Abgesehen von den Bewohnern kennen vermutlich nur Münchens Falschparker das Truderinger Gleisdreieck. Und die meisten von ihnen dürften recht genervt sein, wenn sie nach einer langen Busfahrt endlich die Thomas-Hauser-Straße zu ihrem abgeschleppten Auto entlangstapfen, sei es von Süden durch die Unterführung unter den Schienen Richtung Rosenheim oder von Norden über den Übergang an der Gütertrasse nach Daglfing.
Künftig werden sie vielleicht einen Bus zur Messestadt brauchen oder einen nach Langwied, denn das bayerische Innenministerium plant den Umzug der Kfz-Verwahrstelle, wo abgeschleppte Autos auf ihre Besitzer warten. Von einer solchen Verlagerung würden in erster Linie die Anwohner im Gleisdreieck profitieren - nicht wegen der Autos, wohlgemerkt, sondern wegen der Züge. Denn wenn die Verwahrstelle verschwindet, wird Platz für Schienentrassen frei. Geht es dagegen nach der Deutschen Bahn (DB), sollen die Güterzüge im Moosfeld praktisch durch die Vorgärten rattern.
Die Bahn will den Güterverkehr in München neu ordnen, und eines der zentralen Projekte dafür ist der Ausbau der Daglfinger und Truderinger Kurve und Spange (DTK). Als die DB Netz AG die Pläne Ende 2018 vorstellte, gab es schnell Widerspruch. Dabei sind die Kritiker bis heute keineswegs gegen bessere Gleisverbindungen zwischen dem Nordring, dem Containerbahnhof München-Riem und der Strecke nach Mühldorf einerseits (Daglfinger Kurve) sowie den Bahnhöfen Riem und Trudering und dem Brenner-Nordzulauf via Rosenheim andererseits (Truderinger Kurve), ergänzt durch ein zweites Gütergleis zwischen Trudering und Daglfing (Truderinger Spange). Damit fällt viel lästiges Rangieren weg, Ostbahnhof und Südring werden entlastet, und es können mehr Transporte schneller den Knoten München passieren.
Aber was dem europäischen Güterverkehr nützt, wird viele Truderinger Schlaf und Nerven kosten. Nach den Plänen der DB Netz AG werden die bis zu 750 Meter langen Züge mit Tempo 80, auf der Spange sogar mit Tempo 100, in wenigen Metern Entfernung und im Abstand von wenigen Minuten an Häusern und Gärten vorbeirattern. Anderen Anwohnern droht eine Lärmschutzwand fünf Meter vor dem Gartenzaun. Die Kfz-Verwahrstelle soll in sechs Metern Höhe mit einer 150 Meter langen Bahnbrücke überspannt werden, die mitsamt ihren Lärmschutzwänden mitten in der Frischluftschneise stünde.
Schon im Frühjahr 2019 gründete sich eine Bürgerinitiative, die Anwohner TDKS, und schlug eine Alternativtrasse vor: Truderinger Spange und Kurve sollten zusammengelegt und weiter nach Westen verschoben werden, weg von den Wohnhäusern und in einem Bogen um die Kfz-Verwahrstelle mit ihren 400 Stellplätzen herum. Die Bahn prüfte den Anwohner-Vorschlag erst, nachdem die Bürgerinitiative politischen Druck aufgebaut hatte, und kam im November 2019 zu dem Schluss, er sei unbrauchbar, weil die Züge nicht schnell genug fahren könnten. Weitere Untersuchungen anderer Varianten führten zum gleichen Ergebnis, zum Totschlagargument wurde die Kfz-Verwahrstelle. Deren Verlegung, sagte die DB-Projektleiterin im August 2020 im Stadtrat, würde zehn Jahre dauern und so lange könne die Bahn nicht warten.
In der Folge legte sich das Bundesverkehrsministerium auf die Amtsvariante fest. Die Bahn überarbeitete sie und rückte Kurve und Spange etwas von den Wohnhäusern ab, der Abbruch von zwei Autobahnbrücken und der Teilabriss der Schatzbogenbrücke wurden für verzichtbar erklärt. 2024 sollen die Genehmigungsunterlagen beim Eisenbahnbundesamt eingereicht werden. Parallel auch eine der Bürgervarianten weiter zu planen, wie es unter anderem im Herbst 2022 der "Truderinger Weckruf" verlangte, ein parteiübergreifender Forderungskatalog von 17 Politikerinnen und Politikern aus Bundes-, Landes- und Stadtpolitik, lehnte die Bahn ab.
Auf politischer Ebene kommt jetzt aber Bewegung in die Sache, womöglich auch, weil im Herbst Landtagswahl ist. Jedenfalls hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am 12. Mai offiziell einen Brief an Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) geschrieben und ihm mitgeteilt, man sei "sehr gerne" bereit, die Kfz-Verwahrstelle zu verlegen, wenn jemand anderes dafür bezahle, etwa die Bahn oder die Stadt München. Als Alternativstandorte könne Bernreiter das Gewerbegebiet an der Rupert-Bodner-Straße in Langwied und ein Grundstück des Bundes an der Kreuzung Riemer Straße/An der Point prüfen lassen.
Peter Brück vom Vorstand der Bürgerinitiative will nicht von einem Durchbruch sprechen, bewertet die Verlegungspläne aber positiv: "Darauf haben wir seit vier Jahren gewartet und sehen ab heute wieder neue Chancen für den Erhalt unserer Gesundheit und einer lebenswerten Umgebung." Bei einem Besuch in Berlin im März habe ein Vertreter des Bundesverkehrsministeriums erklärt, wenn Freistaat und Stadt schriftlich bestätigten, dass und bis wann die Verwahrstelle verlegt wird, könne man über Alternativtrassen reden.
Vertrag plus Zeitplan für die Verlegung nennt auch die Bahn als Grundvoraussetzung, wenn die Trassendebatte noch einmal eröffnet werden solle. Schwenke man tatsächlich auf die Bürgervariante um, würde der Kurven-Ausbau "um mehrere Jahre zurückgeworfen", sagt ein Bahn-Sprecher. Außerdem habe das auch Auswirkungen auf ein anderes Bahn-Projekt: Gemeint ist das S-Bahn-Werk Steinhausen, das entweder erweitert oder südlich der heutigen Anlage in der Kaltluftschneise neu gebaut werden soll. Ein Neubau dort würde unmöglich, wenn die Truderinger Kurve umgeplant wird.