Trudering:Rangeln um den Radius

Die Anwohner kritisieren, die Bahn habe ihre Vorschläge beim Ausbau von Daglfinger und Truderinger Kurve und der Truderinger Spange nicht aufgegriffen. Sie fordern die DB Netz AG auf, die Trasse weiter nach Westen zu rücken und ein Tempolimit für die Güterzüge durchzusetzen

Von Renate Winkler-Schlang, Trudering

Es klingt wie ein Triumph der Bürgerbeteiligung, wie eine souveräne Offenheit der Bahn für alternative Vorschläge der Anlieger zum Güterverkehrsprojekt Ausbau von Daglfinger und Truderinger Kurve und Truderinger Spange: "Um eine gute Vergleichbarkeit zwischen der DB-Variante und dem Vorschlag der Bürger herzustellen, vertieft die Bahn die Untersuchungen", so jüngst eine Pressemeldung. "Aus dem Vorschlag wurden von der DB Netz AG zwei mögliche Alternativvarianten entwickelt", heißt es weiter.

Diesen Satz aber interpretieren Bahn und Bürger verschieden: Anlieger um Peter Brück erklären, die neuen Varianten hätten wenig mit ihrem Vorschlag zu tun, Truderinger Spange und Kurve zusammenzulegen und weiter nach Westen zu rücken. Die Bahn untersuche neue Trassen, weil sie nicht mit nur einem Vorschlag ins Planfeststellungsverfahren gehen könne. Bahn-Projektleiterin Susanne Müller aber sagt, die neuen Varianten der Truderinger Kurve - einmal im Süden der Strecke Ostbahnhof-Riem, einmal im Norden, was zwei Tunnels nötig machen würde - seien ein Kompromiss. Von ihm nehme man an, dass er beim Bundesverkehrsministerium eine Chance hätte. Beim Original-Bürgervorschlag, so Müller, sei der Kurvenradius zu eng, um auf die vorgegebene Höchstgeschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde zu kommen. Das wiederum glauben die Bürger nicht. Und sie sehen obendrein nicht ein, warum auf innerstädtischen Autobahnen ein Tempolimit möglich ist, während Gefahrgüter auf dem Weg quer durch Europa bei ihnen vorbeirasen.

Die Aktivengruppe vom Karl-Breu-Weg, die sich um Peter Brück, Katja Filsmeier, Peter Grotz und Stephan Rehme gebildet hat, ist enttäuscht: Die Bahn habe im Mai nach ihrer missglückten ersten Veranstaltung in Riem zugesagt, die Anliegeridee zu prüfen. Sie halten Müllers Argumente für vorgeschoben. Und was fast noch schwerer wiegt: Nach Gesprächen, die die Bahnverantwortlichen ihnen auf politischen Druck hin gewährt haben und die wenig erfreulich verlaufen seien, haben sie das Vertrauen verloren, dass die Bahn "neutral und ergebnisoffen" rechnen werde. Wer sei fähig und berechtigt, das zu überprüfen? Es gebe bundesweit nicht viele geeignete Anwaltskanzleien - die meisten seien oder waren Auftragnehmer der Bahn. Diese spreche von ihrem Plan immer noch als "Vorzugsvariante". Müller erklärt, so heiße eben die in Auftrag gegebene. Und natürlich sei Kontrolle da, "auch fachlich".

Trudering: Noch näher an die Häuser würde die Lärmschutzwand an der Thomas-Hauser-Straße rücken, so die Kritik der Anwohner.

Noch näher an die Häuser würde die Lärmschutzwand an der Thomas-Hauser-Straße rücken, so die Kritik der Anwohner.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Anlieger hegen große Sympathien für Zugverkehr. Brück kann über 30 Jahre lückenlos den Besitz einer Bahncard vorweisen, teilweise Bahncard 100. Der Vater von Grotz war Eisenbahner: "Wir hatten gar kein Auto." Sie alle wollen wegen des Klimawandels Güter auf der Schiene. Als sie ihre Häuser bezogen, war ihnen klar, dass unweit Gleise verlaufen und Geräusche dazugehören.

Als die Bahn sie 2018 ohne Begründung aufforderte, sich wegen Lärm- und Erschütterungsmessungen zu melden, als sie mühsam recherchiert hatten, warum diese nötig würden und sie begriffen hatten, was mit dem Ausbau dieses Güterverkehrsknotens auf sie zukommen werde - haben sie mit kühlem Kopf überlegt, ob es bessere Möglichkeiten gäbe. Grund genug hatten sie: Bei den einen soll künftig die Lärmschutzwand fünf Meter vom Gartenzaun entfernt verlaufen, die anderen würden alle sechs Minuten konfrontiert mit mehr als 700 Meter langen Güterzügen.

"Wir wollen konstruktiv sein." Die Aktiven hatten oder haben im Berufsleben selbst die Verantwortung für große Projekte. Vom gesunden Menschenverstand her sei ihr Plan einleuchtend und prüfenswert, meinen sie. Das haben Politiker ihnen bestätigt: Sie ernteten Wohlwollen auf allen Ebenen wie im Bezirksausschuss, wo Georg Kronawitter (CSU) auf städtischer Seite einen referatsübergreifenden Koordinator fordert und Herbert Danner (Grüne) ein Stadtratshearing.

CSU-Generalsekretär Markus Blume brachte sie mit dem früheren Umweltminister Marcel Huber und Verkehrsminister Hans Reichhart zusammen, die sich im Namen der Truderinger an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer wandten. Der SPD-Landtagsabgeordnete Markus Rinderspacher reagierte ebenfalls offen. Die Bundestagsabgeordneten Claudia Tausend und Martin Burkert (SPD) und Wolfgang Stefinger (CSU) schrieben gemeinsam an den Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann. Sie alle empfahlen eine Prüfung des Bürgervorschlags. Die SPD-Stadträte Jens Röver, Hemut Schmid, Ingo Mittermaier und Cumali Naz forderten in dieser Woche, die Stadt möge darauf hinwirken, dass der Anliegervorschlag geprüft wird.

Dass nun der Leiter des Gesamtprojekts, Klaus-Peter Zellmer, ihre Idee als "Strich" abtue, den sie in die Landschaft gezeichnet hätten, empfinden sie als abwertend. Dass die Bahn ihnen vorgeworfen habe, sie hätten "die Büchse der Pandora" geöffnet mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit und den "Pressekrieg" begonnen, gefällt ihnen auch nicht. Sie wollen keine Demo, keine Mahnwachen, sich nicht an Gleise ketten. Sie wollen nicht einmal einen Verein gründen, auch wenn sie die Eigentümergemeinschaft ihrer Wohnanlage hinter sich wissen. Sie wollen Dialog, spüren dazu aber wenig Bereitschaft auf der anderen Seite. Die Projektleiterin sagt, sie finde das schade: Natürlich könne man reden, die Bahn gehe ja auch auf die Leute zu.

Brück und seine Mitstreiter haben Bauingenieurin Müller eingeladen, sich an Ort und Stelle umzuschauen. Da könne sie miterleben, dass die Güterzüge schon jetzt an Häusern an der Xaver-Weismor-Straße so nah vorbeidonnern, dass man sich nicht vorstellen kann, wo ein zweites Gleis Platz finden soll. Sie würde die Wiese sehen, über die die Truderinger ihre Trasse legen würden, anstatt sie viel zu eng an der Pädagogischen Farm vorbei, mitten durch den für den Eisenbahnsportverein gedachten Platz und auf teuren Stelzen über die Verwahrstelle für abgeschleppte Autos zu legen. Und sie könnte in dem Reihenhausgarten an der Thomas-Hauser-Straße stehen, wo ein roter Pfosten unweit des Zauns anzeigt, wie nahe die neue, alles verschattende Lärmschutzwand heranrücken würde.

Müller erklärt ihre Sicht: Die Reihenhäuser könne man vielleicht wirklich entlasten durch Verlegung eines Abstellgleises. Der zweigleisige Ausbau der Spange aber sei vorstellbar, denn dort habe einst ein zweites Gleis gelegen. Der Radius des Bürgervorschlags sei viel zu eng: "Wenn man da nur 30 fahren kann - damit brauch' ich dem Eisenbahnbundesamt nicht kommen." Man benötige Geschwindigkeit für Kapazität und für energieeffizientes Fahren. Auch an anderen Bahnabschnitten gen Brenner wohnten viele Menschen. Der Verkehrswegeplan sei "eigentlich ein Gesetz", demokratisch zustande gekommen. Die Öffentlichkeitsarbeiterinnen des Projekts, Alexandra Pfeiderer und Wibke Henning, sagen irgendwann immerhin, sie könnten "nachvollziehen, dass vieles für die Bürger schwer nachvollziehbar" sei.

Trudering: Susanne Müller, bei der Bahn für dieses Projekt zuständig, hält die Vorschläge der Bürger für kaum umsetzbar. Für das nötigeTempo brauche man einen großen Radius.

Susanne Müller, bei der Bahn für dieses Projekt zuständig, hält die Vorschläge der Bürger für kaum umsetzbar. Für das nötigeTempo brauche man einen großen Radius.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Diese sehen tatsächlich weiter einen großen Vorteil ihrer Lösung darin, dass man sich das rund 15 Millionen Euro teure Brückenbauwerk über die Kfz-Verwahrstelle und weitere Über- und Unterführungen sparen könnte: Mit dem Geld könnte die Bahn nördlich Flächen zukaufen, die früher Bahngrund waren, inzwischen aber der CA Immo gehören. Müller entgegnet, der Bürgervorschlag bräuchte andere, teure Unterführungen. Zudem durchquere er geschützte Grünflächen. Das lassen die Bürger gelten, doch Menschen seien auch schützenswert. Und sie sagen, dafür könnte auf der bei ihnen unverbaut bleibenden Fläche zum Ausgleich die Nord-Süd-Radwegverbindung komplettiert werden.

Die neue Untersuchung braucht Zeit: Die den Bürgern und Bezirksausschüssen für den Herbst versprochene Infoveranstaltung entfällt daher laut Bahn. Die Anlieger ärgert, dass auch die nächste wieder nach dem Marktständekonzept geplant ist: So werde wieder nicht jeder jede Information erhalten. Vielleicht sei das ja die Strategie.

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