TU-Professor:"Wir müssen mit der Natur bauen"

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Ferdinand Ludwig ist Professor an der Technischen Universität in München. (Foto: Stephan Rumpf)

Ferdinand Ludwig nennt sich selbst Baubotaniker: Er erforscht, wie man mit Pflanzen Gebäude verändern oder sogar entstehen lassen kann.

Von Jessica Schober

Zum Gespräch hat der Professor für Landschaftsarchitektur etwas Erstaunliches dabei: Zwei junge Stämme, die wie in einer großen DNA-Doppelhelix miteinander verwachsen sind, trägt er mit beiden Händen durch das Vorhölzer Forum auf dem Dach der Technischen Universität. Neugierige Blicke. Die Stelle, an der beide Baumteile einst mit einer Edelstahlschraube zusammen gezwungen wurden, ist längst überwuchert von Holz. Aus zwei Bäumen ist einer geworden.

Ferdinand Ludwig, der sich selbst Baubotaniker nennt, liebt solche Verbindungen. "Was zunächst brutal aussieht, ist extrem pflanzenverträglich", sagt er. Ein ähnliches Verhalten zeige der Baum auch unterirdisch an seinen Wurzeln. Das nutzt Ludwig für seine Arbeit. "Wir bauen eben kein Baumhaus. Wir bauen mit dem Baum ein Haus".

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Seit 2005 beschäftigt sich Ludwig mit Baubotanik und stieß schon während der Recherchen für seine Doktorarbeit auf ein faszinierendes Phänomen: sogenannte Tanzlinden. Das sind Lindenbäume, deren Äste früher so kunstvoll beim Wachstum umgeleitet wurden, dass in ihrer Baumkrone ein Podest zum Tanzen entstand.

Auch alte Zaunbautechniken und historische Aufzeichnungen über Knickhecken beschäftigen ihn, genauso wie lebendige Brücken in Indien. Die Idee von der Formbarkeit wachsender Bäume lässt den 38-Jährigen nicht mehr los.

Und so hat Ludwig in den vergangenen anderthalb Jahren einen ganz neuen Forschungszweig an der TU aufgebaut. Unter dem Namen "Green Technologies in Landscape Architecture" forscht und lehrt er an der Schnittstelle zwischen Naturwissenschaft, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung. Zuvor hatte der Stuttgarter einen Steg gebaut, der in den Baumkronen zu schweben schien und ganze Türme aus ursprünglich 1200 einzelnen Pflanzen konstruiert, die nun miteinander verwachsen sind.

Sein jüngstes Projekt ist in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen und der Firma FibrTech entstanden, die robotisch gefertigte Faserverbundstrukturen herstellt. Das sogenannte Urban Micro Climate Canopy ist eine Struktur aus Glasfasern, in der Pflanzen wachsen können.

Ferdinand Ludwig mit einem Modell seines Canopys aus Glasfaser, an dem Kletterpflanzen emporwachsen sollen. (Foto: Stephan Rumpf)

Ein Roboter hat die weißen, in Kunstharz getränkten Glasfasern um Metallgerüste gewickelt, die nach dem Erhärten des Harzes wieder entfernt wurden. So ist das Objekt leicht und zugleich stabil. Ein bisschen sieht es aus wie ein übergroßes Strickliesl. Doch innendrin hat Ferdinand Ludwig schnellwachsende Kletterpflanzen gepflanzt, die der künstlichen Baumkrone zum Grün verhelfen.

Das Canopy hat alle Eigenschaften eines Baumes - ohne dass es ein unterirdisches Wurzelwerk benötigen würde. Nachts leuchten es LED-Strahler von unten an, die Glasfasern leiten das Licht weiter. So entsteht eine modulare Struktur, die im Sommer Schatten und im Winter Licht spendet. "Es sieht ein bisschen aus wie von einem anderen Stern, die Leute wollen es oft ganz neugierig berühren", erzählt Ludwig. Zuletzt stand das Canopy in der Frankfurter Innenstadt, in München war es im März kurzzeitig im Deutschen Museum zu sehen.

Wo solch ein Canopy, dieser Strickliesl-Pavillon, in München stehen könne? "Überall dort, wo sich in städtischen Hitzeinseln die Wärme staut, die Oberflächen versiegelt sind und weit und breit nur Stahl, Glas und Beton regieren", sagt Ludwig. Am Stachus, zum Beispiel. Oder in der gesamten Innenstadt an Orten, an denen man keinen Baum mehr pflanzen kann, weil unterirdisch Fernwärmeleitungen und U-Bahnen im Weg sind. Auch dort, wo vielerorts die Arkaden vor den Geschäften die letzten verbliebenen Schattenspender sind, könnten solche Canopys die Stadt begrünen.

Ludwig weiß aber, dass er mit nur einem Canopy nicht das Klima der Stadt verbessern kann. Er denkt deshalb eine Astgabelung weiter. Er will mehr Natur wagen in der Stadt, sagt er. "München ist eine reiche Stadt, die unter dem Druck der Nachverdichtung und des Wohnungsmangels leidet." Das größte Potenzial berge der Mobilitätswandel, jedoch genüge dabei nicht allein der Umstieg auf Elektroautos.

"Der Stadt gehören viele Verkehrsflächen. Sie muss es schaffen, den von Autos besetzten Raum freizuspielen und zu entsiegeln." Ludwig wünscht sich ein Ende des Entweder-Oder-Denkens, das Natur und Stadt gegeneinander ausspielt. "Wir müssen mit der Natur bauen", sagt der Professor. Mailand habe mit seinem Bosco Verticale einen begrünten Hochhauskomplex, München fehle so etwas. Projekte wie das entstehende begrünte Hochhaus am Arabellapark wolle er "auf allen Ebenen ausprobieren".

"Wenn ein neues Stadtviertel entsteht, eröffnet das die Chance, die Baubotanik zu nutzen", sagt Ludwig. Er träumt von Straßenzügen, in denen man automatisch Wasser ernten kann, wie er sagt, um baubotanische Projekte zu bewässern. Er will auch das Duschwasser der Anwohner zum Bewässern nutzen.

Mit einer Gruppe Studierender aus München und Stuttgart entwirft der Professor gerade Pläne für eine Stadterweiterung. Zur Inspiration hat die Gruppe auch Münchner Bauwerke besichtigt: Das Pharaohaus mit seinen grünen Dachterrassen in Oberföhring und die schwebende Heckenkonstruktion des ehemaligen Swiss-Re-Gebäudes in Unterföhring.

Beides nennt Ludwig interessante Beispiele für das Zusammenspiel aus Natur und Architektur, er will jedoch noch viel weiter gehen. Gerade seitdem im Frühjahr CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl gegen den Einheitsbrei in der Architektur gewettert hatte, seien neue Ideen gefragt.

Ludwig sei gern bereit neue "grüne Landmarken" für München zu entwickeln. Aber bevor er ganze Hausfassaden aus Baumholz wachsen lässt, wäre die gemeinschaftliche Forschungsarbeit zum Canopy schon mal ein Anfang für einen anderen Umgang mit der Natur in der Stadt.

© SZ vom 28.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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