Süddeutsche Zeitung

Trudering:Kontroverse um Kurven

Die Bahn stellt den Ausbau ihres Güterverkehrsknotens in einer dreistündigen Informationsveranstaltung vor. Sie hat vom Bund auch grünes Licht dafür, die Alternativtrasse der Anlieger "ernsthaft" zu prüfen

Von Renate Winkler-Schlang, Trudering

Eineinhalb Stunden hatte die Bahn angesetzt für ihre zweite Infoveranstaltung zum Güterschienen-Ausbauprojekt Daglfinger und Truderinger Kurve und zweigleisiger Ausbau Trudering-Daglfing. Doch die wenigen Bahnkilometer beinhalten viel Konfliktpotenzial, nach drei Stunden murrten noch einige Bürger, warum Moderatorin Inge Miethauer von der DB Netze die Diskussion "abwürge".

Aber Miethauer und auch Projektleiterin Susanne Müller, die weitgehend geduldig Details vorgestellt und Fragen beantwortet hat, versprachen: "Wir kommen wieder." Der Dialog mit den Bürgern werde weitergehen. Beim nächsten Mal allerdings will die Bahn wieder auf ihr Marktstände-Konzept zurückgreifen, fest davon überzeugt, dass sich in kleinen Gruppen manches besser erklären lasse. Das aber hatte beim ersten Infotermin im April in Riem so gar nicht geklappt, zu viele Bürger hatten zu großen Gesprächsbedarf. Dieses Mal war der Saal des Truderinger Kulturzentrums mit 200 Sitzplätzen fast voll, waren doch Interessierte, Anlieger und Politiker aus Trudering, Bogenhausen und Berg am Laim gekommen. Sie waren froh über die Schaubilder, Statistiken und Basis-Informationen, die Müller allen gleichzeitig bot. Die Projektleiterin schilderte die Sicht der Bahn: Diese sei nur Ausführende dessen, was das Bundesverkehrsministerium gemäß dem Bundesverkehrswegeplan "bestellt" habe. Dazu gehöre etwa die vorgesehene Geschwindigkeit von 80 Stundenkilometern in den beiden Kurven und 100 auf der zweigleisigen "Spange". Und sie habe einen engen Kostenrahmen. Für fundamentale Kritik, warum denn genau auf diesen zweieinhalb Quadratkilometern mitten im Münchner Osten ein Großteil des europäischen Güterverkehrs von Ost nach West und Nord nach Süd vorbeirauschen müsse, inklusive einer Menge an gefährlichen Stoffen, war sie zum Ärger der Bürger einfach die falsche Adressatin. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Stefinger sagte nur ein paar recht allgemeine Worte: Er werde mit dem Verkehrsminister reden, könne aber nichts versprechen.

Lärm, Erschütterungen, Elektrosmog, Feinstaub, die Sorge um die nahe an den Gleisen gelegene Kita, um Rettungswege, den geplanten Platz des Eisenbahnsportvereins ESV München Ost und um Hachinger Bach und Hüllgraben - das alles trieb die Bürger um. Müller sprach vom Nutzen für den Nahverkehr, aber auch die europäische Wettbewerbsfähigkeit, von Zwangspunkten, Troglagen und "tunnelartigen Gebilden", Schienenstrangdämpfern, betrieblichen Gegebenheiten und "Kilometrierung". Alles hochkomplex, die Planung sei noch in einem frühen Stadium. Fertigstellung sei frühestens 2030 zu erwarten.

Beifall im Saal, als Peter Brück den Alternativvorschlag der Bürger vorstellte, den er gemeinsam mit Peter Grotz, Stefan Dobler, Stephan Rehme und Thomas Ehlert ausgearbeitet hatte. Im Kern wollen die Anlieger die Truderinger Kurve ein wenig nach Osten verschieben und damit den zweigleisigen Ausbau der Spange und die eine oder andere Über- oder Unterführung überflüssig machen. Er besitze seit Jahrzehnten eine Bahncard, so Brück, hier sei keiner ein Gegner der Bahn. Die Bürger am Karl-Breu-Weg oder der Thomas-Hauser-Straße sähen aber nicht ein, warum sie für ein wenig schnellere Züge 100 Prozent ihrer Lebensqualität opfern müssten. Ein Umdenken, erkannte Brück, sei wohl "nur über die politische Schiene" zu erwirken.

Die Bahn nehme die Anliegerideen ernst, sie habe sich eigens beim Bund Mittel für die intensive Prüfung des Alternativvorschlags genehmigen lassen, sagte Müller. Sie könne aber heute schon sagen, dass die Alternative mehr Grunderwerb nötig machen werde, dass sie durch eine streng geschützte Biotopfläche führe und dass es Probleme mit den Radien, den Anschlüssen und auch den Kosten geben könnte. Allein eine Brücke über die Kfz-Verwahrstelle für abgeschleppte Autos wäre sehr teuer. Die Bürger konterten, ihr Plan führe hinter dieser Anlage vorbei.

Nicht recht überzeugen konnte Müller das Auditorium mit dem Konzept, den Hüllgraben, der bisher im Gleisgewirr auf einer Ebene in Rohren läuft, die man nun für die Troglage brauchen würde, offen erst nach Südosten und dann wieder nach Norden umzuleiten. Es sei mit dem Wasserwirtschaftsamt abgestimmt, sagte sie.

Angelika Pilz-Strasser, Grünen-Stadträtin und Vorsitzende des Bezirksausschusses Bogenhausen, sorgte sich um die Anschlüsse zur Strecke zwischen Daglfing und Englschalking, die viergleisig ausgebaut werden soll. Es sei "fast schon skurril", dass diese beiden Projekte nicht zusammengefasst würden. Müller, ihr Gesamtprojektleiter Klaus-Peter Zellmer und Rolf Schneiderhahn, Projektleiter für den viergleisigen Ausbau, versicherten, dass schon allein das Kurvenprojekt komplex genug sei. Der viergleisige Ausbau habe einen Planungsrückstand von derzeit fünf Jahren. Und irgendwo müsse man anfangen, zumal stets "unter rollendem Rad" gebaut werden müsse. "Respekt, wie Sie Ihren Auftraggeber vertreten", erklärte darauf ein Bürger zynisch. In der Übergangszeit könne man dann zwischen Daglfing und Englschalking mit 500 Zügen am Tag rechnen, 226 davon Güterverkehr, rechnete ein anderer vor.

Zum Thema Lärmschutz erklärte Müller den Bürgern, der Ausbau werde wie ein Neubau gewertet, daher hätten sie erstmals Anspruch darauf. Wie hoch die Wände ausfallen, werde der Gutachter errechnen. Bürger in den Reihenhäusern der Thomas-Hauser-Straße, auf Grund, den sie einer früheren Bahn-Tochter abgekauft hatten, müssen darauf gefasst sein, eine Lärmschutzwand nur gut sechs Meter vom Haus entfernt zu bekommen. Ihnen erklärte Müller, sie hätten beim Kauf eine "Immissionsduldungserklärung" unterschrieben.

Zu brisant sei das alles für die Bezirksausschuss-Ebene, fasste der Grünen-Stadtrat Herbert Danner am Ende zusammen. Stadt und Stadtrat müssten sich rasch in angemessener Weise damit befassen, "was da auf den Münchner Osten und Norden zukommt". Es sei "allerhöchste Zeit für ein Hearing im Stadtrat".

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Quelle:
SZ vom 23.05.2019
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