Treffen der Freiwilligen:Koalition der Menschlichkeit

Treffen der Freiwilligen: Gemeinsam für die gute Sache: Schon zum vierten Mal kamen Freiwillige aus ganz Oberbayern zusammen, um gemeinsam Probleme zu besprechen. In der Mitte: die Organisatoren Jost Herrmann, Lisa Hogge und Bernhard Rieger.

Gemeinsam für die gute Sache: Schon zum vierten Mal kamen Freiwillige aus ganz Oberbayern zusammen, um gemeinsam Probleme zu besprechen. In der Mitte: die Organisatoren Jost Herrmann, Lisa Hogge und Bernhard Rieger.

(Foto: Stephan Rumpf)

Flüchtlingshilfe wird immer schwieriger: Ehrenamtliche müssen sich oft mit komplizierter Bürokratie und psychischen Problemen ihrer Betreuten auseinandersetzen. Nun sollen sich Helferkreise besser vernetzen.

Von Dietrich Mittler

"Es ist mir nicht leicht gefallen, hierher zu kommen", sagt Regine Schuster. Seit Jahren engagiert sie sich schon im Helferkreis Geltendorf (Landkreis Landsberg). Ihre Woche war gefüllt mit Terminen - und mehr als das: mit Schicksalen. Selbst als die 73-jährige ehemalige Lehrerin vor der alten Karmelitenkirche steht, gehen ihr diese Worte nicht aus dem Sinn: "Mein Kopf ist Bombe!" Das sagte kürzlich ein syrischer Familienvater zu ihr. Ausdrücken wollte er damit, dass ihn die Angst um seine Frau und seine zwei kranken Kinder schier zerreißt. Diese sind noch immer in Damaskus. "Und er kann ihnen nicht helfen", beschreibt Regine Schuster die innere Not des syrischen Vaters.

Die psychische Belastung der Betreuten wird zunehmend auch zur Belastung für die Helfer, die nach der spontanen Hilfe im Herbst 2015 nun vor ganz neuen Herausforderungen stehen. Und die zunehmend das Gefühl haben, vom Staat und der Politik immer weniger gehört und ernst genommen zu werden. In diesem Jahr, sagt Jost Herrmann, habe sich in etlichen Asylhelferkreisen ein Bewusstseinswandel vollzogen: Sie müssten zunehmend kämpfen für ihre Schützlinge - und ihre eigene Arbeit.

Herrmann kann das beurteilen. Er ist Koordinator für die Flüchtlingshilfe im Kreis Weilheim-Schongau. Bereits zum vierten Mal hat er gemeinsam mit seinen Mitstreitern Lisa Hogger und Bernhard Rieger ein Treffen der oberbayerischen Helferkreise organisiert, diesmal in der Karmelitenkirche in München. 140 Freiwillige aus 102 Helferkreisen sind am Samstag gekommen, aus Landsberg, Rosenheim, Garmisch-Partenkirchen, Starnberg, Dachau und vielen weiteren oberbayerischen Städten und Gemeinden. Erstmals sind auch Münchner mit dabei sowie einige Vertreter aus anderen Teilen Bayerns.

Viele interessieren sich vor allem für die Frage: Eignet sich so ein "Oberbayerischer Asylgipfel" - bislang noch ein Solitär - als Modell für andere Regierungsbezirke? Sollte man vielleicht sogar einen deutschlandweiten Dachverband der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer gründen? Oder würde es schon ausreichen, dem Helferkreis die Vereinsform zu geben? Klar ist, dass sich alle mit den selben Problemen befassen müssen. Anfangs, als die Asylbewerber plötzlich in großer Zahl kamen, da wollten auch die in der Karmelitenkirche versammelten Frauen und Männer einfach nur helfen. Erst verteilten sie Decken und Getränke, dann gaben sie Deutschkurs, fuhren kranke Asylbewerber zum Arzt und zu den Behörden.

Mittlerweile aber haben die Helfer gemerkt: Ihr Einsatz wird schwieriger, komplizierter, bürokratischer. Sie müssen für die Asylbewerber kämpfen, denen die Arbeitserlaubnis verweigert wird oder nun gar die Abschiebung droht. Deren psychische Situation wirkt sich auf die Helfer aus. "Es bedrückt uns alle, dass viele Flüchtlinge nachts nicht mehr schlafen können - der ganzen Probleme wegen", sagt Regine Schuster.

Aber an Entschlossenheit mangelt es nach wie vor nicht. So herrscht unter den Helfern besonders Unmut darüber, dass viele anerkannte Asylbewerber derzeit mit immensen Nachzahlungsforderungen für ihre Unterbringung konfrontiert werden. Die Helferkreise sind daher fest entschlossen, das durch eine gemeinsame Normenkontrollklage anzufechten.

Jost Herrmann glaubt daher immer noch an den Sinn und die Bedeutung der Freiwilligen-Arbeit. "Helferkreise sind eine ganz neue Sozialform, die sich überall in Bayern entwickelt hat", sagt er. Dabei habe es sich von Anfang an um "gutwillige Leute" gehandelt, hoch motiviert, kreativ, spontan und aus der Not heraus bis an die eigenen Belastungsgrenzen im Einsatz für die Flüchtlinge. Klar, so betont Herrmann, die Zahl der Helfer sei kleiner geworden. Aber die noch dabei sind, seien es voll und ganz.

Eine von ihnen ist Angela Parvanta, die an der Ludwig-Maximilians-Universität ein Projekt koordiniert, durch das die Helferkreise Deutsch-Sprachkurse für Asylbewerber an die Hand bekommen - online und als Buch. "Ich bin selber Flüchtling der ersten Generation aus Afghanistan", sagt sie. 1980 flüchtete sie mit ihrer deutschen Mutter und dem afghanischen Vater als Kind nach Deutschland. "Ich möchte was weitergeben", sagt sie. Deshalb arbeite sie selbst mit Flüchtlingen.

Doch es geht nicht nur um persönliche Betroffenheit, sondern eben auch um Politik. "Das Thema ist virulenter geworden, und der Bedarf ist weiterhin da, uns gegenseitig zu ermutigen und mit einer Stimme zu sprechen", sagt Jost Herrmann. Und es gehe darum, die Helferkreise zusammenzubringen, zunächst einmal innerhalb der Landkreis- und Bezirksgrenzen. "Es steht die Idee dahinter, dass wir in der Öffentlichkeit und der Politik als Asylhelfer mehr Gehör finden", sagt Herrmann.

Andere streben gleich Größeres an: Der Landsberger Raffael Sonnenschein etwa will einen Dachverband der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer in Deutschland aufbauen. Er stellt sein Projekt "Veto" vor. 6000 Mitglieder habe er für diese Organisationsform bundesweit bereits gewinnen können - aber es müssten mehr werden. "Damit wir etwas bewegen können, müssen wir eine große Koalition der Menschlichkeit und der Vernunft bilden", sagt Sonnenschein - wohlwissend, dass viele der in der Kirche versammelten Helfer eher aus einem konservativ geprägten Umfeld kommen. Dennoch wollen gut 30 Helferkreise nun via Internet mit seinem Projekt zumindest in Kontakt bleiben.

Das Treffen in der Karmelitenkirche schließt am Abend mit einem Konzert, das Hans Well mit seinen "Wellbappn" für die Helfer gibt. Anders als bei ihrem vorherigen Treffen in Tutzing verfassen Herrmann und seine Mitstreiter am Samstag keine Resolution an die Staatsregierung. Und doch gehe von der Münchner Zusammenkunft neue Schubkraft aus.

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