SZ-Serie: Platz da! Kreativquartiere in Bayern:Ein Wirtshaus für die Kunst

Lesezeit: 5 min

Hans Wimmers "La Belle Africaine" (1966) gehört zu den Exponaten, die in der Ausstellung "Bildhauerfreunde" im renovierten Stadl in Triftern gezeigt werden. (Foto: Sebastian Beck)

Mit der Ausstellung "Bildhauerfreunde" eröffnet die "Alte Post" in Triftern ihren großartig renovierten Stadl als Teil eines neuen Kulturzentrums. Initiator und Motor des Projekts ist ein Mann mit langem Atem, der Bildhauer Bernd Stöcker.

Von Sabine Reithmaier, Triftern

Der junge Mann taumelt. Die Arme hat er in Richtung seines Gesichts gerissen, der Kopf streckt sich nach hinten. Gleich wird er fallen. Gerhard Marcks hat den "Stürzenden Herbert" genau in dem Moment abgebildet, in dem ihn eine Kugel trifft. 91 Jahre war der Bildhauer alt, als er 1980 diese ganz persönliche Bronzefigur schuf, eine Erinnerung an seinen Sohn Herbert Friedrich, der Ende Januar 1943 in Russland fiel. Jetzt steht die Skulptur im großartig renovierten Stadl des ehemaligen Gasthofs "Alte Post" in Triftern, dem mit der Ausstellung "Bildhauerfreunde" eine furiose Eröffnung gelungen ist.

(Foto: SZ-Karte)

Drei ältere Kollegen, deren zentrales Thema der Mensch war, hat Kurator Bernd Stöcker versammelt: Neben Marcks (1889-1981) den lang in Dresden lehrenden Helmut Heinze, Jahrgang 1932, der als Jugendlicher die Zerstörung Dresdens erlebte und sich wie Marcks mit den Auswirkungen des Krieges und dem Sterben Unschuldiger auseinandersetzt. Davon erzählen beeindruckend seine "Überlebenden", schmale Bronzemodelle der Figuren, die der Künstler für die Kathedrale der von den Nazis zerbombten englischen Stadt Coventry schuf, einer Partnerstadt Dresdens. Der dritte Künstler ist Hans Wimmer (1907-1992), ein gebürtiger Pfarrkirchner und in Bayern wohl der bekannteste der drei Bildhauer. Freilich ist sein Name oft auch jenen nicht geläufig, die den Richard-Strauss-Brunnen in der Münchner Fußgängerzone oder das "Trojanische Pferd" an der Alten Pinakothek durchaus kennen und schätzen.

"Das ist das Schicksal von Bildhauern, die viel im öffentlichen Raum arbeiten", weiß Bernd Stöcker, dessen Werke ebenfalls an Plätzen, Straßen oder Brücken zu finden sind. Aber eigentlich will der 70-Jährige nicht über Kunst reden, sondern über die Verwandlung einer baufälligen Scheune in ein tolles zweigeschoßiges Kunsthaus mit nahezu 500 Quadratmetern Ausstellungsfläche. "Mir gefiel von Anfang an die quadratische Grundform so gut", sagt Stöcker und steigt die Treppe hoch zur von Stahlstützen getragenen Empore.

74000 Euro kostete das denkmalgeschützte Ensemble

Der Stadl ist nur ein Teil des Großprojekts "Kulturzentrum", das der Künstler verwirklichen will. Der Bildhauer erwarb das denkmalgeschützte Ensemble vor acht Jahren um 74000 Euro. Damals stand das wuchtige, dreigeschoßige Gebäude mit eleganter klassizistischer Fassade aus dem Jahr 1795 schon sieben Jahre leer. Ein idealer Ort für eine posthume Dauerausstellung seiner Kunst, fand Stöcker damals. "Aber ein Ausstellungsraum mit nur einem Künstler ist Mist, jedenfalls wenn man nicht Picasso heißt." Und selbst wenn man Picasso heißt - Stöcker lehnt es grundsätzlich ab, Kunst abgetrennt und elitär nur im musealen Rahmen stattfinden zu lassen. "Kunst ist so wichtig, dass sie immer mit dem Leben verbunden werden muss." Weshalb ein ehemaliges Wirtshaus mit Biergarten und Kegelbahn sich seiner Ansicht nach hervorragend für ein Kulturzentrum eignet. Dann kämen auch Menschen, die um Museen ansonsten eher einen Bogen machen.

Das denkmalgeschützte ehemalige Gasthaus "Alte Post" in Triftern wartet auf seine Sanierung und die Umwandlung in ein Kulturzentrum. Noch ist die Finanzierungsfrage nicht geklärt. (Foto: Sebastian Beck)

Vielleicht kommen sie auch, weil sie in der "Alten Post" künftig kreativ arbeiten dürfen. "Die richtige Liebe zur Kunst entsteht durch die Erfahrung des Machens", glaubt Stöcker. Anschauen allein genügt für ihn nicht. Wer selbst Steine meißle, entwickle einen anderen Blick auf Skulpturen, wer male, betrachte Gemälde anders. Im Biergarten läuft in diesen Tagen gerade ein gemeinsames Projekt Stöckers mit der Bewährungshilfe des Landgerichts Landshut. Junge Erwachsene, deren Haftstrafe auf Bewährung ausgesetzt wurde, arbeiten sich zwei Wochenenden lang an Steinen ab. Das funktioniere unglaublich gut, sagt Stöcker.

Der Bildhauer, ein gebürtiger Bremer, lebt mit seiner Familie seit 1997 in einem ehemaligen Wirtshaus am Ortsausgang von Triftern. Der quadratische Bau mit blaugrauen Fensterläden, ebenfalls denkmalgeschützt und renovierungsbedürftig, bietet viel Platz für ein Künstlerpaar - Stöckers Frau Ingrid Baumgärtner ist auch Bildhauerin, die drei Kinder sind inzwischen ausgezogen. Im Haus sei, was Renovierung betrifft, noch einiges zu tun, sagt Stöcker, erzählt von seinen mühsam erworbenen Erfahrungen, was die Sanierung alter Häuser betrifft, und seinen guten Kontakten zur Denkmalschutzbehörde. "Die haben mich immer ermutigt." Vielleicht jagte ihm deshalb der jämmerliche Zustand der "Alten Post" keinen Schrecken ein.

Der gemauerte Stadl, laut einer Holzanalyse im Dachstuhl 1840 gebaut, musste am dringendsten saniert werden, er galt als einsturzgefährdet. Ursprünglich diente er als Aufbewahrungsort für Häute, gleich nebenan am Mühlbach war eine Gerberei. Davon spürt man in dem großzügigen, weiten Raum jetzt nichts mehr. Raffiniert versetzte Glasziegel werfen Tageslicht ins Innere, eine optimale Inszenierung für die Skulpturen. Auf Fenster wurde verzichtet, um die Dachform nicht zu verändern, auch eine Heizung sucht man vergebens. Dafür können den dicken Bretterboden auch 20-Tonner-Lastwagen befahren. Künftig wird der Raum ein Ort der Zusammenkunft sein mit Ausstellungen Theateraufführungen, Kino und Konzerten. "Das wird ein sehr gesuchter Ort, da bin ich mir ganz sicher", sagt Stöcker.

Der Bildhauer Bernd Stöcker, hier in den Räumen der Alten Post, hat das Ensemble vor acht Jahren gekauft und möchte das Anwesen in ein lebendiges Kulturzentrum wandeln. (Foto: Sebastian Beck)

Gekostet hat die Sanierung des Stadls 632000 Euro, keinen Cent mehr, als in der Kostenschätzung ermittelt. Einen Teil davon, 142000 Euro, finanziert Stöcker selbst - "es läuft gerade ganz gut mit meinen Aufträgen". Den Rest übernahm das Förderprogramm Leader, der Landkreis Rottal-Inn, der Bezirk Niederbayern, das Landesamt für Denkmalpflege und die deutsche Denkmalschutzstiftung.

Die Förderer haben auch bereits zugesagt, sich am nächsten Bauabschnitt zu beteiligen, der Sanierung des Gasthauses nebst Kegelbahn und Biergarten. "Aber das reicht nicht", sagt Stöcker und erzählt eher beiläufig von dem zähen Kampf, den er seit Jahren um die Finanzierung führt. Die erforderlichen 2,4 Millionen bringt er nur zusammen, wenn sich die Gemeinde beteiligt und zehn Prozent an der Gesamtsumme übernimmt, eine Voraussetzung, um Mittel aus der bayerischen Förderinitiative "Innen statt Außen" zu erhalten. Mit Hilfe des Programms sollen Ortskerne wiederbelebt, der Flächenverbrauch eingedämmt werden. "Wir würden gut in dieses Muster passen", findet Stöcker. Ein erster Versuch, die Gemeinde zum Mitmachen zu bewegen, scheiterte 2019 an einem Bürgerentscheid. Die Gegner des Projekts hatten mit falschen Gerüchten ganze Arbeit geleistet. "So eine Neid-Debatte kriegst du nie weg", sagt Stöcker. Aber das Ergebnis traf ihn schon sehr. Inzwischen hat sich in Triftern der Kultur- und Kunstverein gegründet, der Stöcker in vielerlei Hinsicht aktiv unterstützt. "Jetzt sind wir gerade dabei, einen neuen Anlauf vorzubereiten." Wann die Sanierung startet? Der Bildhauer zuckt die Schultern. Keine Ahnung, sagt er. "Ich nenne kein Datum. Es kommt, wie es kommt. Sonst suche ich woanders nach Geld."

Sein beharrlicher Einsatz, sein langer Atem sind bewundernswert. "Das lernt man am Stein", sagt der Künstler. Das Material verträgt weder Eile noch Stress; was weggeschlagen ist, ist unwiederbringlich dahin. "Das schult die Disziplin des Denkens." Stöcker, der bei Ulrich Rückriem und Alfred Hrdlicka studiert hat und sich seither als freier Künstler durchschlägt, meißelt alles von Hand, arbeitet ohne Maschinen. "Sonst habe ich den Kopf nicht klar."

"Wir machen das schließlich alle ehrenamtlich."

In den großen Räumen des ersten und zweiten Stocks, den ehemaligen Fremdenzimmern, werden nach der Sanierung Wechselausstellungen stattfinden, vielleicht auch ein oder zwei Schlafräume für Gäste entstehen - schließlich plant der Verein auch Künstlersymposien und Workshops. Eine Heizung ist in den oberen Geschoßen nicht geplant, es werde nur saisonalen Betrieb geben, sagt Stöcker. Anders sei das auch nicht zu stemmen. "Wir machen das schließlich alle ehrenamtlich."

Die ehemalige Gaststube unten wird sich irgendwann in ein Café verwandeln, im ehemaligen Nebenzimmer ein vielfältig nutzbarer Gemeinschaftsraum entstehen. Vielleicht zieht in Zusammenarbeit mit der Gemeinde auch eine Musikschule ein, da laufen gerade Gespräche. Im Moment riecht es dort eher modrig, die Wände sind feucht und müssen dringend trocken geheizt werden. Aber Stöcker bleibt gelassen. Ob er schon plant, seine eigenen Skulpturen auszustellen? Er schüttelt den Kopf. "Ich mag doch nichts Statisches." Vorstellbar sei vielleicht eine Ausstellung zu seinem Achtzigsten. Aber vorher ist noch unendlich viel zu tun.

Bildhauerfreunde! Hans Wimmer, Gerhard Marcks, Helmut Heinze. Bis 30.10., geöffnet Samstag/Sonntag 14-18 Uhr, Alte Post, Haus für zeitgenössische Kunst. Graf Lenberger Straße 13, 84371 Triftern

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: