Travestiekünstler:Der blonde Mann im Glitzerkleid

"Ich finde es lustig, wie die Leute mich ansehen": Mit High-Heels und Perücke wird aus Alexander ein Travestiekünstler.

Julia Zetz, SZ-Jugendseite

Der Text ist erschienen auf der Jugendseite der Süddeutschen Zeitung. Weitere Texte der Jugendseite finden Sie unter www.sz-jugendseite.de.

Auf den ersten Blick nichts Verdächtiges. Recht unscheinbar sieht Alexander aus - von den übrigen Gästen des Cafés unterscheidet sich der 23-Jährige aus Olching kaum. Groß ist er und schlank, trägt einen leichten Stoppelbart und Jeans.

Erst, wenn man ihm gegenübersteht, erkennt man die Details: Er hat lange Fingernägel, tiefschwarz lackiert. Er hat Wimperntusche aufgetragen - er erinnert ein bisschen an einen Emo, wären hier nicht kniehohen, schicken Lederstiefel, um die ihn die meisten jungen Frauen beneiden würden.

Alexander ist homosexuell - und in seiner Freizeit ein Travestiekünstler. Aber bis er sich zutraute, so zu sein, wie er das möchte, mussten ein paar Jahre vergehen. "Ich finde es mittlerweile lustig, wie die Leute mich ansehen", sagt er. Die Reaktionen, Blicke und Gesten der Menschen kennt er schon - und er hat sich auch an sie gewöhnt.

Auf der Bühne trägt er High-Heels und Perücke - dann wird aus Alexander "Alexis Diamantis", die "schlanke Blondine im weißen Glitzerkleid", wie auf der Internetseite seiner Agentur zu lesen ist. Alexis Diamantis, die feminer wirke als manche Frau. Alexis Diamantis, die nach einer Show jederzeit nach Schminktipps gefragt werden könne.

Privat wirkt Alexander dezenter. Hauptberuflich arbeitet er als Friseur. Nebenbei war er immer mal wieder als Backround-Tänzer zu sehen. "Irgendwann mal hat mich dann jemand gefragt, ob ich für eine Band eine Traumfrau spielen möchte", sagt er. Verwundert sei er gewesen.

Ein Mann in Frauenkleidern? Das ist nun wirklich nicht jedermanns Sache - aber Alexander entschied sich letztlich doch dafür, ein bisschen auch aus Neugier. In Pumps und einem Kleid stand er dann vor der Kamera. "Ich hatte so etwas noch nie gemacht, aber ausprobieren wollte ich es doch irgendwie", gibt er zu.

Ein Mann in Frauenkleidern? Alexander ist es gewohnt, anders zu sein. Bereits mit elf Jahren hat er gemerkt, dass er sich von anderen Jungs in seinem Alter unterschied. Er hatte keine Freunde, war ein klassischer Außenseiter - und homosexuell.

Auf der nächsten Seite: Narrenfreiheit auf der Bühne.

Ärger mit den Eltern

In einem kleinen Dorf mit streng religiösen Eltern ist das nicht ganz einfach gewesen. "Mein Vater hat mit allen Mitteln versucht, mir das auszutreiben", schildert er seine Erfahrungen nach dem Coming-out.

Sogar vor körperlicher Gewalt soll sein Vater nicht zurückgeschreckt sein. Vielleicht war das der Grund, warum er einige Zeit brauchte, um sich zu finden. "Ich habe alle klassischen Schubladen mitgemacht. Gothic, Punk und Raver", sagt er.

Alexander zog sich immer mehr zurück, wollte nur noch allein auf seinem Zimmer sein. Tagelang habe er es nicht verlassen, erzählt er. Sogar bis zur Magersucht habe ihn der Druck seiner Familie getriebem. Der Streit mit den Eltern eskalierte irgendwann.

Zusammen mit seinem Freund wurde er schließlich in einer Pflegefamilie untergebracht. Zu ihnen hat er heute noch Kontakt - er spricht von Zuneigung und Vertrauen, als wären es seine richtigen Eltern.

Nachdem Alexander sein Elternhaus verlassen hatte, konnte er so sein, wie er es wollte. Zusammen mit seinem Freund besucht er seitdem auch regelmäßig seine Stammdisco im Münchner Glockenbachviertel. Auch dort gibt es Travestie-Shows, doch er hatte noch nie darüber nachgedacht, dort mitzumachen.

Bis ihn der Clubbesitzer ansprach. Ob er nicht mal bei einem Talentwettbewerb mitmachen wolle? Alexander zögerte diesmal nicht - und zog los, sich neu einzukleiden. Sein Mut hat sich gelohnt, denn schon beim ersten Versuch belegte er den zweiten Platz.

Alexander wirkt, trotz der auffälligen Fingernägel und den platinblonden Haaren, recht schüchtern. Keine ideale Voraussetzung für einen, der auf die Bühne will, vor vielen Menschen in einem Kostüm stehen und singen muss. "Vor einer Show bin ich immer sehr aufgeregt, aber im geschminkten Zustand ist es, als würde ich mich hinter einer Maske verstecken", sagt er.

"Ich genieße auf der Bühne absolute Narrenfreiheit, dann sind alle meine Komplexe weg und ich habe ein großes Selbstbewusstsein." Alexander geht noch ein Stückchen weiter: "Ich bin schon eine kleine Rampensau", sagt er.

Eine Frau will er trotzdem nicht sein. "Ich bin froh, ein Mann zu sein - aber ich mag es, mit den Geschlechtern zu spielen", sagt Alexander. Und das mögen auch seine Fans. Sogar ein kleines Stammpublikum können er und seine drei Freunde bereits verzeichnen, mit denen er das Travestie-Programm ausgearbeitet hat.

Dass Alexander mit seinem Auftreten - privat wie auf der Bühne - provoziert, weiß er. Aber das interessiert ihn nicht, im Gegenteil: "Es sollte mehr Menschen wie mich geben, denn dieses Schubladendenken stört mich."

Der Text ist erschienen auf der Jugendseite der Süddeutschen Zeitung. Weitere Texte der Jugendseite finden Sie unter www.sz-jugendseite.de.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: