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Travestiekünstler Miss Piggy:Morgens Mann, abends Frau

Selbst Freddie Mercury lag ihm zu Füßen: Peter Ambacher ist Münchens bekanntester Travestiestar, Abend für Abend verwandelt er sich in Miss Piggy. Die Zuschauer lieben seine Schlüpfrigkeiten.

Lisa Sonnabend

Ein Schluck Bier? Miss Piggy ist entsetzt über das Angebot eines Zuschauers, sie raunt mit dunkler Stimme: "Ich bin doch kein Bauarbeiter, ich bin eine Dame." Dann wirft sie einen verächtlichen Blick ins Publikum, klimpert mit den Wimpern und greift stattdessen zu einem Sektglas. Miss Piggy trägt ein eng anliegendes, rotes Abendkleid. Eine voluminöse, rötliche Perücke versteckt das kurze dunkelblonde Haar. Der rote Lippenstift hinterlässt einen Abdruck auf dem Glas. Miss Piggy heißt in Wirklichkeit Peter Ambacher. Der 62-Jährige ist Münchens wohl bekanntester Travestiekünstler.

Derzeit ist die Weihnachtsshow "Christmas Follies" im Oberanger Theater zu sehen. Zweieinhalb Stunden stehen Miss Piggy und ihre Travestiepartnerin Gene auf der Bühne, zwanzig Mal ziehen sie sich dabei um, kaum drei Minuten Zeit haben sie, um in ein neues extravagantes Kleid zu schlüpfen, sich umzuschminken und sich erneut in ein Wesen des anderen Geschlechts zu verwandeln. Gegen Ende der Show tanzt Miss Piggy zu den Klängen von Schwanensee Ballett. 80 Kilo auf einer Fußspitze. Das Publikum klatscht, lacht, johlt.

Einen Tag später sitzt Peter Ambacher in seiner Wohnung am Arabellapark. Die Stühle sind im Leopardenmuster überzogen. Eine komplette Wand des Raumes ist verspiegelt. Das Bett steht in einer Ecke, davor eine goldene Statue. Ambacher lebt hier mit seinem Ehepartner, den er vor einem Jahr heiratete. Statt Abendkleid trägt der Travestiekünstler nun einen weiten Kapuzenpullover, statt Perücke eine Schirmmütze. Die Statur: sportlich. Er raucht - und erzählt, wie vor etwa 35 Jahren Miss Piggy in sein Leben trat.

Ambacher, der aus Tübingen stammt, hatte bereits eine Ausbildung zum Weber und zum Krankenpfleger absolviert, als es ihn in den siebziger Jahren nach München verschlug. Er bediente tagsüber im Ratskeller, abends streifte er durch die Münchner Innenstadt. Eines Nachts steckte er seinen Kopf ins Frisco, jener legendären Schwulenbar in der Blumenstraße im Glockenbachviertel, in deren Räumen heute die Cocktailbar Padres untergebracht ist. Kurze Zeit später heuerte Ambacher im Frisco als Barkeeper an, schließlich wurde er Teilhaber des Lokals. Am Wochenende um Punkt Mitternacht, wenn die umliegenden Bars schlossen, stürmten die Gäste hinein in seine Bar - und die Frisco-Girls die Bühne, um ihre frivole Show aufzuführen.

Eines Nachts, Ende der Siebziger, erschien Ambacher zum Spaß mit einer Schweinenase zum Dienst. Ein paar Tage zuvor hatten sie in der Bar ein Spanferkel gegrillt und einige scherzten, das Tier sehe Ambacher ähnlich. Die Gäste lachten über seine Verkleidung, sein Geschäfts- und Lebenspartner sagte: "Da machen wir eine Bühnennummer draus." Es folgte Miss Piggys erster Auftritt.

Schon kurze Zeit später trat Ambacher regelmäßig um Mitternacht im Frisco auf, die Kostümierung wurde außergewöhnlicher, einmal zog er sich Frauenkleider an - und merkte: Es fühlt sich für ihn nicht komisch an, er kann sich darin gut bewegen, er hat Ausstrahlung, die Zuschauer lachen noch lauter als sonst. Ambacher ließ sich den Namen patentieren: Jim Henson, der Erfinder der Miss Piggy aus der Muppet-Show, gab seine Erlaubnis.

Schon damals waren die Zuschauer fasziniert. Wie kann ein Mann sich derart auf Stöckelschuhen bewegen? Sie amüsierten sich über seine Schlüpfrigkeiten, johlten wenn Ambacher fragte: "Seid ihr bereit? Wollt ihr was sehen? Wollt ihr viel sehen?" Ambacher hat Ausstrahlung, ihm gelingt es, eine Nähe zum Publikum zu schaffen. Doch bis unter die Gürtellinie - dahin würde er nie gehen, sagt er. Und noch eine Fähigkeit hat Ambacher, die einen guten Travestiekünstler ausmacht: Er überwindet körperliche Grenzen. Auf die Schwanensee-Nummer ist er besonders stolz. Monatelang hat er an der Ballettstange trainiert, bis er den Spitzentanz endlich beherrschte.

Ambachers berühmtester Fan war Queen-Sänger Freddie Mercury, der Anfang der Achtziger oft von seinem Stammplatz im Frisco aus das Treiben auf der Bühne beobachtete. "Freddie sagte immer Schweinensee statt Schwanensee", erzählt Ambacher. "Er war ein ruhiger, bescheidener Kerl." Und ein Freund von ihm. Mehrmals begleitete Ambacher Mercury in die berühmten Musicland Studios, wo der Sänger einige Platten aufnahm. Von Ambachers heutiger Wohnung im Arabellapark kann man den Eingang sehen, der damals in das Tonstudio führte.

Der Travestiekünstler und der berühmte Sänger zogen gemeinsam um die Häuser, feierten bis zum Morgen und schauten danach noch in Mercurys Münchner Wohnung Videos an. Und natürlich war Ambacher auch zu Mercurys 39. Geburtstag im Club Mrs. Henderson eingeladen. Das Musikvideo zu "Living on my own", das in jener Nacht gedreht wurde, gibt Einblick, wie ausschweifend es zugegangen ist. Champagner, Kaviar, Tänzer. Und mittendrin Peter Ambacher - verkleidet als Prinzessin.

Die BBC weigerte sich lange, das Video zu zeigen. Zu wild, zu vulgär, zu schmutzig. Ambacher kann das nicht nachvollziehen. "Wenn sie allerdings den Rohschnitt gesehen hätten, dann würde ich es verstehen", sagt er und grinst. Doch den kennen nur wenige. Ambacher ist einer von ihnen.

Bis 1987 trat Ambacher im Frisco auf. Dann starb sein Partner an Aids. Das Risiko, den Laden alleine weiterzuführen, war Ambacher zu groß. Das Frisco schloss für immer. Miss Piggy jedoch überlebte. Bis heute. Ambacher lebt von der Travestie. Er war schon in den USA auf Tour und hat in Fernsehserien mitgespielt. Bei der Schwulenparade Christopher Street Day schreitet Piggy jedes Jahr mit, derzeit hat sie ein Engagement in Erfurt.

Seit 14 Jahren tritt Ambacher gemeinsam mit Gene Pascale auf, immer wieder zieht es die beiden ins Oberanger Theater. Jedes Jahr organisiert Ambacher hier eine Benefizgala, deren Erlös HIV-positiven Kindern zu Gute kommt. Als der Travestiekünstler davon erzählt, wird er ernst. Zu viele Freunde von ihm sind in den vergangenen Jahrzehnten an der Krankheit verstorben. "Die sich nicht mit dem Thema befasst haben, sind alle nicht mehr da", sagt Ambacher und zündet sich eine neue Zigarette an. "Bei vielen alten Bekannten weiß ich nicht, ob sie weggezogen sind, ob ich ihnen einfach nicht mehr über den Weg laufe - oder ob sie tot sind."

Auf der Bühne lässt Ambacher solche Gedanken hinter sich. Der Auftritt in der Vorweihnachtszeit im Oberanger Theater ist ein Heimspiel. Fast jeder Platz ist besetzt, die Zuschauer lachen, noch ehe Miss Piggy ein Wort sagt. Sie applaudieren, noch ehe sie zu tanzen beginnt. Ambacher investiert viel, wenn er auftritt. Er sucht die Stoffe für die Kleider selbst aus, eine Schneiderin näht dann die Kostüme.

Stunden vor Showbeginn ist er im Oberanger Theater, kümmert sich um die Reservierungen und die Bestuhlung. Allein zwei Stunden benötigt er, um sich zu schminken. Jeden Lidstrich zieht er selbst, jeden Tupfer Rouge trägt er allein auf. "Es ist ein Knochenjob", sagt Ambacher. Doch dann muss er lachen.

Nach der Show legt der Travestiekünstler die Miss Piggy wieder beiseite. Auch als Peter Ambacher trägt er gerne knallige Farben, am liebsten Rot. Aber keine Frauenkleider. Er trennt die beiden Existenzen: eine Rolle, ein Leben. "Ich will ja auf der Straße nicht für durchgeknallt gehalten werden." Piggy wird er trotzdem von allen auch dann noch gerufen.

Wie lange Ambacher sein Leben noch mit der Dame Miss Piggy teilt? Bis 70 mindestens, sagt er. "Solange ich noch auf Stöckelschuhen laufen kann."

Die Travestieshow "Christmas Follies" mit Miss Piggy und Gene Pascale ist noch am 18. und 23. Dezember im Oberanger Theater in München zu sehen. Zudem geben die beiden dort eine Silvester- und eine Neujahrsgala.

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