Düstere Hochhäuser ragen in die Luft, Wellen schlagen gegen die im Hafen liegenden Schiffe. Eines dieser Schiffe fährt nach Europa. Doch um mitzufahren, braucht man viel Geld, und die Taschen sind leer. Vielleicht lässt der Schlepper ja mit sich verhandeln, wenn ich ihm Treibstoff bringe? Was klingt, wie die Szene aus einer afrikanischen Hafenstadt, ist in Wahrheit das Konzept für ein Computerspiel, erstellt von fünf Studenten. Ziel des Spiels ist die Flucht nach Europa. Um dorthin zu kommen, muss der Spieler allerlei Aufgaben lösen: Gegenstände finden und richtig einsetzen, mit Menschen reden und Rätsel lösen.
Das Team ist nur eines von insgesamt 17, die an diesem Wochenende an der Game Jam auf dem TUM Campus in Garching-Hochbrück teilnehmen. Knapp zwei Tage haben die Teams Zeit, um ein Spiel zu entwerfen, von der Handlung über Musik bis zum Design. Die fünf besten Entwürfe erhalten als Gewinn Spielepacks, zum Beispiel Controller für den Computer. Unter Spieleentwicklern sind solche Game Jams keine Seltenheit.
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Interdisziplinäre Arbeit wird vorangetrieben
Für viele der Teilnehmer ist es nicht das erste Mal, dass sie unter Zeitdruck ein Spiel entwerfen müssen. "Aber in der Größenordnung ist das schon selten", sagt Student Daniel Frejek. 67 Studenten nehmen teil. Beworben haben sich doppelt so viele, sagt Daniel Dyrda. Er studiert im siebten Semester Games Engineering an der TUM. Gemeinsam mit seinen Mitstudenten Lena Fischer, Carsten Mück und Maximilian Hotter hat er die erste Münchner Game Jam für Studenten gegründet. Ihre Motivation: "Wir finden, dass unser Studiengang nach außen nicht so repräsentiert wird, wie es sein sollte. Außerdem möchten wir noch mehr mit Studenten aus anderen Fachrichtungen zusammenarbeiten."
Zwar sind die Spieleentwickler auf der Game Jam in der Mehrheit, aber es gibt auch einige Designer, Künstler und Filmemacher in den Teams - und Hobbymusiker: Matthias W. hat mal eine Ausbildung zum Organisten begonnen. Jetzt komponiert er auf seinem Keyboard die Musik für ihr Rennspiel "Flip Racer". Je nachdem, welche Stücke gespielt werden, verändern sich die Hindernisse auf der Fahrbahn, die man sich wie eine im Raum schwebende Platte vorstellen muss. Um auszuweichen, muss der Spieler auf die Unterseite der Platte wechseln.
"The other side" ist das vorgegebene Thema der Game Jam. Ob man unter "die andere Seite" nun die Unterseite einer Platte, die Totenwelt einfach nur das Ende eines Levels versteht, bleibt den Teams selbst überlassen. "Damit wollen wir sicherstellen, dass es eine möglichst große Bandbreite an Spielkonzepten gibt", sagt Dyrda. Er hofft, dass die Game Jam in Zukunft jedes Semester stattfinden kann. Das hänge natürlich auch von dem Feedback der Teilnehmer ab. Und von den Sponsoren, wie Microsoft und Ubisoft und der TUM. Bis jetzt sei aber alles sehr gut gelaufen, so Dyrda.
Kaffee hilft beim Durchhalten
Daniel Frejek, Steen Müller und Valentin Beck kämpfen derzeit noch mit der Steuerung: "Sie ist noch zu unpräzise." Ihr Psychiatrie-Insasse torkelt durch die dreidimensionalen Räume wie ein Betrunkener auf Rollschuhen. Die Beine sind steif, die Arme wirbeln durch die Luft und es dauert ein wenig, bis er die Schere endlich zu fassen bekommt. "Das Schwierigste am Spieleprogrammieren ist, dass es sich gut anfühlen muss", sagt Beck. Und mit gut anfühlen meint er, dass die Steuerung der Spielfigur reibungslos funktionieren muss. Eine Schere, die man einfach nicht zu fassen bekommt, verdirbt schnell den Spielspaß. Und Spaß ist schließlich das Wichtigste, selbst wenn es um eher makabere Spiele geht.
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Das Erstellen der Räume und Figuren ist für die meisten Teams aber gar nicht der schwierigste Punkt der Game Jam. Die Organisation der Aufgaben innerhalb der kurzen Zeit sei viel kraftraubender, sagt Domenik Popfinger. Sein Team baut gerade an einem Panzer-Spiel. Allein für die Themenfindung haben sie fünf Stunden gebraucht. Die Zeit fehlt ihnen jetzt in der Programmierung. Letzte Nacht haben sie nur zwei Stunden geschlafen und das wird sich wohl auch in der kommenden Nacht nicht ändern. "Aber es gibt hier ja genug Kaffee."
Für Anselm Eichhoff ist Müdigkeit dagegen nicht das größte Problem. Eher die Verzweiflung. Er hat sich als besondere Herausforderung entschieden, ganz allein zu arbeiten. Eine Art Geschicklichkeitsspiel: Der Spieler muss Wasser transportieren, um damit Pflanzen zu gießen. Sein Problem: der Computer ist zu ungenau. Jedes Mal, wenn das Wasser umgegossen wird, geht beim Umrechnen ein Teil davon verloren. Er seufzt und steckt sich die Kopfhörer wieder in die Ohren. Wie er das lösen kann, weiß er noch nicht. Aber die Nacht ist ja noch lang und der Kaffee umsonst.