Süddeutsche Zeitung

Trend zum "Scrapbooking":Liebe zum Bilderbuch

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Erinnerungen leben nicht nur in Fotos fort, sondern auch in Eintrittskarten: Silva Gabriel ist ein "Scrappie", sie macht aus Fotoalben kleine Meisterwerke. Über einen Trend, in dem manche nicht nur eine Sucht sehen, sondern eine Lebensphilosophie.

Von Carolina Torres

Der Cuttlebug sieht aus wie ein grüner Toaster mit weißen Flügeln. Nur, dass man kein Brot hineinsteckt. Silva Gabriel kurbelt, das Gerät zieht ein bordeauxfarbenes Stück Papier ein und verwandelt es in eine Blume mit sechs geschwungenen Blütenblättern. Neues Material für ihr Scrapbook.

Ein Scrapbook ist, vereinfacht gesagt, ein Fotoalbum mit viel Liebe zum Detail. Silva Gabriel bettet ihre Bilder in eine Szene ein, verwendet Stoffe, Farben, gemustertes Klebeband, Glitzergel, Stempel und Perlen. Die Idee: Erinnerungen leben nicht nur in den Fotos, sondern auch in einer getrockneten Blume fort, in Eintritts- oder Fahrkarten. In einem Scrapbook lässt sich mal ein Bild ausklappen, mal ein Briefumschlag öffnen. "Es gibt nichts, was nicht sein darf", sagt Gabriel. Das Hauptelement aber ist Papier - bedruckt, gestanzt, geprägt, verziert.

Der Trend kommt aus den Vereinigten Staaten. Daher wird in Deutschland auch nicht gestanzt, sondern "geambosst". In Bayern gibt es erst eine Handvoll Läden, die das nötige Zubehör verkaufen, die Community organisiert sich aber vor allem über das Internet. Auf Youtube stehen Video-Anleitungen, die zeigen, wie man etwa das Layout einer Seite gestalten kann (etwa hier). Online-Shops versorgen die "Scrappies" mit neuen Materialien.

Silva Gabriel aus Biberbach bei München scrappt seit etwa sechs Jahren mindestens eine Stunde am Tag. "Als ich erfahren habe, dass ich schwanger bin, habe ich angefangen", sagt die 45-Jährige. Ihr Sohn Max ist heute der Protagonist ihrer Werke. "Wellness für die Seele", das ist die Bastelei für sie, sagt Gabriel. Wenn ihr Mann arbeitet, ihr Sohn im Kindergarten spielt, es ganz still ist im Haus, dann steigt Gabriel die Treppen hoch, zu ihrem ganz privaten Rückzugsort, einem kleinen Raum auf dem Dachgeschoss. Dort stehen ein großer Schreibtisch und Regale, die voll sind mit Bastel-Utensilien und fertigen Alben.

Ihr "Handwerker-Gen" habe sie von ihrem Vater geerbt, sagt Gabriel. "Weil man die Kleider damals bei uns im Osten nirgends kaufen konnte, hat mein Papa für mich genäht, was im Westen in war", erinnert sie sich. So wurden die alten Bettlaken ihrer Mutter zu Shirts, zu Röcken und Kleidern.

Scrapbooken verändert die Sicht auf die Welt: Jede Büroklammer, jedes Stück Stoff, jeder Knopf, jede alte Jeans könnte Verwendung in einem Album finden. Gabriel zeigt auch gleich, wie das geht: Aus einer Schublade zieht sie kreisförmige, einen Zentimeter dicke Pappstücke heraus. Was einmal eine Klopapierrolle war, hat Gabriel bemalt, in gleichgroße Stücke geschnitten und zurechtgebogen. Das Ergebnis ist ein dreidimensionales Gänseblümchen. "Wenn man konsequent wäre, hätte man durch die Bastelei keinen Papierabfall mehr."

Scrappen ist nicht nur zeitaufwendig, es ist auch teuer. Mehrere Tausend Euro hat Gabriel bereits in ihr Hobby investiert, in die Schneidemaschinen, den Drucker, das Papier. Jeden Monat legt sie 50 Euro zur Seite. Kommt etwas Neues auf den Markt, geht sie zu Sandra.

Sandra Fassl präsentiert in ihrem Laden die schönsten Scrapbooks ihrer Kunden, auch die von Gabriel liegen zwischen Verkaufsregalen. Bei ihr sind es auch Tochter und Sohn, die zu den liebsten Motiven gehören: "Es gibt nichts Wichtigeres, als meinen Kindern ihre Erinnerungen mitzugeben."

Scrapbooking ist Alltagskunst, sagen all jene, die dem Hobby verfallen sind. Und eine Lebensphilosophie. Ein Archiv. Eine Sucht. Wenn Silva Gabriel für ein paar Tage nach Köln zu ihrer Familie fährt, nimmt sie die Bastel-Utensilien mit auf die Reise. Für sie ist es wie Tagebuch führen. Nur schreibt sie ihre Geschichten mit Bildern und Ornamenten statt mit Verben und Adjektiven.

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