Trendgetränk:München ist im Gin-Rausch
Lesezeit: 4 Min.
Sechs Hersteller konkurrieren inzwischen um die Gunst der Bar-Besucher. Neueste Erfindung: ein Wacholderschnaps, der sich beim Vermischen mit Tonic lila färbt.
Von Anne Kathrin Koophamel
Der jüngste Neuzugang auf dem Münchner Gin-Markt, er ist ein wahrer Verwandlungskünstler. Im Glas erscheint der Wacholderschnaps zunächst blau, doch schüttet man Tonic hinzu, verfärbt er sich lila. Wie das sein kann? "Es ist ein Geheimrezept", sagt Tim Steglich, um das Geheimnis dann doch zu verraten.
"Kern des Farbverlaufs ist eine blaue Blüte aus Fernost, die auf Säure reagiert." Der 31-Jährige hat mit seinem ein Jahr älteren Geschäftspartner Max Muggenthaler die Destillerie The Illusionist im Glockenbachviertel aufgebaut, seit zehn Wochen gibt es ihren Gin zu kaufen. Den Launch haben die beiden fast ein Jahr lang geplant. "Wir wussten: Mit einem normalen Gin kann man auf dem umkämpften Markt nur verlieren", sagt Steglich. "Die Konkurrenz in München ist spürbar."
Gab es noch vor zehn Jahren genau zwei Gin-Sorten in einer gut sortierten Bar - häufig Tanqueray und Bombay Sapphire -, sind es heute oft fünf, zehn, manchmal sogar 50 Marken oder mehr. Vor allem das Siegel "Made in Munich" kommt offenbar bei den Bar-Gängern an. In München und der Region konkurrieren inzwischen sechs Destillerien miteinander: The Duke, Feel, Soul of Bavaria, Whobertus, Weihwasser und nun eben auch The Illusionist. Sie werben damit, dass sie regional produziert werden und lokale Essenzen im Alkohol haben. Selbst mit Hopfen und Kastanien wurde im Schnaps-Kessel schon experimentiert.
Dass Gin in München nach wie vor ein Modegetränk ist, weiß auch Oliver von Carnap. "Am Wochenende sind von 100 Bestellungen 60 Gin Tonic", sagt der Barkeeper, dem die The Madam Bar in der Ledererstraße gehört. "Gin war ein weltweiter Trend, der dann nach München geschwappt ist und heute einen gewissen Lokal-Patriotismus auslöst." Ganz unschuldig an dem Hype dürfte der 42-Jährige nicht sein: durch seine Getränkeempfehlungen, als man vor elf Jahren noch lieber Wodka Bull trank als Dry Gin. Barkeeper hätten Gin schon immer geliebt, behauptet von Carnap: "Gin ist vielseitig und hat ein breites Aromenspektrum. Vor allem aber war er immer eleganter als Wodka." Inzwischen aber ist Oliver von Carnap von den Bestellungen fast schon gelangweilt: "Alle wollen nur Gin, das nervt manchmal."
Dass Gin der Münchner Drink schlechthin ist, merkt auch Fabius von Baranow, der den Spirituosen-Fachhandel "Collector's Corner" in der Augustenstraße betreibt. "Ich bin immer wieder beeindruckt, was für ein Fachwissen die Kunden haben, welche Varianten sie alle kennen. Das kenne ich so nur von Wein." Vor zehn Jahren gab es bei ihm noch keine einzige Flasche Gin zu kaufen, inzwischen hat er sechs Sorten, vier davon Münchner Marken. "Der Markt ist dauernd in Bewegung, fast jeden Monat gibt es etwas Neues", stellt er fest.
Verloren im Gin-Dschungel
Für die Kunden wird das große Gin-Angebot dabei langsam zu einem undurchdringlichen Dschungel, in dem sie Qualität von Fusel kaum noch unterscheiden können. "Viele Destillerien machen es sich sehr einfach", sagt Maximilian Schauerte. Der heute 38-Jährige war 2008 der erste Münchner, der Gin in der Stadt destillierte. The Duke ist bis heute der lokale Platzhirsch und macht immer noch 40 Prozent des Gesamtumsatzes allein durch den Verkauf in Bayern. Die Konkurrenz sehe er gelassen, sagt Schauerte: "So schnell wie neue Marken herauskommen, so schnell kommt man gar nicht mit dem Probieren nach."
Um The Duke weiter im Gespräch zu halten, kooperiert er auch mit Einrichtungshäusern wie Kare oder Modeläden wie Hirmer. Der Erfolg um seinen Dry Gin gibt ihm recht: Die Duke-Destillerie ist gerade vor die Stadttore nach Aschheim gezogen. Der Lagerplatz wurde eng, das auf 25 Mitarbeiter angewachsene Unternehmen ist zu stark gewachsen, um in den alten Räumlichkeiten den Bedarf bedienen zu können. Und trotzdem meint Schauerte: "Gin herzustellen ist am Ende hart verdientes Geld. In ein paar Jahren werden nur die Marken bleiben, hinter denen Qualität steckt. Wer verzweifelt nur nach Marketing-Gag sucht, der wird untergehen."
Doch noch steigt die Nachfrage. "Gin ist endgültig in der breiten Masse angekommen. Die Leute kaufen ihn wie Wein im Supermarkt für daheim", sagt Lukas Motejzik von der Zephyr Bar an der Baaderstraße. Der 28-Jährige gilt als einer der besten Barkeeper der Stadt, mixt aus Schnaps, Tee, Kräutern, Obst und Säften allerlei Kreationen zusammen - doch die Leute fragten zu 80 Prozent nach einem: "Gin Tonic und nochmals Gin Tonic." Motejzik hat deshalb 40 verschiedene Sorten in seiner Bar. "Das Angebot ist explodiert, man muss sich schon abheben, um aufzufallen. Der Illusionist mit seinem Farbwechsel ist ein gutes Beispiel, weil sich die Jungs hier echt was haben einfallen lassen", sagt Motejzik. Und so wandelt sich auch bei ihm der blaue Gin in einen rosafarbenen Longdrink.
"Ich trinke das auch selbst nie, das ist wie Limonade für mich"
Charles Schumann kann mit dem Gin-Hype dagegen wenig anfangen. "Ich kenne Trends, aber ich stehe nicht für sie", stellt die Münchner Bar-Legende klar. Er setzt weiterhin auf Klassiker und Neu-Kreationen in seiner Institution am Odeonsplatz. Bei ihm, so sagt Schumann, werde selten nach einem "GT", einem Gin mit Tonic, verlangt. "Ich trinke das auch selbst nie, das ist wie Limonade für mich." Schumann führt den Hype um den Gin auch darauf zurück, dass er sich einfach herstellen lässt: Zu einem Roh-Alkohol mischt man sogenannte Botanicals, Aromen aus Kräutern, Obstschalen, Beeren, Gewürzen. Grundlage ist immer die Wacholderbeere, die dem Gin ihren markanten Duft gibt. Zwischen fünf Botanicals und mehr als 200 führen die Schnapsbrenner ihrem Gin zu.
Korbinian Achternbusch experimentiert in seiner Pasinger Destillerie beispielsweise seit fünf Jahren mit Aronia- und Blaubeeren, Koriander und Lavendel. Und er achtet auf das Biosiegel. "Ich bin Überzeugungstäter und möchte nichts mit Zusatzstoffen trinken, wenn ich es auch ohne herstellen kann", sagt der Münchner. Ihm war nach einem Wiesn-Abend die Idee gekommen, Gin zu brauen. Schließlich verkaufte er sein Auto für den ersten Kupferkessel und legte los. "Wie ein Alchimist habe ich mich rangetastet, ich bin totaler Quereinsteiger", sagt Achternbusch, der bis heute hauptberuflich als Textilreiniger arbeitet. Selbst wenn er jetzt mit den "paar tausend Flaschen", die er ausschließlich an Feinkost- und Bioläden verkauft, schwarze Zahlen schreibt: "Es ist viel Kapital, das man immer wieder reinstecken muss. Das Geschäft mit Gin ist nichts für Leute, die ein neues Hobby suchen."