Trudering-Riem:Kurzer Prozess

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Um Verfahren zu beschleunigen, entscheidet in Einzelfällen künftig der Bundestag über den Bau von Bahntrassen. Gegen solche Großprojekte können Kritiker nur noch vor dem Verfassungsgericht klagen

Von Ilona Gerdom, Trudering-Riem

Es ist ein langer und ausgesprochen sperriger Begriff. Gleichwohl hat das "Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz" (MgvG) im Bezirksausschuss (BA) Trudering-Riem nicht nur für Belustigung gesorgt, sondern auch Besorgnis ausgelöst. So herrschte Unklarheit darüber, was die neue Regelung für die im Stadtteil liegenden Bauprojekte der Deutschen Bahn bedeutet, die zum Ausbau der Bahnstrecke München-Mühldorf-Freilassing gehören. Nach Angaben des Planungsreferats ist von der Neuregelung nur die Truderinger Kurve betroffen. Allerdings kam im Bezirksausschuss grundsätzlich die Frage auf, welche Folgen das MgvG für die Beteiligungsmöglichkeiten der Stadt München, der Bezirksausschüsse und nicht zuletzt der Bürgerinnen und Bürger hat.

Beschlossen hatte der Bundestag das Gesetz bereits, in Kraft tritt es jedoch erst mit der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt. Diese stehe kurz bevor, so das Bundesverkehrsministerium. Das Gesetz mit dem komplizierten Namen ermöglicht quasi eine Abkürzung für Verkehrsinfrastruktur-Projekte in den Bereichen Schiene und Wasserstraße: Statt ein langwieriges Planfeststellungsverfahren zu durchlaufen, das Bürgern Einspruchsmöglichkeiten auf juristischem Weg bietet, können solche Vorhaben künftig via Bundesgesetz genehmigt werden. Betroffen vom MgvG ist der Ausbau der Eisenbahnstrecke von München über Mühldorf nach Freilassing. Auf Nachfrage erklärt das Planungsreferat, dass in München "nur die Truderinger Kurve vom MgvG betroffen" sei. Derzeit sei auch nicht davon auszugehen, dass weitere Verkehrsprojekte in München unter die Neuregelung fielen.

Kommt der Zug ums Hauseck: Anwohner der Xaver-Weismor-Straße entwickelten im Sommer Alternativen zu den Ausbauplänen der Bahn. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Stellt die Deutsche Bahn bislang für ein Infrastrukturprojekt einen Planfeststellungsantrag, entscheidet darüber letztlich das Eisenbahnbundesamt (EBA). Die betroffene Kommune wird in mehreren Stufen beteiligt und angehört. Mit dem Gesetz, das am 31. Januar 2020 beschlossen wurde, trifft solche Entscheidungen in Einzelfällen nun nicht mehr die Bundesbehörde EBA. Alternativ kann der Bundestag ein Maßnahmengesetz erlassen. Planung per Gesetz ist allerdings nur möglich, wenn Gemeinwohlbelange das bislang übliche Planfeststellungsverfahren verdrängen.

Zwar mag der Name des Gesetzes nicht nach Beschleunigung klingen - doch gerade die ist das Ziel. Laut Bundesverkehrsministerium sollen "wichtige umweltfreundliche Projekte" schneller umgesetzt werden. Das steigere auch die Akzeptanz in der Bevölkerung. Tatsächlich war die in der Vergangenheit nicht immer hoch, wenn es um Großvorhaben ging. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Stuttgart 21 und die S-Bahn-Stammstrecke in München. Man mag den Einwänden der Bürger zustimmen oder sie ablehnen, jedenfalls verzögern sie die Umsetzung von Projekten oder bringen sie sogar zu Fall. Auf die Frage, ob solche jahrelangen Hängepartien Grund für das MgvG seien, antwortet das Bundesverkehrsministerium: "Die Neuregelung ist keine Reaktion auf die genannten Großvorhaben."

Von kommunal- wie bundespolitischer Seite wird betont, dass das MgvG dem Planfeststellungsverfahren im Grunde ähnlich sei. Auch wenn es sich nur auf Ausnahmesachverhalte bezieht, soll es bei der Beteiligung der Stadt München und der Bezirksausschüsse keine Unterschiede zum bisherigen Procedere geben. So lautet jedenfalls die Auskunft des Planungsreferats. Auch in Zukunft bleibe es bei den bisher üblichen Anhörungsrechten. Die Öffentlichkeitsbeteiligung werde sogar ausgebaut, heißt es aus dem Bundes- und dem bayerischen Verkehrsministerium.

Im Detail soll es drei verpflichtende Punkte geben: eine erste frühzeitige Zusammenkunft zur Information über die Pläne, einen sogenannten "Scoping-Termin" zur Festlegung des Untersuchungsrahmens für den Umweltbericht und eine Veranstaltung, bei der Bürger Einwände vorbringen können.

Dennoch haben die Sorgen, die im Bezirksausschuss Trudering-Riem laut wurden, ihre Berechtigung. Denn einen entscheidenden Unterschied zum Planfeststellungsverfahren hat der Weg über das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz auf jeden Fall: Es gibt keinen Verwaltungsrechtsweg. Wehren kann man sich gegen Großprojekte dann nur noch mithilfe einer Verfassungsbeschwerde. Das bestätigt Christoph Hartl vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV): "Tatsächlich werden die Bürger und Verbände insofern eingeschränkt, als der Verwaltungsrechtsweg gegen ein per Bundesgesetz beschlossenes Projekt nicht eröffnet ist." Außerdem äußert Hartl Bedenken, weil die Entscheidung nicht bei Fachbehörden, sondern bei Bundestagsabgeordneten liegt. Hartls Ansicht nach dürfte ihnen im Regelfall nötiges Detailwissen oder der regionale Bezug fehlen. Das Bundesverkehrsministerium hält indes daran fest, dass der Rechtsweg nicht wegfalle. Immerhin könnten "Bürgerinnen und Bürger, deren Grundrechte durch das Gesetz betroffen sind", eine Verfassungsklage erheben.

In der Konsequenz bedeutet das, dass die Bürger zwar in das Verfahren eingebunden sind, wenn es aber kritisch wird, bleibt nur der Weg über das Bundesverfassungsgericht. Wie aussichtsreich das im Einzelfall sein wird, sei dahingestellt. Christoph Hartl jedenfalls attestiert: "Für einen regional aufgestellten Verband - wie den LBV - sind mit dem MgvG die Möglichkeiten, dem Naturschutz in Infrastrukturprojekten eine Stimme zu geben, kleiner geworden." Immerhin: Die Umsetzung von Großvorhaben dürfte sich damit beschleunigen. Ob da jedoch von "gestärkter Öffentlichkeitsbeteiligung" die Rede sein kann, bleibt fraglich.

© SZ vom 26.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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