Traunsteiner Musikproduzent:"Dass Helene Fischer mich Hansel überhaupt auf dem Schirm hat"

Traunsteiner Musikproduzent: Helene Fischer, Europas erfolgreichste Sängerin und global die Nummer zehn. Privat bietet sie allerdings keine Angriffs-, nur Projektionsfläche.

Helene Fischer, Europas erfolgreichste Sängerin und global die Nummer zehn. Privat bietet sie allerdings keine Angriffs-, nur Projektionsfläche.

(Foto: Anelia Jankewa/Polydor)

Gunnar Graewert hat zwei Nummern auf dem neuen Album "Rausch" von Helene Fischer produziert - und dabei sehr persönliche Einblicke in die Arbeit und Persönlichkeit der Sängerin gewonnen.

Von Michael Zirnstein, München

Es klingt wie ein Telefonstreich, den man einem Musikproduzenten spielt. Ob er nicht Lust habe, eine "ganz musikalische" Aufnahme mit Helene Fischer zu machen, fragte die Stimme am Telefon. Nun kannte Gunnar Graewert den Anrufer namentlich: Uwe Kanthak, tatsächlich der Manager der deutschen Schlagerkönigin. Trotzdem: "Ich war perplex", erinnert sich der Angefragte, "ich hätte nie gedacht, dass Helene Fischer mich Hansel überhaupt auf dem Schirm hat."

Zu bescheiden muss der Traunsteiner auch nicht sein: Er ist Multiinstrumentalist, Labelbesitzer, Studiobetreiber, Songwriting-Dozent, hat an Paul McCartneys Liverpool Institute for Performing Arts sein Pop-Diplom mit Auszeichnung gemacht; getextet, komponiert und produziert hat er schon für andere Größen von Edita Gruberova bis Mario Adorf, von Andreas Bourani bis Max Mutzke, und vor allem von Anfang an für Claudia Koreck, die er dann auch heiratete. Aber Helene Fischer, Europas erfolgreichste Sängerin und global die Nummer zehn, ist noch einmal eine andere Preisklasse - und vor allem musikalisch in einer völlig anderen Welt zu Hause als der Folk-, Soul- und Blues-Freund. "Ich habe echt keinen Bock, alles zu machen", sagt er. Bis zu dem Anruf hatte er höchstens einmal "Atemlos" auf einer Hochzeitsfeier gehört, gibt er zu. "Ich würde das alles komplett anders machen, aber dann wär's eben nicht so erfolgreich."

Gunnar Graewert

Auf dem Weg zum "Schlager-Gott"? Gunnar Graewert in den Downtown Studios.

(Foto: Matti Bruckner)

Natürlich reizte ihn die Herausforderung. Er ließ sich Demos schicken, zwei Song-Skizzen von "Luftballon" und "Danke für Dich". "Ja, die gefallen mir, ich hätte dazu schon Ideen", sagte er beim Rückruf. Aber das war ihm nicht genug. "Wahnsinnig wichtig für mich ist: Was bedeutet der Song für den Künstler? Für mich?" Produzieren sei auch Psychologie, das Vermeiden verunsichernder Worte im Studio, erklärte er, man müsse sich kennen, um zusammen das Beste herauszuholen.

Wer kennt Helene Fischer schon wirklich? Was an die Öffentlichkeit dringt, ist inszeniert

Und da wird es spannend für alle, die Musik und Mensch einfach nicht trennen können oder wollen: Wer kennt Helene Fischer schon wirklich? Privat ist sie ein Rätsel, bietet keine Angriffs-, nur Projektionsfläche. Thomas Gottschalk, bei dessen "Wetten, dass..?!"-Revival sie an diesem Samstag in Nürnberg auftreten wird, fragt neulich in seiner Radio-Show im SWR ratlos die Hörer: "Ich weiß nicht, was ich sie fragen soll. Wer kann mir helfen?" Man darf davon ausgehen, alles was die Eiskönigin an die Öffentlichkeit dringen lässt, ist inszeniert. Und sei es noch so gefühlig von ihr selbst erzählt wie jüngst in der ZDF-Dokumentation, die eher ein gebührenfinanzierter Werbefilm war zum neuen Nummer-1-Album "Rausch". Ob sie daheim mit ihrem Liebsten Uno spielt, ihre Angestellten anpflaumt und ihre Socken täglich wechselt, das bleibt alles hinter den Hecken des Anwesens am Ammersee verborgen. Gunnar Graewert bekam nun einen persönlichen Einblick.

Es begann mit einem Zwei-Stunden-Telefonat, in dem er, 48, auch erfuhr, wie sie, 38, auf ihn gekommen war: Sie verfolge die Reise der Liedermacherkollegin Claudia Koreck (und damit der Graewert-Produktionen) schon seit deren ersten Alben, das jüngste, die Cover-Platte "Perlentaucher", finde sie toll, erzählt Graewert. Dann lief "alles ganz geschmeidig".

Erst wollte sie zu ihnen nach Traunstein kommen. Dann wurde ihr Zeitplan doch knapper, sie verabredeten sich in Graewerts Arbeitsstätte in München. Das kam ihm recht ungelegen, denn er hatte die Downtown Studios erst kürzlich vom verstorbenen Vorbesitzer Artur Silber übernommen, es wurde groß renoviert. "Es machte Helene nichts aus", sagt Graewert, "sie habe selber gerade gebaut, sagte sie." Vom Moment an, als sie aus dem Auto stieg (sie fuhr selbst den Pkw ihres Vaters), war Graewert "hin und weg von ihrer Art": aufmerksam, freundlich und offen. Sie erzählte Graewert, wer der verstorbene Mensch war, um den sie im Stück "Luftballon" trauert, und wem die Liebeserklärung in "Danke für Dich" gilt. Er will es nicht ausplaudern, Dienstgeheimnis, aber ihm war wichtig, dass die Lieder, an denen sie mitgeschrieben hat, "nicht nur so dahin gesagt sind", sondern "Herzensnummern", zentrale Stücke unter den 24 auf "Rausch" - "deswegen singt sie auch so emotional".

"Die Stimme ist das seelischste Instrument", findet Graewert, deswegen war sein Plan, sie emporzuheben, nicht mit Instrumenten und Effekten zu überladen, wie er das zu Beginn seiner Laufbahn gemacht hätte. "Mit wenig viel ausdrücken", wollte er, und sagte ihr: "Ich sehe da kein Orchester bei dir, höchsten ein Streichquartett." Sie stimmte zu, hatte "eine starke Meinung" zu allem, verlangte etwa, dass die Gitarren nicht in die Höhe ihrer Stimme reiche. Vielleicht ist das die größte Überraschung: Fischer, die wie bei jedem Album mit einer Riesenmannschaft an Komponisten, Textern und Produzenten ein großes Spektrum von Disco bis Balladen erarbeitet, ist tatsächlich selbst die musikalische Leiterin. Von der Songauswahl bis zur letzten Note, sie ist eine klassische Executive Producerin", beteuert Graewert.

So fingen sie bei null an: Graewert setzte sich mit Fischer ans Klavier, er spielte recht dumpfes, zurückhaltendes Piano, auch Schlagzeug und Bass sind von ihm. Die Gitarre zupft Claudia Koreck, was besser passte, als einen Sessiongitarristen zu engagieren, denn "Singer-Songwriter, die sich selbst begleiten, lassen der Stimme immer genug Platz". Auch die Streicher aus der Münchner Szene gingen behutsam vor, darunter Marlene Schuen von den Ganes.

Nach dem langen Arbeitstag voller Elan redeten sie draußen vor der Tür "noch lange über Gott und die Welt". Dann war es eine Weile still. Ungeduldig rief Graewert bald an, ob die fertigen Stücke so durchgingen. Man bat ihn um Geduld, Helene habe gerade viel um die Ohren. Mit derselben Begründung übrigens schlug ihr Manager die Bitte der SZ aus, Helene Fischer möge doch kurz die Arbeit mit Graewert aus ihrer Sicht schildern. Graewert immerhin erhielt ohne Beanstandung ihren Segen: Alles in allem "eine sehr schöne Erfahrung", sagt er, den Freunde auf Facebook schon als "Gunnar, den Schlager-Gott" aufziehen, und der nun auch zum Riesenkonzert kommenden August in die Messe Riem gehen will. Schon aus beruflichem Interesse, die Songs würden live ja "extrem nah wie auf Platte" gespielt. Und damit kann er nun gut leben.

Zur SZ-Startseite
Helene Fischer - Pressebilder 2021

SZ PlusNeues Album von Helene Fischer
:Was wäre Helene ohne Stampf?

Helene Fischer hat ein neues Doppelalbum und nennt es "Rausch". Der Titel soll dreckig und gefährlich wirken. Aber nach dem Hören stellt sich die Frage: Wenn es entweder gar keine Musik mehr gäbe oder nur die von Helene Fischer, was wäre dann die bessere Option?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: