Fortgang unterrichten - weil sich in Pullach einige Mütter zusammengeschlossen haben und den Gesundheitsbehörden erst in internen Runden und neuerdings auch öffentlich vorhalten, nicht alle eventuell betroffenen Eltern informiert zu haben.

Dazu muss kurz die Geschichte des Falls erzählt werden, der seinen Anfang im März 2009 bei einer Sollner Familie und deren kenianischem Au-pair-Mädchen nahm. Bei diesem Mädchen war TBC festgestellt worden, es hatte die zwei Kinder der Familie zur Pullacher "Preschool" gebracht und dort auch wieder abgeholt.

Die Gesundheitsbehörden gehen in ihren Richtlinien davon aus, dass erst ein Kontakt über acht Stunden in einem Raum eine nennenswerte Ansteckungsgefahr bedinge und Kinder unter zehn Jahren in der Regel sowieso nicht ansteckend seien. Die Folge damals: "Umfassende Untersuchungen bei 91 Personen mit ansteckungsrelevantem Kontakt".

Die Kontakte mit der Vorschule hielt das Münchner Gesundheitsamt "in Übereinstimmung mit den fachlichen Standards nicht für infektionsrelevant". Das kurze Bringen und Abholen wurde als ungefährlich eingestuft, dennoch veranlasste die Kindertagesstätte einen freiwilligen Personaltest. Wie sich herausstellte, hätte erst eine weitere Untersuchung nach drei Monaten Gewissheit gebracht. Diese unterblieb.

Dann gab es einen zweiten, schweren Fall von TBC bei einer englischen Erzieherin der Preschool, den Ärzte zunächst für eine Bronchitis, dann für Pfeiffersches Drüsenfieber - und erst nach Monaten für TBC hielten. Es war eine "offene", das heißt ansteckungsfähige Lungentuberkulose. Das war in den Osterferien 2011.

Sofort wurden alle Familien der Kinder in der Pullacher Privateinrichtung informiert, beraten, untersucht - mit überraschendem Resultat: Drei weitere Erzieherinnen waren infiziert, zehn Kinder aus der Vorschule und zwei Geschwisterkinder ebenfalls. Entdeckt wurde dabei auch ein infiziertes Geschwisterkind, das die Preschool seit Juli 2010 nicht mehr selbst besucht hatte - für Eltern wie Stefanie Stalf, Julia Pollert, Peggy Douda und Susanne Hasler ein klares Indiz, dass in der Vorschule über ziemlich lange Zeit hinweg eine Ansteckungsgefahr bestanden haben könnte.

Was alle diese Eltern vermuten, behandeln die Behörden indes als Amtsgeheimnis: Im Labor haben die Ärzte den genetischen Fingerabdruck des jeweiligen TBC-Bakteriums identifizieren lassen - stimmt er überein, muss es eine Ansteckungskette vom März 2009 bis zum Mai 2011 gegeben haben. Die Folge wäre, dass alle Familien, die seit März 2009 mit der Preschool zu tun hatten, vorsichtshalber gewarnt werden müssten.

Beim Erstfall 2009 haben die Behörden genau diesen Zusammenhang verneint, obwohl die Indizienlage im Nachhinein Zweifel nährt. So häufig ist TBC in Deutschland nicht, dass sie in Solln und Pullach in so kurzer Abfolge völlig unabhängig voneinander auftreten würde.

Ohne Einwilligung des kenianischen Au-pair-Mädchens und der Bediensteten der Preschool dürfen die Ärzte die Daten aber nicht herausgeben, wie Oberbürgermeister Christian Ude einer Familie im September und noch einmal im November 2011 ausführlich mitteilte.

Stefanie Stalf und ihre Mitstreiterinnen haben deshalb Elternaufrufe gestartet, haben 14 hochkarätige Vertreter der bayerischen Gesundheitsszene am 5. Dezember an einem Runden Tisch um sich gehabt und beschworen, endlich auch alle Preschool-Kontakte seit 2009 von Amts wegen zu informieren. "Jeder einzige Fall, in dem dadurch eher die richtige Diagnose gestellt wird, ist es wert", sagt Julia Pollert.

Und jeder, dem eine Ansteckung im Umfeld Betroffener durch diese Warnung erspart werde, erst recht. Ihre Tochter Zita nimmt gerade neun Monate lang täglich drei Antibiotika-Tabletten - und ist nicht ansteckend, sagten ihr die Ärzte. Das musste Julia Pollert ihrer Tagesmutter und ihrer Zugehfrau auch erst erläutern, denn anfangs sei die gesellschaftliche Stigmatisierung ein gewaltiges Zusatzproblem gewesen.

Die Eltern um Stefanie Stalf und Julia Pollert sind aber auch bei der Preschool auf Probleme gestoßen und deshalb bei Behörden vorstellig geworden. Ihre Kinder haben sie nicht mehr dort. Sie werfen der Vorschule und ihrer Betreiberin Ingrid Hernandez vor, ihren Geschäftsbetrieb ohne die seit dem Jahr 2005 vorgeschriebene Kindertagesstätten-Betriebserlaubnis zu führen.

Das Münchner Landratsamt und der Pullacher Bürgermeister Jürgen Westenthanner bestätigen dieses Versäumnis: "Wir wussten erst seit dem TBC-Fall (vom Frühjahr 2011; Anm. d. Red.), dass die gar keine Betriebserlaubnis haben", sagt Westenthanner. Die sei erst durch "massive Hinweise der Eltern" zum Thema geworden, ergänzt Stefanie Stalf und kritisiert die Betreiberin, die "mehrmals behauptet hat, sie habe alle nötigen Genehmigungen und hoch qualifiziertes Personal".

Was die Betriebserlaubnis angeht, gibt sich das Landratsamt duldsam: Irrtümlich sei die Preschool bei der Heimaufsicht geführt worden, sagt Amtssprecherin Christine Spiegel, die falsche Einordnung sei aus unerfindlichen Gründen nicht korrigiert worden. Jetzt läuft das Genehmigungsverfahren, und Hans-Peter Tauche, der Anwalt von Ingrid Hernandez, geht davon aus, dass längst alle Nachweise geführt seien und die Genehmigung "nicht ernsthaft infrage" stehe. "Wir prüfen", heißt es dazu kommentarlos aus dem Landratsamt. Zehn Jahre gibt es das Haus - ohne Betriebserlaubnis.

Ingrid Hernandez betreibt ihre Pullacher Vorschule mit etwa 50 Kindern ohne jeden öffentlichen Zuschuss sowie eine zweite solche Einrichtung in Grünwald. Sie beteuert, bei den TBC-Fällen alles richtig gemacht zu haben. Insbesondere habe sie "sofort mit dem Gesundheitsamt kooperiert" und alles getan, was dort empfohlen und befohlen worden sei.

Die Ämter bestreiten dies nicht - und geben in diesen Tagen doch dem Druck von Stefanie Stalf und Julia Pollert nach: Landesarzt Andreas Zapf hat gerade angeordnet, dass nun doch alle möglichen Preschool-Kontakte seit 2009 von den Gesundheitsbehörden angeschrieben werden, auf dass sich jeder beraten und kostenlos auf TBC testen lassen könne.

Zudem werden das kenianische Au-pair-Mädchen und die englische Erzieherin nun doch direkt von der Behörde angeschrieben und gefragt, ob sie der Veröffentlichung des TBC-"Fingerabdrucks" zustimmen. Dann könnten den Eltern alle Zusammenhänge offengelegt werden. Von Versäumnissen oder Korrekturen redet Zapf ausdrücklich nicht, er habe das alles nun jedoch "fachlich neu bewertet" mit seinen Kollegen, sagt Zapf, und gehe weiter, als die "fachlichen Standards" vorschrieben. Die Eltern hören es gerne.

Peggy Douda hat inzwischen ihre persönliche Konsequenz aus all dem Ärger gezogen: Sie hat in einer Pullacher Villa ihre eigene "Happy Preschool" eröffnet - allerdings, und darauf legt sie großen Wert, nicht als Geschäftsbetrieb, sondern als gemeinnützige GmbH, die etwaige Gewinne für soziale Zwecke aufwenden muss.

Zudem ist die Vorschule nicht rein englischsprachig, sondern bilingual, englisch-deutsch. Damit ist nach der TBC auch noch der Konkurrenzkampf ausgebrochen, denn Ingrid Hernandez sieht den ganzen Elterndruck auf die Behörden jetzt in einem ganz anderen Licht: "Das ist eine Rufschädigung, die wollen mich demontieren."

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Quelle:
SZ vom 23.12.2011
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