Trauerfeier:Wenn Stille stärker ist als jedes Wort

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Bei der Gedenkfeier im Landtag folgt den Reden der Politiker ein beeindruckendes Schweigen. Einigen Angehörigen der Opfer des Münchner Amoklaufes sieht man an, wie schmerzvoll der Moment für sie ist.

Von Gerhard Fischer

Wer sich am Sonntag gegen 16 Uhr vom Osten her dem Bayerischen Landtag nähert, sieht schon am Max-Weber-Platz etliche Polizei-Autos fahren. Die Sicherheit, von der Ministerpräsident Horst Seehofer später beim Trauerakt sprechen wird, spielt bereits in einiger Entfernung vom Landtag eine große Rolle. Drinnen werden dann Ausweise und Taschen kontrolliert und Letztere mit grünen Punkten versehen, und es gibt wohl niemanden, der das nicht verstehen würde in diesen Zeiten.

Um kurz nach 17 Uhr soll Landtags-Präsidentin Barbara Stamm die Bundespolitiker in der Friedrich-Bürklein-Halle empfangen. Um kurz nach 16 Uhr sind in der Halle nur ein paar Kameraleute, Fotografen und Journalisten - und zwei Frauen des Gebäudedienstes. Sie saugen den roten Teppich. Ganz ruhig machen sie das, fast in sich versunken. Es hat etwas Meditatives, und es heißt doch, dass man den schrecklichen Bildern der vergangenen Wochen schöne Bilder entgegen setzen solle, um sich zu beruhigen.

Um kurz nach 17 Uhr empfängt dann Barbara Stamm wie geplant die Bundespolitiker in der Friedrich-Bürklein-Halle. Das heißt, sie empfängt sie nicht, sie geht mit ihnen durch die große Tür von draußen hinein in die Halle, flankiert von Bundespräsident Joachim Gauck und dessen Lebensgefährtin Daniela Schadt; es folgen, in zweiter Reihe, aber die Vorausgehenden an Körpergröße überragend, Ministerpräsident Horst Seehofer, Oberbürgermeister Dieter Reiter und dessen Frau Petra, alle haben ernste Gesichter.

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Die Fotografen machen ein Bild mit dem Sextett, erst dann kommt Kanzlerin Angela Merkel durch die Tür herein, fast unbemerkt. Da sollte man aber nun wirklich nichts hinein interpretieren. Zumal Seehofer auf Merkel wartet, als die Politiker die Treppe hinaufsteigen Richtung Plenarsaal. Merkel und Seehofer sind sich zwar momentan in der Flüchtlingspolitik alles andere als einig; aber an einem Tag wie diesem, an dem man den Angehörigen der Opfer beistehen und den Bürgern Mut machen will, demonstriert man natürlich Einigkeit. Das gehört sich auch so.

Im Plenarsaal finden sich nach und nach sehr viele Menschen ein, die in Deutschland etwas zu sagen hatten und noch zu sagen haben: Hildegard Hamm-Brücher, Alois Glück, Christian Ude, Hans Jochen Vogel, Edmund Stoiber, Vizekanzler Sigmar Gabriel, Innenminister Thomas de Maizière.

Bundespräsident Joachim Gauck nennt in seiner Rede die neun Opfer des Amoklaufs vom OEZ mit Vornamen und beklagt die Lücke, die sie hinterlassen haben, vor allem im Herzen der Angehörigen: "Armela fehlt uns. Can fehlt uns. Chousein fehlt uns. Dijamant fehlt uns. Giuliano fehlt uns. Janos fehlt uns. Sabine fehlt uns. Selcuk fehlt uns. Sevda fehlt uns." Das sind starke Worte, und sie zeigen Wirkung bei manchen Opfer-Angehörigen, die auf der Ehrentribüne des Landtags sitzen.

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Einigen sieht man an, wie schmerzvoll dieser Moment für sie ist. Gauck spricht die Angehörigen auch direkt an, er sagt: "Lassen Sie uns füreinander da sein - als Gemeinschaft, die den Toten Raum gibt in der Erinnerung und den Lebenden Frieden." Nach dem offiziellen Akt werden sich Gauck, Seehofer, die Bundeskanzlerin und andere Politiker dann mit den Angehörigen treffen, um mit ihnen in kleiner Runde zu sprechen.

Der Bundespräsident spricht in seiner Rede ruhig, der Inhalt des Gesagten ist differenziert, Gauck ist so, wie man ihn kennt. Er wirkt väterlich, aber manchmal ist er auch ratlos und hilflos. Gauck hat die Hände auf das Rednerpult gelegt, bisweilen rücken seine Finger das Redemanuskript zurecht, es ist eine Handlung, die genau diese Hilfslosigkeit ausdrücken könnte: Das Papier kann man zurecht rücken, aber anderes eben nicht mehr - die Opfer bleiben tot, die Angehörigen werden mit der sehr schmerzhaften Erinnerung an sie weiterleben müssen.

Ministerpräsident Seehofer wendet sich ebenfalls an die Angehörigen, er sagt, er danke ihnen sehr für ihr Kommen, "weil Sie uns gestatten, mit Ihnen zu trauern." Seehofer wählt drastische Worte, um Tat und Folgen zu beschreiben. "Unfassbar brutal" sei der Amoklauf gewesen, er habe "Bayern ins Mark getroffen". Angesichts der Leistungen der Rettungskräfte und der Hilfsbereitschaft der Münchner Bürger sei er aber auch dankbar für "die Mitmenschlichkeit inmitten der Unmenschlichkeit".

Seehofer spricht manchmal mit brüchiger Stimme, er ist erst mal ein Mitfühler und dann erst ein Politiker, der nach vorne schaut und Konsequenzen ankündigt. Er sagt, Sicherheit sei "das höchste Gut einer Demokratie, die oberste Pflicht des Staates". Deshalb werde man die Arbeit der Sicherheitsapparate verbessern: mehr Personal, noch modernere Ausrüstung, stärkere Polizeipräsenz. Das sei die notwendige Antwort eines Rechtsstaates.

Dann kommt Dieter Reiter. Nicht zum ersten Mal findet er die richtigen Worte in einer Krise. Auch diesmal schürt er keine Ängste, sondern macht Mut, spendet den Opferfamilien Trost, lobt die Rettungskräfte, zeigt Empathie. Und das in einem Ton, der angemessen und ohne zu viel Pathos ist, bestimmt und souverän.

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"Trotz der schrecklichen Taten und trotz der beunruhigenden Terrorgefahr dürfen wir uns unsere freiheitliche, offene und tolerante Art zu leben nicht nehmen lassen", sagt er. Ähnlich formulierte es der damalige Ministerpräsident Norwegens, Jens Stoltenberg, nach Anders Breiviks fürchterlichen Taten in Oslo und Utøya.

Die Opfer von München hatten einen "Migrationshintergrund", wie es immer heißt. Reiter sagt deshalb, der Amoklauf sei ein "Anschlag auf das bunte, das vielfältige und tolerante München" gewesen. Die Stadt werde darauf mit einem noch stärkeren Zusammenhalt reagieren. Er selbst werde "weiterhin alles dafür tun, dass es auch in Zukunft ein gemeinsames München für alle geben wird."

Nach Reiters Rede wird Mozart gespielt. Die Angehörigen verlassen langsam die Tribüne. Wenig später folgen ihnen die Politiker und die Ehrengäste. Keiner sagt etwas. In diesem Moment ist diese Stille stärker als jedes Wort, um Gemeinschaft zu fühlen.

© SZ vom 01.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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